In Literaturverfilmungen stellt sich zuallererst eine Frage: Soll die Geschichte literaturgetreu Eins-zu-eins übernommen und kopiert werden oder adaptiert – also an das Medium Film und dessen Erzähl- und Darstellungsmöglichkeiten angepasst werden? The Green Knight ist eine Literaturverfilmung des Gedichts Sir Gawain and the Green Knight, welches innerhalb der König Artus-Sage eingebettet ist. Der Film teilt uns seine Entscheidung um die eingangs gestellte Frage zu Beginn schon mit: Hier gibt es keinen König Artus, keine strikte Einhaltung an die Geschehnisse und Charaktere des Gedichts. Stattdessen wird eine Geschichte erzählt, die für sich steht. Aufgrund des Formats der Heldenreise wirkt The Green Knight dennoch sehr vertraut.
Schon die ersten Minuten des Films brillieren mit einer exzellenten Kameraführung, Bildkomposition und einem Sounddesign, das von höchster handwerklicher Kunst zeugt. Das Filmstudio A24, welches hinter The Green Knight steckt, beweist einmal mehr sein Können und seine Hingebung zum Kino als Ort der intimen Erfahrung. Nun sind bekannte Blockbuster mit all ihren Finanzierungen sicher auch hochgradig qualitativ produziert, sehen gut aus und hören sich gut an, aber ihre Bilder leben doch nur für den Moment. Sie lassen uns auf das Spektakel kalkuliert reagieren. The Green Knight beschäftigt uns jedoch nicht nur für den Moment. Etliche Szenen begleiten uns noch in die nächste Szene. Tage später, denkt man noch über den Film nach. Wie Gawain auf seiner etappenartigen Heldenreise, durchlaufen auch wir Zuschauer*innen eine Entwicklung von hin- und herspringenden Gedanken, die erst im Nachhinein an Klarheit gewinnen. Dieser Film lässt uns fühlen und nicht bloß reagieren.
The Green Knight erzählt die Geschichte von Gawain, einem Ritter in spe. Zu einem Weihnachtstag erscheint am Bankett des Königs, dem Gawain beiwohnt, der titelgebende Green Knight, eine mythische Figur. Er bietet den Anwesenden im Austausch für Ruhm und Ehre an, ihn zu schlagen, doch unter der Voraussetzung, dass er nach einem Jahr die Person in gleicher Weise schlagen wird. Einzig Gawain willigt ein und köpft den Green Knight. Damit scheint Gawains Lebensende beschlossen. Daraufhin beginnt die Reise Gawains zur Begleichung der Rechnung. Wie bereits besprochen, ist der Zwiespalt, in welchem Gawain sich aufgrund seiner Tat befindet, der Angelpunkt der Geschichte. In Manier einer klassischen Heldenreise, wie die des Odysseus, wird er mit Situationen konfrontiert, die ihn zuerst überfordern, aber die es im Prozess der Entwicklung eines Helden zu überwinden gilt. An jeder Etappe trifft er Menschen, die ihre eigenen Geschichten in Gawains einbringen. Angesichts der vermeintlich einfachen Geschichte um Verantwortung ist es ein großes Glück, herausragende Darsteller*innen wie Alicia Vikander, Dev Patel und Barry Keoghan in diesem Film zu haben. Ihr Schauspiel lässt den Tiefgang dieser eigentlich einfachen Geschichte erst zum Vorschein kommen.
The Green Knight bringt erfreulicherweise die klassische Heldengeschichte in seiner alten Form zurück auf die Leinwand. Der Film ist sehr selbstbewusst und kann sich das dank großartiger filmischer Inszenierung sowie dem überzeugenden Schauspiel seiner Darsteller*innen erlauben. Ein guter, sehenswerter Film, der beweist, dass Literaturverfilmungen keine haargenauen Kopien des Urstoffs sein müssen, sondern diesen mit den geeigneten Möglichkeiten des eigenen Mediums Film umsetzen sollten.
Filmtitel: The Green Knight
Regisseur: David Lowery
Starttermin: 29.07.2021
Dauer: 125 Min
Genre: Literaturverfilmung, Fantasy
Von Özgün Kaya
Beitrag erstellt am: 02.08.2021 um 09:00 Uhr
Letzte Änderung am: 02.08.2021 um 12:27 Uhr
Über Özgün Kaya
… studiert Philosophie und Geschichte. Am liebsten sieht er Filme.