Du musst dich schon entscheiden – Freiheit oder Leben

Ein Baum steht auf einer Wiese und wirft lange Schatten. Davor sitzen 3 Menschen und im Hintergrund ist das Ufer eines Flusses zu sehen. Auf der anderen Seite des Flusses ist die Silhouette einer Großstadt.
Der Baum ist ein Symbol für die Freiheit, die sich durch Selbstbestimmung auszeichnet. Foto: Melvin Schwertel.

Komplexe Zeiten fordern komplexe Entscheidungen. Es gibt einen Scheideweg, wobei wir uns zwischen Freiten oder Leben entscheiden müssen. Ob Corona-Pandemie oder Klimakrise, die Katastrophen stellen uns vor die folgende Frage: Wie viel Wert geben wir Freiheit und wie viel Leben? Wieso ist das Thema wichtig?

In der Corona-Pandemie ist der Konflikt um das Thema Freiheit oder Leben besonders stark geführt worden. Maskenpflicht, Abstandsregel oder Impfpflicht wurden diskutiert. In Zukunft wird uns der Konflikt zwischen Freiheit und Leben besonders bei der Klimakrise begleiten. Der Weltklimarat hat im März bekanntgegeben, dass die kommenden Jahre Einschränkungen fordern, sofern die 1,5-Grad-Grenze eingehalten werden soll. Aber zu welchem Preis? An diesem Punkt kommt die philosophische Diskussion um Freiheit ins Spiel. Eins sei verraten, es wird kontrovers.

Was genau verbirgt sich hinter dem Konflikt?

Der Konflikt besteht in der Wechselseitigkeit von Freiheit, also dem Selbstbestimmten, und von Leben, also der Sicherheit. (Eine genaue Erläuterung zu den Begriffen gibt es in der Info-Box). Der Diskurs in der Philosophie wird sehr kontrovers und breit geführt. Klaus Günther und Uwe Volkmann sind Herausgeber von Freiheit oder Leben. Die wissenschaftliche Abhandlung lässt über 15 Autor*innen zu Wort kommen, die in verschiedenen spezifischen Bereichen mit Philosophie in Kontakt treten. Im Fall der Corona-Pandemie scheuen wir uns vor der „Radikalität“ mit der zwischen Leben und Freiheit abgewägt wird. Zum Wesen der beiden gehört, dass nur eines dominieren kann. Wenn jemand 60 Prozent Freiheit hat, so hat er gezwungenermaßen nur 40 Prozent Sicherheit. Andersrum genauso. Als Beispiel dient die Corona-Pandemie, in der der biopolitische Kurs im Fall der Maskenpflicht einen Schwerpunkt auf die Sicherheit, anstatt auf die Freiheit legte. Bestandteil des Konflikts ist das Wort Prävention. Denn die freiheitseinschränkenden Maßnahmen werden präventiv beschlossen und mit Gründen legitimiert. Diese Gründe können, müssen aber nicht der Lösung entsprechen. Das kann erst im Nachhinein erkannt werden. Ob sich das Einschränken der Freiheit auszahlt, bleibt ungewiss, bis es durchgeführt wird.

Das Paradoxon

Du hast weniger Freiheit, dafür mehr Sicherheit, aber deshalb wiederum mehr Freiheit – wie soll das verstanden werden? Es bedeutet, dass freiheitseinschränkende Maßnahmen zur Freiheit beitragen können. Im Fall der Klimakrise ist erwiesen, dass die Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Autobahn CO2 einsparen würde. Wird dieser Gedanke weitergeführt, ist zu erkennen, dass die Einschränkungen indirekt für Freiheit sorgen. Diese liegt im Schützen von Arten und Umwelt und damit in der Möglichkeit für folgende Generationen die Erde zu erhalten. Ein anderes Beispiel stellt die Maskenpflicht während der Corona-Pandemie dar. Eine Maske zu tragen, ist eine Einschränkung der Freiheit, aber diese Maßnahme hat durch die aktive Bekämpfung der Pandemie zu einer Freiheit beigetragen, die wir nun genießen. Dieses Beispiel zeigt die dynamische Beziehung von Freiheit und Leben auf und verdeutlicht, dass eine trennscharfe Abgrenzung nicht möglich ist.

Wer stellt sich dem Konflikt im Fall der Corona-Pandemie?

Diesem Thema widmen sich viele verschiedene Instanzen. In erster Linie die Politik. Im Beispiel der Corona- Pandemie gab es einen biopolitischen Kurs. Der Fokus liegt auf der wissenschaftlichen Perspektive, die das Vorgehen zu einem großen Teil mitbestimmt. Konkret bedeutet es Infektionsketten zu unterbrechen und Leben zu retten. Dabei wurde die Sicherheit der Freiheit übergeordnet. Die Argumente bezogen sich auf die Ziele, wie zum Beispiel Infektionsketten unterbrechen oder Inzidenzwerte senken.

Neben der Wissenschaft werden natürlich auch „einfache“ Bürger*innen mit dem Konflikt konfrontiert. Wir bleiben bei der Corona-Pandemie und erinnern uns an die Einschränkungen beim Einkaufen. Abstandbeschränkungen und Maskenpflicht. Sollte sich das Individuum falsch Verhalten und nicht genügend Abstand halten, wird es durch Blicke von den anderen Einkäufer*innen sanktioniert. Ende 2020 kamen die sogenannten „Querdenker* innen“ auf. Es gibt weitere Gruppen, die die Freiheitseinschränkungen kritisieren, aber diese Gruppe kann als radikales Beispiel genommen werden. Die Einschnitte im Alltag wurden ihrer Meinung nach also nicht gerechtfertigt und sie wünschten sich mehr Freiheit. Der Konflikt um die Frage, was legitim ist, beschäftigt also auch das Individuum.

