Von getrennten Männer- und Frauentoiletten hält Doktorin Annette Raczuhn wenig: „Ich benutze prinzipiell die Toilette, die gerade frei ist, egal ob für Frauen oder Männer“, erzählt die Sexualwissenschaftlerin. „Natürlich kündige ich mich vorher an“, versichert sie lächelnd. Ein kleiner Akt der Rebellion, der einen ganz praktischen Grund hat: „Gerade zu Stoßzeiten ist es eine Katastrophe auf die überfüllten Frauentoiletten zu gehen. Und ich habe schlicht keine Zeit, um zu warten“, sagt sie. Seit 2017 ist Raczuhn Lehrbeauftragte für besondere Aufgaben an der Universität zu Köln. Sie bietet Seminare zu Rassismus, Diskriminierungen und Sexualpädagogik – ihrem „Spezialgebiet“ – an. Doch so selbstverständlich wie sie sich in der Position sieht, sehen sie nicht alle, denn: Nicht immer ist die Kölner Uni so gleichberechtigt wie sie auf den ersten Blick scheint.
In diesem Jahr feiert die Universität zu Köln ihre 100-jährige Neugründung. Und mit ihr auch das 100-jährige Frauenstudium, denn seit 1919 dürfen zum ersten Mal auch Frauen an der Uni zu Köln studieren. Im Laufe der Jahrzehnte hat sich für Kölner Studentinnen einiges geändert: Frauen dürfen inzwischen wie ihre männlichen Kommilitonen die Mensa benutzen und müssen sich nicht anhören, dass die übermäßige Beanspruchung ihres Gehirns sie unfruchtbar machen würde, wie es Julius Möbius 1903 noch öffentlich äußerte. In einem Punkt scheint die Gleichstellung an der Uni zu Köln jedoch wenig Fortschritte gemacht zu haben: bei der Besetzung der Professuren.
„Mir wurde der Kollege vorgezogen.“
Prof.’in Kirsten Schindler
Die erste Professorin gab es mit Doktorin Cornelia Harte erst 1950. 1995 betrug der Anteil der Professorinnen nur 6,2 Prozent. Trotz einer deutlichen Steigerung, gibt es derzeit nur etwa 30 Prozent weiblicher Professorinnen. Und das, obwohl die Anzahl der Studentinnen mit 61 Prozent deutlich über der der Studenten liegt (Stand 2017). Wenn man nun bedenkt, dass im gleichen Jahr etwa 66 Prozent Frauen ihr Studium absolvierten und nur etwa 26 Prozent eine Professur erhielten, liegt die Frage nahe, woran das liegt. Zumal die Universitätskarriere laut Gender-Report bei den männlichen Kommilitonen ganz anders aussieht. Dort zeigen Ergebnisse eine Studentenanzahl von 39 Prozent, im gleichen Jahr lag der Männeranteil der Habilitationen (W1) bei 58 Prozent und der der Professoren (W2 und W3) bei 74 Prozent. Trotz Fakultätsunterschiede, geht die Tendenz in eine klare Richtung: Je höher der wissenschaftliche Grad, desto kleiner die Frauenquote. Aber wie lässt sich das ungleichmäßige Verhältnis erklären? „Teilweise fehlt es noch an geeigneten Bewerberinnen oder auch Bewerberinnen, die sich eine solche Position zutrauen“, erklärt Professorin Kirsten Schindler, die Gleichstellungsbeauftragte der Philosophischen Fakultät. „Und manchmal liegt es auch an Kommissionen, die es einer Bewerberin weniger zutrauen als einem Bewerber.“
Subtile Diskriminierungen wie diese, kennt sie zu Genüge: „Um nur ein paar klassische Fälle zu benennen: In einem Text wird der akademische Grad beim Mann genannt und bei der Frau vergessen. Auf dem Podium sitzen ausschließlich Männer, die Frau darf moderieren.“ An eine persönliche Erfahrung kann sich Schindler noch gut erinnern: „Nachdem ich mein zweites Kind bekommen habe, habe ich im ersten Jahr die Stelle auf 50 Prozent reduziert. Damit schien ich nicht mehr aktiv genug zu sein, um bei einem Projekt (zu dem ich thematisch viel Erfahrungen hatte) als Ansprechpartnerin zu fungieren. Mir wurde der Kollege vorgezogen. Ich bin nicht gefragt worden.“ Inzwischen habe sich die Lage für WissenschaftlerInnen mit Kind verbessert, sagt Schindler. Doch reicht das?
