Zyklus, Turnschuh, Sport-BH und Kreuzbandriss

Handballspielerin Lina Seiffarth wird von Freundinnen getröstet, nachdem sie sich im Spiel das Kreuzband gerissen hat. Foto: Lars Breitzke.

Die Gender Data Gap im Profisport  

Ein Sportevent in vollem Gange: Fangesänge, angeheizte Diskussionen über Schiedsrichterentscheidungen, Trommeln und Klatschen – bis plötzlich eine Athletin zu Boden geht und lediglich ihr Schreien, Fluchen oder Weinen die Stille zerreißt. Keine Fremdeinwirkung, eingeknickt. „Kreuzband“, lassen selbsternannte Sportmediziner*innen auf der Tribüne kopfschüttelnd verlauten. Sie sprechen aus, was die meisten vermuten. Denn die Kreuzbandverletzung ist eine der häufigsten schweren Sportler*innen-Verletzungen. Die Anfälligkeit ist in Sportarten mit schnellen Richtungswechseln und vielen Sprüngen, wie im Handball, Volleyball oder Fußball, besonders hoch. Je nach Studie sind weibliche Athletinnen drei- bis sechsmal häufiger betroffen als männliche Sportler. Diese besorgniserregenden Zahlen belegen Untersuchungen, die im Bereich des Profifußballs durchgeführt wurden. 

Kreuzbandriss – Was ist das überhaupt? 

Im Kniegelenk befinden sich zwei Kreuzbänder, ein vorderes und ein hinteres. Kommt es zu einer abrupten Bewegung, können diese Bänder unvollständig oder ganz reißen. Wenn von einem Kreuzbandriss gesprochen wird, ist jedoch typischerweise das vordere Kreuzband gemeint, weil es deutlich häufiger reißt als das hintere. Oftmals entsteht ein Kreuzbandriss ohne jegliche Fremdeinwirkung. 

Wer sich einen Kreuzbandriss zuzieht, muss in der Regel mit einer Operation und einer intensiven Rehabilitationsphase rechnen. Die meisten Athlet*innen können erst nach mindestens sechs Monaten wieder voll in das Mannschaftstraining einsteigen. Ein Kreuzbandriss bedeutet also nicht nur, dass Athlet*innen ihren Sport für lange Zeit nicht ausführen können, sondern auch, dass sie im Alltag zunächst massiv eingeschränkt sind, für die Heilungsphase einen hohen zeitlichen Aufwand betreiben müssen und mental vor neuen Herausforderungen stehen. 

Geschlechtsspezifische Verletzungsrisiken – Was sind die Ursachen?  

Warum ziehen sich weibliche Athletinnen so viel häufiger einen Kreuzbandriss zu? Gibt es grundlegende Unterschiede im Verletzungsrisiko oder geschlechtsspezifische Verletzungsmuster? Dazu liegen verhältnismäßig wenig vergleichende Studien vor. Trotzdem können Sportwissenschaftler*innen und Mediziner*innen aus den wenigen Daten erste Unterschiede und deren Ursachen ableiten. 

Der wohl naheliegendste Grund für verschiedenartige Verletzungsmuster liegt in der Anatomie. Neben Unterschieden in der Beschaffenheit des Beckens, die sich auf die Stellung der Knie auswirken, gibt es muskulär wichtige Abweichungen. Männer haben in der Regel eine gleichmäßig ausgeprägte Beinmuskulatur. Bei Frauen jedoch ist die vordere Muskulatur am Bein sehr ausgeprägt, wohingegen die hintere Muskulatur ohne richtiges Training kaum ausgeprägt ist. Dieses Ungleichgewicht wirkt sich ungünstig auf die Knie aus. Schon hier wird deutlich, dass Trainingspläne für Athletinnen anders aufgebaut werden müssten als für männliche Sportler. 

Diese Tatsache verstärkt sich beim Betrachten vom Einfluss des Menstruationszyklus auf die Verletzungsanfälligkeit. Dass es hier einen Zusammenhang gibt, ist in Teilen belegt. Wie dieser genau aussieht, ist allerdings noch nicht vollständig geklärt. Verschiedene Studien haben jedoch gezeigt, dass die Bildung der Hormone Östrogen und Progesteron während des Zyklus die Festigkeit der Bandstrukturen reduziert. Auch die Muskelentspannung kann aufgrund der Hormonproduktion verlangsamt ablaufen und dazu führen, dass die Muskeln schneller ermüden. Vor und während der Menstruation kommen psychische Faktoren oder körperliche Beschwerden hinzu, die auf die Belastbarkeit und Konzentration wirken und somit das Verletzungsrisiko indirekt erhöhen. Denn unkonzentrierte Athlet*innen tendieren eher dazu Bewegungen inkorrekt auszuführen und strapazieren ihren Körper damit zusätzlich. 

