Bahnhofsmission – 125 Jahre Hilfe, wo es drauf ankommt

Mitarbeitende der Bahnhofsmission Köln.  Foto: Bahnhofsmission Köln.

Wie am Brennpunkt Bahnhof ein sicherer Hafen für Obdachlose geboten wird.

Selbstbestimmt und würdevoll leben. Das ist etwas, worüber sich die meisten von uns wohl wenig Gedanken machen müssen.

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Es gibt wohl kaum einen prägnanteren Satz in der deutschen Sprache – und es gibt wohl kaum einen Teil der Bevölkerung, der öfter mit genau diesem Satz konfrontiert wird, als Menschen, die von Obdachlosigkeit betroffen sind.

Stigmatisiert, abgewertet und ohne Autonomie. Das ist die Realität von 50.000 Obdachlosen in Deutschland. Köln ist mit 12.580 Wohnungslosen der Spitzenreiter in NRW. Dabei ist der Kölner Hauptbahnhof ein Hotspot. Zwischen all dem Trubel und dem Lärm sitzen und liegen in jeder Passage Menschen, die dauerhaft auf der Straße leben. Denn besonders in Bahnhofsnähe bündeln sich Hilfsorganisationen, Essensausgaben und Konsumräume.

Und mittendrin befindet sich die Bahnhofsmission in Abschnitt E auf Gleis 1. Schon seit 1899 gibt es die Hilfsorganisation in Köln. Trotz des gelben Schildes, das über der Eingangstür hängt, und den Hinweisen, die im Bahnhof verteilt sind, ist sie für Reisende von außen leicht zu übersehen.

Ebenfalls leicht von der Gesellschaft zu übersehen sind viele der Menschen, die sich in der Bahnhofsmission aufhalten. Alleine, zu zweit oder auch zu dritt, sitzen sie an den Tischen im Gastraum, unterhalten sich, lesen ein Buch, Zeitung oder trinken einfach nur ein Getränk. 365 Tage im Jahr von 8 bis 18 Uhr bietet das Team bestehend aus rund 70 ehrenamtlichen und 5 hauptamtlichen Mitarbeiter*innen sowie wechselnden Bundesfreiwilligen, Praktikant*innen und studentischen Hilfskräften, jeglichen hilfesuchenden Menschen am Kölner Hauptbahnhof ihre Unterstützung an.

Gast der Bahnhofsmission Köln. Foto: Bahnhofsmission Köln.

Der Beginn der Bahnhofsmissionen

Dabei hat sich der Aufgabenbereich der Bahnhofsmission über die Jahrhunderte hinweg grundlegend verändert. Die Geschichte der Bahnhofsmissionen beginnt mit der Industrialisierung: Mädchen und Frauen ziehen aus den ländlichen Gebieten in Großstädte, darunter auch Köln. Dabei sind viele dieser Frauen der Ausbeutung am Arbeitsplatz, Gefährdung durch unseriöse Angebote sowie der Bedrohung durch Mädchenhandel ausgesetzt. Und damit hatte die Geburtsstunde der Bahnhofsmissionen geschlagen

Die sozialen Brennpunkte waren nun die Bahnhöfe, da genau hier besonders viele Frauen und Mädchen ankamen. Zunächst kümmerten sich ausschließlich Frauen um die ankommenden Reisenden. Sie halfen da, wo Ratlosigkeit und Isolation am größten waren, nämlich bei der Ankunft. Somit sollte verhindert werden, dass die Frauen schutzlos in die Arme angeblicher ,,Helfer” liefen. Sie vermittelten die Frauen weiter in preiswerte Unterkünfte und in seriöse Arbeitsstellen. Mit den Veränderungen in der Gesellschaft veränderten sich auch die Bahnhofsmissionen, ihre Aufgabenbereiche und ihre Gäste.