Nach Außen zeigt sich die Kölner Uni in puncto Geschlechtergleichheit jedenfalls durchaus vorbildlich. So werden LeserInnen auf der Universitätshomepage regelrecht überschüttet mit Informationen zum Thema Diversität, Gender und Rassismus. Auch praktische Strategien zur Bekämpfung von Diskriminierungen aufgrund der Ethnie, Sexualität oder Behinderung werden dort thematisiert. Neue Unisex-Toiletten und Veranstaltungen wie die „Diversity Woche“, die seit 2015 von dem Prorektorat für Gleichstellung und das Referat Gender & Diversity Management veranstaltet werden, zeigen: Vielfalt wird gefördert und öffentlich zum Thema getragen. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), eine eigene Richtlinie zum Umgang mit Diskriminierung, sexualisierter Gewalt und Mobbing, ein eigenes Team der Gleichstellungsbeauftragten auf Zentral- und Fakultätsebene(n) sowie Einrichtungen wie ABS (Anregungs- und Beschwerdestelle) und der AGG-Beschwerdestelle für Beschäftigte, an die sich StudentInnen und MitarbeiterInnen mit Diskriminierungserfahrungen wenden können, sollen an der Universität für mehr Chancengerechtigkeit und Gleichheit sorgen.
Gleichbehandlungsgesetz (AGG), eine eigene Richtlinie zum Umgang mit Diskriminierung, sexualisierter Gewalt und Mobbing, ein eigenes Team der Gleichstellungsbeauftragten auf Zentral- und Fakultätsebene(n) sowie Einrichtungen wie ABS (Anregungs- und Beschwerdestelle) und der AGG-Beschwerdestelle für Beschäftigte, an die sich StudentInnen und MitarbeiterInnen mit Diskriminierungserfahrungen wenden können, sollen an der Universität für mehr Chancengerechtigkeit und Gleichheit sorgen.
Doch in der Praxis scheint noch nicht alles optimal zu laufen. So wird das Gleichstellungsgesetz nicht immer richtig umgesetzt. „Ich kann mich an einen Fall erinnern, wo eine Professurenstelle in den Gender-Studies besetzt werden sollte“, sagt Raczuhn. „Bei dem Auswahlverfahren gab es Frauen und einen Mann. Ich persönlich fand den männlichen Kandidaten für die Stelle sehr geeignet, doch es wurde ihm eine Frau vorgezogen, denn laut dem Gleichstellungsgesetz sind Frauen bei gleicher Qualifikation vorzuziehen. Professuren sind von Frauen zwar unterbesetzt, doch die Gender-Studies-Professuren bekommen meistens Frauen. Und da wäre es doch mal sinnvoll, einem Mann die Stelle zu geben“. Die Idee, die sich dahinter verbirgt ist ganz einfach: Je mehr Männer Stellen belegen, die sonst von Frauen besetzt werden, desto mehr freie Plätze für Frauen in Positionen, die von Männern überproportional belegt sind. Und nicht nur dabei scheint die Institution Fortschrittsbedarf zu haben.
Die #MeToo-Debatte, Gender Pay Gap, Leaky Pipeline oder Das Dritte Geschlecht, sind nur einige Wortneuschöpfungen, die den Geschlechter-Ungleichheiten in öffentlichen Diskursen einen Namen geben. Und auch Diskriminierungsfälle an Universitäten haben längst ihren Stammplatz in den Medien. Schlagzeilen wie „Sexismus-Vorwurf: Die Universitäten werden zur Schule der Unfreiheit“ (Die Welt, 07.11.2017), „Wie sexistisch ist die Uni“ (Die Zeit, 09.08.2017) und „#MeToo auf dem Campus – Sexismus an deutschen Hochschulen“ (Deutschlandfunk, 14.06.2018) sind keine Seltenheit mehr. Inhaltlich geht es meist um Ähnliches: „Sexismen aller Spielarten durchziehen Hochschulen und Forschungseinrichtungen: joviale Sprüche im Hörsaal, ungewollter Körperkontakt im Labor, Herrenrunden auf Konferenzen“, schreibt Die Zeit.