Es gibt immer mehr Sportvereine, die zyklusbasiertes Training integrieren. Die Athletinnen können ihren Zyklus und damit einhergehende Symptome per App dokumentieren. Dementsprechend wird das Training angepasst. In Mannschaftssportarten ist das nur bedingt möglich und bezieht sich vor allem auf Aktivierung, Regeneration und die Ernährung. Um evidenzbasierte Aussagen treffen zu können, inwieweit solche Anpassungen zyklusbedingte Risikofaktoren bezüglich Kreuzbandrissen tatsächlich beeinflussen, braucht es mehr Zeit und Untersuchungen. 

Sportmediziner*innen gehen außerdem stark davon aus, dass es einen Zusammenhang zwischen Sportschuhen und Verletzungen bei Athletinnen gibt. Das Problem hierbei ist, dass die meisten Sportschuhe für Männerfüße entwickelt werden, Frauen jedoch durchschnittlich schlankere Füße haben und nach Sprüngen weniger auf dem Vorderfuß landen. Trotzdem sind Sportschuhe in der Damenabteilung in der Form oft identisch zu den Sportschuhen für Männer. Sie werden jedoch einfach kleiner und in anderen Farben verkauft. „Shrinking and Pinking, also „schrumpfen und pink machen, wird dieser Vorgang genannt. 

Wenn Frauen Sportschuhe kaufen, die eigentlich für Männer entwickelt wurden und deswegen nicht ideal auf den Fuß passen, kann das den Körper zusätzlich belasten und somit das Verletzungsrisiko erhöhen.  Allerdings ist dieser Bereich noch kaum erforscht.

Athletinnen wie Zoe Stens, die in ihrem Sport viel springen, sollten besonders auf das richtige Schuhwerk achten. Foto: Lars Breitzke.

Weitergehend haben neuere Studien ergeben, dass Sport-BHs wichtigen Einfluss auf die Knieverletzungsanfälligkeit von Athletinnen haben. Denn wenn der Sport-BH die Brust unzureichend stützt, wird das Körpergewicht anders verlagert als es im Optimalfall geschehen würde. Dies kann sich wiederum ungünstig auf die Körperhaltung auswirken und damit das Kniegelenk belasten. Forschungen haben zudem gezeigt, dass ein gutsitzender Sport-BH die Bewegungsmuster der Athletinnen beeinflusst. Das wirkt sich auf den Grad aus, wie das Knie gebeugt wird, was wiederum zur Stabilität des Kniegelenks beitragen kann. Das ist vor allem bei der Landung nach einem Sprung relevant. Die Größe der Brust ist ein verstärkender Faktor bezüglich solcher Relationen. Allerdings wäre es falsch zu folgern, dass Athletinnen mit größeren Brüsten grundsätzlich verletzungsanfälliger seien. Es gibt eine Vielzahl an individuellen Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit für Verletzungen beeinflusst. 

Gender Data Gap – Wie äußert sie sich im Sport? 

Die bisherigen Untersuchungen zur Verletzungsanfälligkeit des Kreuzbandes bei Frauen kratzen an der Oberfläche der Verletzungsgründe und risikosteigernden Faktoren. Bisher gibt es wenig wissenschaftliche Daten zur Verletzungsanfälligkeit von Frauen im Sport. Diese Tatsache wird Gender Data Gap genannt, also Geschlechter Daten Lücke und beschreibt den Umstand, dass es deutlich weniger wissenschaftliche Daten zu Menschen gibt, die keine Männer sind. Die meisten Studienergebnisse werden in Erhebungen mit Männern gewonnen. Das Problem dabei ist, dass viele solcher Studienergebnisse sich nicht einfach auf andere Geschlechter übertragen lassen. Dementsprechend müssen auch Trainingspläne für weibliche Athletinnen anders aufgebaut werden als für männliche, um Kreuzbandrissen vorbeugen zu können.  

Nach einem Kreuzbandriss verbringen Athlet*innen viel Zeit mit Behandlungen und Physiotherapie. Foto: Lina Seiffarth.

