Beginnen wir mit ein paar Fakten: 12,8 Millionen Tonnen an Kleidung landen jährlich auf Mülldeponien. Die Modeindustrie ist jährlich für 1,2 Milliarden Tonnen CO2 verantwortlich – mehr als internationale Flüge und Schifffahrt zusammen. Es braucht im Durchschnitt 2700 Liter Wasser, um ein Shirt herzustellen – so viel trinkt ein Mensch in ungefähr 2,5 Jahren. 80 % aller Altkleider, die sich weltweit ansammeln, werden verbrannt oder eben weggeschmissen. Aus immerhin 20 % werden Putzlappen, Dämmstoffe oder ähnliches gemacht – das nennt sich dann ‚Downcycling‘. Weniger als ein Prozent des Materials wird wirklich wiederverwendet. Die Modeindustrie, wie sie momentan existiert, ist höchst umweltschädlich und folgt natürlich einer grundlegend kapitalistischen Logik: Es geht um Wachstum, Globalisierung und Geld.
Von 2000 bis 2015 ist die weltweite Anzahl der Kleidungskäufe auf das Doppelte gestiegen. Der Artikel The price of fast fashion, 2018 in Nature Climate Change erschienen, prophezeit: Unser Kleidungskonsum wird bis 2050 im Vergleich zu 2000 um das Dreifache angestiegen sein. Für Deutschland bedeutet das laut dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit: Deutsche Konsument*innen kaufen durchschnittlich 60 Kleidungsstücke jährlich, wobei jedes Fünfte quasi nie getragen wird. Die gekaufte Kleidung stammt nach Angaben des Umweltbundesamts – Stichwort Globalisierung – zu 90 % aus anderen Ländern, allen voran China, der Türkei und Bangladesch.
Das führt uns zu einem weiteren Problem neben den Belastungen für die Umwelt: Die Textilarbeiter*innen in diesen Ländern werden in der Regel ausgebeutet, weil sie zu viel für zu wenig Geld arbeiten. Besonders perfide: Der gesetzliche Mindestlohn ist meist nicht mit einem existenzsichernden Lohn gleichzusetzen. So beträgt der Mindestlohn in der Türkei beispielsweise 334 Euro – um ihre Existenz sichern zu können, müssten die Arbeiter*innen aber 1182 Euro verdienen. In Bangladesch deckt der Mindestlohn von 50 Euro nur 21 Prozent eines existenzsichernden Lohns ab. Ich zitiere aus dem Bericht Licht ins Dunkel der Kampagne für Saubere Kleidung von Oktober 2020: „Nicht einmal mit umfangreichen Überstunden erreichten die Arbeiter*innen einen Betrag, der einem existenzsichernden Lohn entsprach.“ Zusätzlich sind sie gefährlichen Arbeitsbedingungen ausgesetzt. Das Fabrikgebäude Rana Plaza in Bangladesch erlangte traurige Berühmtheit, als es 2013 einstürzte. Über 1000 Menschen starben, über 2000 wurden verletzt. Seitdem wurden zwar zahlreiche Fabriken überprüft und verbessert und große Modekonzerne versprechen gerne mal Besserung, doch das Grundproblem scheint sich nicht wirklich zu ändern.
Die prekären Arbeitsbedingungen hängen nicht nur mit unzureichend gesicherten Gebäuden, Überstunden und schlechter Bezahlung zusammen, sondern auch mit umweltschädlichen Herstellungsmethoden. Färben beispielsweise ist umwelttechnisch bedenklich: Weltweit gehen nur dafür sechs bis neun Billionen Liter Wasser drauf – und das ist am Ende auch noch eine giftige Brühe, die gereinigt werden sollte. Das allerdings kostet Geld. Oft wird das toxische Abwasser in den Textilhochburgen wie Bangladesch in Flüsse geleitet. Besonders paradox: „Einige der Chemikalien, die in indischen Färbereien verwendet werden, sind eigentlich in Europa verboten […]“, so Virginia Newton-Lewis, Senior Policy Analyst bei WaterAid, einer Organisation, die sich weltweit für sauberes Wasser einsetzt. Aber wenn wir die Kleidung importieren, landen die Chemikalien doch wieder bei uns. Für uns Träger*innen können gewisse Chemikalien schädlich sein – sie können beispielsweise unsere Haut reizen. Aber besonders gefährlich sind sie für die Textilarbeiter*innen, weil sie den Chemikalien direkt ausgesetzt sind.
Die Modestudentin Inabat T. arbeitet gerne mit Lyocell: „Lyocellfasern sind biologisch abbaubar und werden in einem umweltschonenden Prozess hergestellt.“ Lyocell scheint im Trend zu liegen: Auch das nachhaltige Kölner Modelabel ArmedAngels führt es in seinem Materialguide an. Die Zellulosefaser wird aus Holz gewonnen, wobei die Fasergewinnung besonders umweltfreundlich ist, weil das dafür verwendete Lösungsmittel nicht giftig ist und wiederverwendet werden kann. ArmedAngels kooperiert dafür mit der österreichischen Firma Lenzing. Diese recycelt nicht nur das Lösungsmittel, sondern auch das Wasser, dass bei der Herstellung verwendet wird, und kommt damit auf eine Rückgewinnungsrate von über 90 %. Kein illegales Ableiten von Giftstoffen in irgendwelche Flüsse also.