„Frauen und Männer werden im Studium anders beurteilt.“
Dr.’in Anette Raczuhn
Offen darüber zu sprechen trauen sich die wenigsten. Kein Wunder, denn kaum eine Institution sei dermaßen von hierarchischen Abhängigkeiten geprägt wie die Uni, sagt Doktorin Annette Raczuhn: „Frauen und Männer werden im Studium anders beurteilt, sie werden vor allem unterschiedlich gefördert.“ Vielen falle das gar nicht auf, doch spätestens ab dem Moment, wo die wissenschaftliche Laufbahn eingeschlagen wird, da dränge sich dieser Unterschied auf, denn eine Promotion sei nur mit Förderung möglich. „Und genau da beginnt auch das Schweigen, denn man ist abhängig, man ist befristet und die Stellen sind rar“, so Raczuhn. Überstunden, Forschungsprojekte, die nicht selten in die private Zeit fallen, eine befristete Arbeitsstelle – das alles hat nicht selten Auswirkungen auch auf das Privatleben von Wissenschaftlerinnen. „Ich habe nicht ohne Grund keine Kinder. Wird meine Stelle verlängert, wenn ich ein Kind kriege?“ Solche Ängste sind keine Seltenheit, denn: Je höher der Bildungsstand, desto geringer die Kinderanzahl der Frauen – so das Ergebnis einer Studie des Statistischen Bundesamtes. Das Problem: Wie lässt sich das nach Außen publizierte Bild einer diversen Universität, die bestrebt ist, Rollenbilder wie diese zu durchbrechen, mit der gegenwärtigen Praxis vereinbaren?
Im Jahr 2019 wird der Begriff „Diversität“ mit einer neuen Bedeutung versehen: „Wir bewegen uns hier sicherlich in einem Spannungsverhältnis: Einerseits fordern wir eine Erhöhung des Frauenanteils in den entsprechenden Positionen, andererseits manifestieren wir damit Geschlechterrollen, die sich – und das völlig zu Recht – in Auflösung begreifen“, so Schindler. Gleichstellung lasse sich daher nicht mehr ohne Diversität denken. Und so kursiert der neue Begriff auch als zentrales Ziel der Kölner Universität. Auf der Homepage heißt es: „Die Universität zu Köln setzt sich offensiv für Diversität, Perspektivenvielfalt und Chancengleichheit ein.“
Noch ist das Ziel längst nicht erreicht. „Schauen wir mal, wie viele People of Color ProfessorInnen es gibt, wie viele davon vielleicht eine (Be-)Hinderung haben? Divers ist die Uni da wahrscheinlich gleich Null“, so Raczuhn. „Wenn man sich die Zahlen der Absolventinnen des Studiums anschaut und dies mit der Anzahl derer vergleicht, die weiterhin an der Universität aktiv arbeiten, dann wird die Luft auch dünner.“ Die Sexualwissenschaftlerin erfährt im universitären Alltag nicht selten Ungleichheiten: „Wissenschaft lebt von Diskussionen und von verschiedenen Sicht- und Leseweisen“, so Raczuhn. Doch auch in diesem Punkt seien Unterschiede deutlich: „Wenn man sich heute Unterhaltungen an der Uni anschaut, merkt man die unterschiedliche Art zu kommunizieren, die nicht angeboren ist: Männer unterbrechen häufiger, sie schaffen es sich mehr Sprachbeiträge zu sichern, unterdrücken auch, indem sie lauter werden und übergehen nicht selten in den Erklärmodus, auch »mansplaining« genannt.“ Doch was tun, wenn Diskriminierungen wie diese zum Alltag werden?
Es gibt verschiedene Beratungs- und Anlaufstellen an der Universität, an die sich StudentInnen und MitarbeiterInnen im Falle von Diskriminierung wenden können. Beratungs- und Beschwerdeverfahren sind in der Richtlinie der Universität konkretisiert. Es gibt beratende Unterstützung von der ABS für Studierende und von der AGG-Beschwerdestelle für das Universitätspersonal. Die AGG-Beschwerdestelle bietet zweierlei Unterstützung an: Zum einen die informelle Hilfe, sprich die Beratung. Zum anderen das formelle Verfahren, also die Beschwerde. Dabei münde nicht jede Beratung gleich in ein förmliches Beschwerdeverfahren, erklärt Marlies Merten von der AGG-Beschwerdestelle für Beschäftigte. Meistens werde das Beratungsangebot genutzt, es gebe aber durchaus offizielle Beschwerden mit Anhörungen. Dabei könne es im Einzelfall passieren, dass auch Disziplinarmaßnahmen in die Wege geleitetet werden.
Doch so hilfreich diese Angebote sein können, es darf nicht vergessen werden, dass bei Diskriminierungen oft eine klare Beweisführung schwierig ist. Und auch wenn nach 100 Jahren neue Möglichkeiten für Frauen in der Wissenschaft bereits bestehen, ist der Weg zur Gleichstellung der Geschlechter noch weit. „Wir müssen anfangen das Geschlecht von Personen zu demarkieren“, so Raczuhn. „Das Thema »100 Jahre Frauenstudium« zeigt vor allem eins: dass immer noch auf einen Unterschied beharrt wird und solange dieser Unterschied in den Köpfen ist, werden Frauen schweigen. “
Von Klaudia Kasek
Beitrag erstellt am: 18.11.2019 um 18:20 Uhr
Letzte Änderung am: 19.11.2019 um 14:52 Uhr