Für Profisportlerinnen ist die Thematik Kreuzbandriss allgegenwärtig, denn das Risiko ist hoch. Es braucht dringend mehr wissenschaftliche Evidenz zu dem Thema, damit die gesamte Sportwelt, von Trainer*innen über Sportverbände und Sportkleidungshersteller*innen, besser geschult werden können. Dann erst kann allumfassend präventiv gearbeitet werden, damit die Verletzungszahlen zukünftig deutlich sinken. Das Schließen der Gender Data Gap gehört darum unweigerlich zu dem Bestreben, den Leistungssport der Frauen weiter zu professionalisieren. 

Der Artikel spricht ausschließlich von weiblichen Athletinnen und männlichen Athleten, weil sich die Studien, die zur Fundierung dieses Artikels herangezogen wurden, auf dieses binäre System stützen und ausschließlich Cis*Menschen bedenken. Cis*Menschen sind Menschen, die sich mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen nach der Geburt zugewiesen wurde. Trans*- und Inter*Personen, also Menschen, die nicht dem binären Cis-Geschlechtssystem zuzuordnen sind, wurden in der Sportwissenschaft bisher wenig bedacht. Auch hier ist also die Gender Data Gap spürbar und sollte dringend aufgearbeitet werden. 

Quellen:
Cockburn, Paige. 2024. Wearing the wrong bra could put you at a greater risk of a knee injury, study suggests. Aufgerufen am 03.02.2025. URL: https://www.abc.net.au/news/health/2024-04-24/breast-support-bra-choice-linked-to-risk-of-acl-knee-injury/103736994?utm_campaign=abc_news_web&utm_content=link&utm_medium=content_shared&utm_source=abc_news_web.
Frühholz, Christine. 2024. Weiblicher Zyklus und Sport. Mehr als „Hormone“. Aufgerufen am 03.02.2025. URL: https://www.alpenverein.de/artikel/weiblicher-zyklus-und-sport_a832248c-a50a-4b1a-a2cb-db3d6c1bc6dd.
Hutterer. 2017. Geschlechtsspezifische Verletzungsmuster im Sport. Aufgerufen am 03.02.2025. URL: https://www.zeitschrift-sportmedizin.de/geschlechts%C2%ADspezifische-verletzungsmuster-im-sport/.
Hutterer. 2021. Zusammenhang von Menstruationszyklus, Leistung und Verletzungsrisiko. Aufgerufen am 03.02.2025. URL: https://www.zeitschrift-sportmedizin.de/zusammenhang-von-menstruationszyklus-leistung-und-verletzungsrisiko/.
Autor*in unbekannt. 2024. Verletzungsrisiken im Frauenfußball. Aufgerufen am 03.02.2025. URL: https://www.lfvm-v.de/verletzungsrisiken-im-frauenfussball/#:~:text=DChas%20allgemeine%20Verletzungsrisiko%20liegt%20mit,verändertem%20Stoffwechsel%20liegt%20(9).

Quellen:
Cockburn, Paige. 2024. Wearing the wrong bra could put you at a greater risk of a knee injury, study suggests. Aufgerufen am 03.02.2025. URL: https://www.abc.net.au/news/health/2024-04-24/breast-support-bra-choice-linked-to-risk-of-acl-knee-injury/103736994?utm_campaign=abc_news_web&utm_content=link&utm_medium=content_shared&utm_source=abc_news_web.
Frühholz, Christine. 2024. Weiblicher Zyklus und Sport. Mehr als „Hormone“. Aufgerufen am 03.02.2025. URL: https://www.alpenverein.de/artikel/weiblicher-zyklus-und-sport_a832248c-a50a-4b1a-a2cb-db3d6c1bc6dd.
Hutterer. 2017. Geschlechtsspezifische Verletzungsmuster im Sport. Aufgerufen am 03.02.2025. URL: https://www.zeitschrift-sportmedizin.de/geschlechts%C2%ADspezifische-verletzungsmuster-im-sport/.
Hutterer. 2021. Zusammenhang von Menstruationszyklus, Leistung und Verletzungsrisiko. Aufgerufen am 03.02.2025. URL: https://www.zeitschrift-sportmedizin.de/zusammenhang-von-menstruationszyklus-leistung-und-verletzungsrisiko/.
Autor*in unbekannt. 2024. Verletzungsrisiken im Frauenfußball. Aufgerufen am 03.02.2025. URL: https://www.lfvm-v.de/verletzungsrisiken-im-frauenfussball/#:~:text=DChas%20allgemeine%20Verletzungsrisiko%20liegt%20mit,verändertem%20Stoffwechsel%20liegt%20(9).

Von Charlotte Wahlen

Beitrag erstellt am: 03.06.2025 um 14:36 Uhr
Letzte Änderung am: 03.06.2025 um 21:52 Uhr