Nutzlos im Land der Superlative

Buchcover des Buches Qualityland
Die satirische Dystopie eröffnet erschreckend aktuelle Einblicke in eine digitalisierte Zukunft. Foto: Ullstein Taschenbuch Verlag.

Qualityland erzählt von menschlichen Maschinen und maschinellen Menschen.

Es ist schwierig, Entscheidungen zu treffen, angesichts der scheinbar endlosen Möglichkeiten. Will ich die rote Hose kaufen oder doch lieber die blaue? Soll ich Malerin*in oder Ingenieur*in werden? Was für ein Mensch will ich sein und was für ein Leben will ich führen? Wir können Pro-und-Kontra-Listen schreiben, stundenlang über alle möglichen Szenarien grübeln oder wir lassen einfach eine künstliche Intelligenz für uns entscheiden. Trotzdem stehen wir immer wieder vor neuen Herausforderungen und bereuen rückblickend die eine oder andere Entscheidung. In seiner Zukunftssatire Qualityland schafft Marc-Uwe Kling sämtliche Entscheidungen ab. Denn „in Qualityland lautet die Antwort auf alle Fragen: OK“.

Die satirische Dystopie des deutschen Autors Marc-Uwe Kling, der vor allem für seine Känguru-Trilogie bekannt ist, wurde 2017 im Ullstein Taschenbuch Verlag veröffentlicht. Im zukünftigen Deutschland ist die Digitalisierung so weit vorangeschritten, dass Algorithmen das gesamte Leben der Menschen bestimmen. In Qualityland ist alles von bester Qualität, alle führen ein optimiertes Leben und nur noch der Superlativ ist erlaubt. Ein wurmartiger Miniroboter im Kopf dient als digitaler Assistent und trifft die wichtigen Entscheidungen. Selbstfahrende Autos bringen dich überall hin und TheShop liefert dir per Drohne alle Produkte, noch bevor du überhaupt weißt, dass du sie haben möchtest. Darüber hinaus errechnet dir QualityPartner die perfekte Liebesbeziehung und teilt die Menschen in Level von eins bis einhundert ein. Dabei gelten die Menschen in den Leveln unter zehn als Nutzlose. Der Protagonist Peter Arbeitsloser arbeitet als Maschinenverschrotter und lebt am Rande der Gesellschaft. Als sich seine Freundin von ihm trennt, rutscht er in das Level eines Nutzlosen ab und beginnt, sein Leben infrage zu stellen. Währenddessen findet die Präsidentschaftswahl statt, bei der ein Mensch und eine Maschine kandidieren: der Mensch und Rechtsextreme Conrad Koch gegen den Androiden John of Us.

Qualityland konstruiert ein Zukunftsszenario, das die Möglichkeiten der Digitalisierung weiterdenkt und teilweise bis ins Absurde hinein überspitzt. Denn bereits in unserer aktuellen Lebenswelt haben Suchmaschinen, soziale Medien und ihre Algorithmen eine Machtposition inne. Das Sammeln und Auswerten digitaler Verhaltensdaten beeinflusst schon heutzutage die menschliche Autonomie. Kling karikiert diese und ähnliche Tendenzen unserer Gesellschaft mit viel Humor und Einfallsreichtum. So entwickeln Maschinen Gefühle, während die Menschen, ohne zu hinterfragen, das Leben führen, welches die Algorithmen ihnen errechnen. Neben den menschlichen Figuren gibt es auch viele Maschinen, die teilweise mehr menschliche Eigenschaften aufweisen als die Menschen selbst. Zum Beispiel entwickelt ein Staubsauger das Messie-Syndrom, eine Drohne bekommt Flugangst und ein Kampfroboter entwickelt eine posttraumatische Belastungsstörung. Derart außergewöhnliche Figuren – oder auch ein rosafarbener Delfinvibrator, der als auslösendes Ereignis der Geschichte dient – sorgen dafür, dass die Leser*innen von einer Verwunderung in die nächste stolpern.

Die Handlung selbst erzeugt hingegen weniger Spannung und kann keine allzu überraschenden Wendungen aufweisen. Qualityland fasziniert vielmehr durch die gut durchdachte Gesellschaft, die provoziert, kritisiert und die Leser*innen laut auflachen lässt. Trotzdem hat Kling bei der Gestaltung der Handlung so manche Möglichkeiten nicht genutzt und dadurch ein wenig vom Potenzial dieses Zukunftsszenarios verschenkt. Weiterhin gibt es einen Reiseführer durch Qualityland, der den Leser*innen die touristischen Sehenswürdigkeiten des Landes eröffnet und die wichtigsten Informationen über die Gesellschaft vermittelt. Auf jedes Kapitel folgen Werbeanzeigen, die aufdringlich Produkte anpreisen und eine fragwürdige Form der Berichterstattung enthalten. Dadurch bekommen die Leser*innen die nötigen Informationen in angenehmen kleinen Abschnitten und sind schon auf die nächste Werbeanzeige gespannt. Die überspitzte Werbung macht deutlich, wie mächtig diese ist und wie stark sie die Menschen beeinflusst. Erwähnenswert ist an dieser Stelle, dass es zwei Versionen von Qualityland gibt, die sich durch die Farbe der Buchcover und die darin enthaltene Werbung unterscheiden. Darüber hinaus bezieht sich der Autor auf Theorien und interpretiert sie für seine Zwecke neu. Beispielsweise greift Kling das Peter-Prinzip, welches das menschliche Verhalten in Hierarchien thematisiert, oder Asimovs Robotergesetze auf. Damit werden auch Themen aus der Soziologie aufgegriffen und die künstliche Intelligenz kritisch diskutiert. Es bleibt also nicht bei oberflächlichen Witzen und komischen Szenen. Stattdessen liefert Qualityland auch viele Denkanstöße, welche die Leser*innen zum Hinterfragen und Reflektieren der eigenen Gesellschaft auffordern. 

Die Zukunftssatire Qualityland von Marc-Uwe Kling schafft es mit viel Humor die Versprechungen und Gefahren der Digitalisierung aufzuzeigen und teilweise anzuprangern. Obwohl die Handlung an einigen Stellen ihre Schwächen aufweist, fasziniert diese zukünftige Welt mit ihrer Absurdität, die teilweise dennoch erschreckend realistisch wirkt.

Marc-Uwe Kling: Qualityland 
Ullstein Taschenbuch Verlag: 2017, 384 Seiten, 11€
ISBN: 978-3-550-05015-2
Fortsetzung: Marc-Uwe Kling: Qualityland 2.0 – Kikis Geheimnis (2020)

Von Eileen Michalski

Beitrag erstellt am: 09.05.2021 um 19:29 Uhr
Letzte Änderung am: 11.05.2021 um 12:46 Uhr