Der Klimawandel ist ein Problem. Seine Folgen zeigen sich überall auf der Welt. Daraufhin wollen immer mehr Unternehmen klimaneutral werden. Sie haben sich auf die Fahnen geschrieben, bald keine zusätzlichen CO2-Emissionen in die Luft zu stoßen. Apple hat es vor, Gucci ist es schon. Sogar Shell hat es sich zum Ziel erklärt, bis 2050 klimaneutral zu werden. Das Zauberwort ist hierbei: CO2-Kompensation. Doch wie genau funktioniert das?
CO2-Kompensation basiert darauf, dass es der Atmosphäre egal ist, wo das CO2 produziert und wo es eingespart wird. Es gibt Projekte, die sparen CO2 ein. Da Bäume CO2 aus der Luft binden, sind Waldaufforstungen oder der Schutz von Waldgebieten beliebt. Oder auch Vorhaben zu erneuerbaren Energien, die Anlagen von fossilen Brennstoffen ersetzen. Die Idee ist: Wenn ich nun eigene CO2-Emissionen habe, die ich kompensieren möchte, kann ich in solche Projekte investieren. Mit der finanziellen Unterstützung kann dann mehr CO2 eingespart werden, beispielsweise durch weitere Bäume, die von dem Geld gepflanzt werden. Im Gegenzug bekomme ich Zertifikate für jede gesparte Tonne CO2.
Es gibt Länder wie China oder Südkorea, in denen Unternehmen einen gewissen CO2-Ausstoß nicht überschreiten dürfen. Auch im Kyoto-Protokoll und später dann im Pariser Klimaabkommen wurde dies aufgenommen. Daher nutzen Unternehmen häufig CO2-Zertifikate, um unterhalb dieser Schranke zu bleiben. Diese Kompensationsmaßnahmen nennen sich verpflichtend. Natürlich ist es auch möglich freiwillig CO2 zu kompensieren. Der Markt hierfür boomt mehr als je zuvor. Er sorgt dafür, dass sich immer mehr Unternehmen klimaneutral nennen können.
Das klingt insgesamt nach einem vielversprechenden Konzept. Der Haken dabei: Fast 90% aller Projekte kompensieren gar kein CO2. Ups. Mehrere Studien, unter anderem des Öko-Instituts aus Freiburg, zeigen, dass die meisten Vorhaben nicht so nachhaltig sind, wie sie klingen. Das hat verschiedene Gründe: Einer ist, dass die Investition in die Projekte dafür sorgen muss, dass zusätzliches CO2 eingespart wird, was ohne die Unterstützung nicht passiert wäre. Die Kompensationsvorhaben dürfen also nicht ohnehin stattfinden, unabhängig davon, ob Unternehmen in sie Geld investieren oder nicht. Ansonsten würde die finanzielle Unterstützung keine Emissionen einsparen und somit kann auch nichts kompensiert werden. Das ist für viele Projekte ein Problem. Beispielsweise stellte eine Studie der Georgetown University zu Anlagen von Erneuerbaren Energien fest, dass über die Hälfte der untersuchten Projekte ohnehin realisiert worden wären.
Noch häufiger taucht das Thema bei Waldschutzprojekten auf. Bei diesen werden Bäume davor bewahrt, gefällt zu werden und stellen somit sicher, dass diese weiter CO2 binden. Daher muss allerdings nachgewiesen werden, dass ohne das Vorhaben das CO2 eben nicht durch die Bäume gebunden und eingespart wird. Wald verschwinden. Das ist aber schwer zu zeigen. Das führt bisweilen zu absurden Geschichten: Ein Beispiel dafür ist die Hudson Farm in den USA. Hier sollen alle Bäume geschützt werden, die sich auf der Fläche der Hudson Farm befinden. Das Überraschende: Es handelt sich um den Jagd-Club eines Milliardärs, der dort mit seinen Freund*innen in seiner Freizeit auf wilde Tiere schießt. Warum genau sollten all die Bäume dort gefällt werden, wenn es nicht als Kompensationsprojekt gilt? Unklar.
Natürlich ist die Frage, was daran so schlimm ist, dass verschiedene Unternehmen Geld in Wälder stecken, die auch sowieso erhalten worden wären. Mehr Geld in Waldschutz klingt nicht sehr dramatisch. Das Problem ist, dass sich diese Unternehmen dann CO2-Einsparungen zuschreiben, die nicht stattfinden. Das hat zwei Folgen: Zum einen bedeutet das, dass diese Unternehmen nicht klimaneutral sind, wie sie vorgeben.
Zum anderen machen sie das Problem im Zweifel sogar schlimmer. Verschiedene Studien zeigen, dass Unternehmen nach Kauf von Kompensationszertifikaten noch mehr CO2-Emissionen ausstießen als vorher. Die Zertifikate wirken in diesem Fall wie eine Art Freifahrtschein für zusätzlichen CO2-Ausstoß. Dabei sollte das Reduzieren von Emissionen an oberster Stelle stehen und nicht die Kompensation ebendieser. Doch selbst, wenn die Programme wirklich den Wald bewahren, gibt es Schwierigkeiten. Beispielsweise, wenn sich durch das Projekt das Abholzen in benachbarte Waldgebiete verlagert.