Inabat T. erzählt weiter: „Zudem verwende ich kein Plastik und nur GOTS-zertifizierte Materialien.“ GOTS steht für Global Organic Textile Standard und setzt gewisse Standards für Textilien fest. Diese müssen eingehalten werden, um das Label zu erhalten. Dies gilt sowohl in Sachen Umweltfreundlichkeit als auch in Sachen faire Arbeitsbedingungen. Der Verzicht auf Plastik macht umwelttechnisch auch Sinn. Schließlich hält sich beispielsweise eine einfache Plastikflasche schon mal knackige 450 Jahre – und verschmutzt unsere Umwelt gravierend: Über zehn Millionen Tonnen Plastik werden pro Jahr in unsere Ozeane gekippt. Was das mit Mode zu tun hat? Polyester- oder Elastanfasern und weitere chemische Fasern setzen in Gewässern Mikroplastik frei. In Deutschland sprechen wir in dem Zusammenhang von 80 bis 400 Tonnen Mikropartikel pro Jahr.
Wie oben angesprochen, können bei der Herstellung von Lyocell Wasser und Lösungsmittel (zumindest größtenteils) wiederverwendet werden. Diese Richtung scheint generell optimal zu sein: Wir brauchen eine circular economy, oder auch, weniger im BWL-Slang ausgedrückt: Kreislaufwirtschaft. Materialien und Produkte werden bei diesem Wirtschaftsmodell nicht schnell weggeschmissen, sondern so lange wie möglich geteilt, recycelt, repariert und wiederverwendet. ArmedAngels schreibt in einer Pressemitteilung von November 2020: „Circularity – das ist die kommende große Transformation unserer Gesellschaft.“ Im Januar dieses Jahres bringt die Marke das ‚Circular Tee‘ heraus – ein T-Shirt, das quasi aus Textil-Müll entsteht. Denn: „Mode ist Müll“. Wenn das mal nicht wahr ist.
Aber wir haben schon gelernt: Es gibt bessere Materialien und Wege. Eines der interessantesten Materialien ist veganes Leder aus Pilzen. Als Vegetarierin und Öko-Tante finde ich es manchmal schwer, Schuhe zu finden. Ich will keine Lederschuhe kaufen, weil es für mich persönlich keinen Sinn macht, auf Fleisch zu verzichten, aber Leder zu tragen. Natürlich will ich aber keinen Plastik-Leder-Ersatz, der schlecht für die Umwelt ist. Leder aus Pilzen also. Dabei werden die Wurzeln der Pilze verwendet und nicht die Pilze selbst, was die Herstellung relativ einfach macht: Sie kann quasi überall durchgeführt werden, da kein Licht benötigt wird. Außerdem dauert es nur ein paar Wochen, bis das Material gesammelt werden kann, und, das Allerbeste meiner Meinung nach: Die Pilzwurzeln werden beispielsweise auf landwirtschaftlichem Abfall gepflanzt und verwandeln diesen Müll durch ihre Wurzeln in etwas Brauchbares. Zwar steht die Technik noch relativ am Anfang, doch große Marken wie Stella McCartney verwenden das Öko-Leder bereits.
Manche Neuerungen sind aber gar nicht so wild: Baumwolle zum Beispiel ist ein Textil-Klassiker. Dabei muss nur geändert werden, wie sie angebaut und gewonnen wird: Im normalen Baumwollanbau braucht es bis zu 11.000 Liter Wasser für ein Kilo Baumwolle. Die Pflanzen nehmen weniger als die Hälfte dieser 11.000 Liter auf – „der Rest verdunstet oder versickert“ laut dem WWF „aus undichten Kanälen.“ Zudem sind die Natur und die Baumwollanbauer*innen gefährdet, weil beim Baumwollanbau Pestizide und Düngemittel eingesetzt werden. Bio-Baumwolle, oft auch durch das GOTS- oder das noch strengere IVN-Siegel gekennzeichnet, ist da wesentlich besser: Beim Anbau kommen keine giftigen Stoffe zum Einsatz, und der Wasserverbrauch ist zwar immer noch hoch, aber um 91 % niedriger als beim klassischen Baumwollanbau. Außerdem werden die Baumwollbäuer*innen besser entlohnt.
Ein so großes Thema wie die Zukunft der Modeindustrie in einem Artikel zusammenzufassen, erscheint mir nicht möglich. Ich wollte aber ein paar Möglichkeiten aufzeigen und verdeutlichen, was geschehen muss, um unseren Planeten zu retten: Innovative Materialien wie Lyocell oder Pilz-Leder herstellen und flächendeckend nutzen, altbewährte Methoden wie Baumwollanbau verbessern, auf eine Kreislaufwirtschaft hinarbeiten und natürlich: faire Löhne zahlen und menschliche Arbeitsbedingungen sichern. Wird all dies durchgezogen, bleibt für mich nur noch ein Problem: Der Preis. Es macht Sinn, dass faire Mode teurer ist – Umweltfreundlichkeit und angemessene Löhne für Textilarbeiter*innen passen nicht zu T-Shirts für drei Euro. Allerdings macht dies faire Mode – genau wie Bio-Lebensmittel oder Ähnliches – schwerer zugänglich für Menschen, die wenig Geld zur Verfügung haben. Nachhaltigkeit wird so zur Klassenfrage, dabei sollte jede*r Nachhaltigkeit praktizieren können. Es gibt viel zu tun.
Zum Schluss ein paar zukunftsweisende Worte von Inabat T.: „Damit Nachhaltigkeit funktioniert, müssen die drei Faktoren Ökonomie, Ökologie und Soziales einbezogen werden. Da muss eine Balance gefunden werden. […] Der Mensch muss […] verstehen, dass er ein Teil des Naturkreislaufs ist und die Zerstörung und Ausbeutung der natürlichen Ressourcen auch ihm schadet.“ Es bleibt zu hoffen, dass es zu einem größeren Umdenken kommt und immer mehr Firmen mitziehen – nicht nur auf die Modeindustrie bezogen.
Von Carolin Obermüller
Beitrag erstellt am: 17.05.2021 um 09:00 Uhr
Letzte Änderung am: 31.05.2021 um 14:54 Uhr