Was ist denn nun wichtiger – Freiheit oder Leben?

Die Antwort auf diese Frage ist abhängig von der Situation. Im Fall der Klimakrise gibt es wissenschaftliche Gründe, die die Relevanz des Einsparens von CO2 verdeutlichen. Ob die darauffolgende Maßnahme ein Verbrenner- Verbot oder eine andere Maßnahme ist, gilt es zu diskutieren. Anhand dieses Abwägens und Anhörens von Gründen kann dann die Freiheit oder das Leben übergeordnet werden.

Welche Rolle spielt Aufmerksamkeit?

Aufmerksamkeit ist eine begrenzte Ressource. Der Corona- Pandemie wurde viel Aufmerksamkeit geschenkt. Wir erinnern uns an die täglichen Tagesschau Updates. Zahlen und Bilder, die die aktuelle Lage darstellten. Die Klimakrise hingegen erhält weniger Aufmerksamkeit. Jochen Ostheimer ist Philosoph und thematisiert das Ungleichgewicht von Themenpräsenz in Krisenzeiten. Die Corona-Pandemie ist aufgrund verschiedener Faktoren präsenter als die Klimakrise. Ein Grund dafür ist die direkte Auswirkung von Corona. Ob Schilder im Alltag oder zurückverfolgbare Infektionsketten, jeder hatte unmittelbare Berührungspunkte zu der Krise. Die Klimakrise sei ein „vertracktes Problem“, weil wir sie nicht unmittelbar spüren, so Ostheimer. Das Problem ist zeitlich und räumlich verschoben. Wenn ich mit dem Auto unterwegs bin und CO2 ausstoße, sind die Folgen nicht sofort im Alltag spürbar. Sie wirken sich auf den globalen Süden aus und sind in Deutschland erst später und schwächer zu spüren. Aufmerksamkeit ist insofern mit dem Thema Freiheit und Leben verknüpft, als dass die Diskussion über legitime Einschränkungen von einer Gesellschaft nur geführt werden kann, wenn der Großteil über die Relevanz des zu diskutierenden Themas Bescheid weiß.

Die Freiheit wird es der Sicherheit danken

Das Paradoxon, also das Freiheit und Leben sich wechselseitig bedingen, stellt einen Aspekt gut dar. Nämlich, dass wir den Konflikt von Freiheit und Leben dynamisch betrachten müssen. Am Anfang sind wir davon ausgegangen, dass 60 Prozent Freiheit und 40 Prozent Sicherheit 100 Prozent ergeben müssen, aber das Thema ist um einiges komplexer, und die soeben genannte Rechnung geht nicht immer auf. Manchmal gibt es Zwischentöne. Manchmal bedingen sich die beiden Aspekte, obwohl sie gegensätzlich sind. Das bedeutet explizit, dass die Einschränkungen der Freiheit auf lange Sicht freiheitsgebend sein können. Im Beispiel der Klimakrise lässt sich die Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen als positiven Einfluss auf die Umwelt erkennen. Dieses Verbot scheint auf den ersten Blick als Einschränkung – die unangenehme Grenze. Aber durch dieses Verbot stellt sich auf lange Sicht eine Freiheit her, die darin besteht, dass nachfolgende Generationen die Erde in ihrer Gänze erleben können. Freiheitseinschränkungen können also Freiheit geben. Vorausgesetzt, sie sind legitim und zahlen sich aus.

Freiheit: Freiheit ist ein großes Wort und könnte in einem eigenen Artikel behandelt werden, aber um von einer Basis aus zu argumentieren, müssen wir eine gemeinsame Bedeutung festlegen. Deshalb reden wir in diesem Artikel, wenn wir von Freiheit sprechen, von Selbstbestimmtheit, die dennoch durch Gesetze des Staates und gesellschaftliche Konventionen eingeschränkt ist. Absolute Freiheit ist also nicht gemeint, sondern Handlungsspielräume die in der Tendenz mehr Selbstbestimmtheit erlauben.
Leben: Leben ist ein vieldeutiges Wort. Damit können die Ressourcen gemeint sein, die es zum Leben braucht… Hier gilt es einen gemeinsamen Begriff zu definieren, damit wir leichter miteinander diskutieren. Der Artikel meint, wenn von Leben gesprochen wird, Sicherheit des Körpers und Geistes in erster Linie. Die Sicherheit des Menschen steht in der ersten Reihe, wenn wir von Leben sprechen, dennoch gibt es noch andere Aspekte, welche darunter fallen, die wir nicht genauer diskutieren.
Biopolitische Kurs: Die Politik schenkt der Wissenschaft Aufmerksamkeit und hatte das Ziel die Todesfälle gering zu halten und die Ansteckungen zu verringern. Dabei stand das Leben an höchster Stelle, weshalb soziale Bereiche der Gesellschaft runtergefahren wurden – die Handlungen der Politik sind an der Wissenschaft orientiert.

Von Melvin Schwertel

Beitrag erstellt am: 06.03.2023 um 18:25 Uhr
Letzte Änderung am: 06.06.2024 um 18:25 Uhr