Eine weitere Hürde sind Doppelzählungen. Manchmal rechnen sich sowohl das Standortland des Waldes die kompensierten Emissionen an als auch die Unternehmen, die das Projekt unterstützen. Dadurch wird dann weniger CO2 gespart als behauptet. Aber auch, wenn all die Probleme gelöst wären, kommt dazu: Es gibt keine Garantie, dass die Wälder geschützt bleiben. Ein Hindernis dafür sind zum Beispiel Waldbrände. Diese treten im Zuge vom Klimawandel immer häufiger auf und Bäume lassen sich schwer dagegen schützen. Das führt dazu, dass Kompensationsprojekte mit Wäldern risikobehaftet und als verpflichtende Maßnahmen für Unternehmen nicht zugelassen sind. Für freiwillige Kompensation sind sie aber nach wie vor relevant.
„Verschiedene Studien zeigen, dass Unternehmen nach Kauf von Kompensationszertifikaten noch mehr CO2-Emissionen ausstießen als vorher.“
Leider sind die Projekte nur ein Teil des Problems. Eine weitere wichtige Rolle spielen die Unternehmen, die diese zertifizieren. Sie untersuchen die Vorhaben auf ihre Sinnhaftigkeit. Sie bestimmen, wie viel CO2 eingespart wird und wie viele Zertifikate verkauft werden dürfen. Sie machen die Regeln. Verra ist eines dieser Unternehmen. Sie sind marktführend im Bereich für Zertifizierungen im CO2-Kompensationshandel. Die Zeitungen der Zeit und The Guardian sowie der britische Reporterpool SourceMaterial haben sich Verra genauer angesehen. In Zusammenarbeit mit verschiedenen Wissenschaftler*innen wurde eine Stichprobe von Zertifikaten ausgewertet. Das Ergebnis: Über 90% der Zertifikate sind untauglich. Das sind fast 90 Millionen Tonnen CO2, die nur scheinbar kompensiert werden – so viel wie der jährliche Ausstoß von Griechenland und der Schweiz zusammen. Und das gilt nur für das Drittel, welches von den Rechercheteams untersucht wurde. Die Gesamtzahl an CO2-Emissionen, die gar nicht eingespart wurden, liegt also deutlich höher.
Das hat mehrere Gründe: Einer ist, dass Verra viele Waldschutzprojekte unterstützt. Die bringen, wie schon erwähnt, einige Probleme mit sich. Außerdem gibt Verra die Regeln vor, mit welchen berechnet wird, wie viel CO2 zum Beispiel der betrachtete Wald bindet. Es gibt allerdings verschiedene Regelwerke. Deren Wissenschaftlichkeit ist laut der Ergebnisse der Studien jedoch anzuzweifeln. Zusätzlich dürfen sich die Projekte aussuchen, welches Regelwerk sie anwenden.
Als Beispiel ist das Vorhaben Kariba in Simbabwe zu nennen, eines der größten Kompensationsprojekte weltweit. Viele verschiedene Unternehmen beteiligen sich daran, wie zum Beispiel Gucci. Ihre gesamte Klimaneutralität basiert auf Kariba. Es handelt sich um ein riesiges Waldgebiet, das laut Angaben in den nächsten 30 Jahren komplett gerodet werden soll. Der Schutz dieser Fläche sollte jährlich 1,7 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Ein Jahr später wurde diese Prognose auf 6,6 Millionen Tonnen erhöht. An den äußeren Bedingungen hatte sich nichts geändert. Es wurde nur ein anderes Regelwerk benutzt. Aber dadurch konnten noch mehr Zertifikate mit diesem Waldschutzprogramm verkauft werden.
Waldschutzprojekte sind problematisch. Natürlich gibt es auch Vorhaben, die funktionieren und manche anderen Ideen, etwa die Neubewässerung von trockengelegten Mooren. Trotzdem bleibt die Frage, was der langfristige Nutzen ist. Es fehlen einheitliche, verbindliche Regeln für Kompensationsprojekte und dazu Institutionen, die sie überwachen. Es ist auch anzuzweifeln, dass dies passiert. Zu lange wird es schon gefordert und zu viele Projekte müssten überprüft werden. Aber selbst wenn es diese Regeln und Institutionen gäbe, löst das nicht alle Probleme: Es gibt einfach nicht genug Platz. Die Fläche ist nicht vorhanden, um beispielsweise genug Bäume zu pflanzen, um alle CO2-Emissionen zu binden. Natürlich sind Kompensationsprojekte wie Bewaldung oder Ausbau von erneuerbaren Energien wichtig und werden ihren Beitrag leisten. Aber sie sind leider nicht die Lösung. Wir können uns nicht aus der Klimakrise kaufen.
Von Raphael Havemann
Beitrag erstellt am: 25.05.2024 um 15:49 Uhr
Letzte Änderung am: 25.05.2024 um 15:49 Uhr