Während des Ersten Weltkrieges halfen die Mitarbeiter*innen bei Verwundetentransporten, vermittelten Angehörige weiter und unterstützten die Betreuung von Flüchtlingen. In der Zeit des NS-Regimes wurden die Bahnhofsmissionen zunehmend in ihrer Arbeit behindert und 1939 schließlich verboten. Nach Kriegsende wurden die Hilfsorganisationen neu organisiert: Die Mitarbeiter*innen spendeten den Massen an Wohnungslosen, Geflüchteten, Heimkehrer*innen und Verwundeten Trost und materielle Güter.

In den sechziger Jahren wurde die Bahnhofsmission mehr und mehr zur Anlaufstelle für Menschen mit den unterschiedlichsten Problemen: Gastarbeiter*innen und ihre Familien, Rentner*innen, und in den achtziger Jahren dann auch Aussiedler*innen aus Osteuropa sowie Ostdeutsche nach dem Mauerfall.

Die Rolle der Bahnhofsmission in der Obdachlosenhilfe

Die Angebote der Bahnhofsmissionen unterscheiden sich in einigen Städten voneinander. Ein Großteil der Arbeit der christlichen Hilfsorganisation macht aber überall die Beratung und Vermittlung aus. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen übernehmen die Tätigkeit des ,,Lotsen” im sozialen Hilfenetzwerk: Sie beraten Menschen in schwierigen Notsituationen niederschwellig und vermitteln diese dann weiter an diverse Ämter und/oder Beratungsstellen. Dabei steht immer das sozialarbeiterische Motto ,,Hilfe zur Selbsthilfe” im Fokus.

Besonders Menschen in prekären Wohnsituationen sowie wohnungs- und obdachlose Menschen nehmen diese Hilfe in Anspruch. Auch die Zahl der Drogenabhängigen und psychisch Erkrankten steigt immer weiter an und stellt eine besondere Herausforderung dar.

Es gibt unterschiedliche Angebote, je nachdem, ob eine Suchterkrankung vorliegt oder ob jemand eine EU-Staatsangehörigkeit besitzt. Auch das Alter und Geschlecht spielt eine Rolle. Die Mitarbeiter*innen der Bahnhofsmission kennen sich in dem wirren Geflecht an Angeboten aus und können Orientierung bieten.

Neben der Beratung ist auch die Unverbindlichkeit ein wichtiger Aspekt. Sie hilft dabei, den Gästen einen Hauch von Autonomie zurückzugeben. Niemand muss beraten werden, wenn er oder sie das nicht möchte. Wer mag, kann mit den Mitarbeiter*innen auch einfach quatschen. Über Fußball, das Wetter; eben über alles Mögliche.

Der Gastraum, der den Gästen in Köln zur Verfügung steht, ähnelt einem Café. Bilder, die in einem Malprojekt zusammen mit den Gästen gemalt worden sind, hängen an den Wänden. Auf den Fensterbänken stehen Blumen. Ein Regal mit Büchern und Zeitschriften steht in einer Ecke. Hier finden viele einen Schutzraum. Die Gäste können für 50 Cent einen Kaffee kaufen. Tee gibt es auch; den ersten umsonst. Kostenloses Wasser sowieso. Dass manche Getränke etwas kosten, hat einen Sinn: Die Gäste empfinden, dass sie sich das Getränk selbst leisten können und gehen zudem achtsamer damit um.

Auch Essentielles bietet die Bahnhofsmission Köln: eine Krankenliege, Pflaster und Verbände sowie eine Toilette können die Gäste in Anspruch nehmen. Zudem gibt die Bahnhofsmission einige Hygieneartikel, Unterwäsche und im Winter auch Mützen, Schals und Handschuhe aus.

Die Bahnhofsmission möchte jedoch keine alltagsstrukturierende Einrichtung sein. Damit die Gäste nicht den ganzen Tag in der Organisation verbringen und die überschaubaren Plätze besetzen, ist der Aufenthalt auf eine Stunde pro Schicht begrenzt.

Eine weitere wichtige Aufgabe der Bahnhofsmission Köln ist der sogenannte ,,Ausgehende Dienst”. Mindestens zwei Mitarbeiter*innen gehen hierbei bestenfalls einmal pro Schicht durch den Bahnhof, verteilen im Sommer Wasser und Sonnencreme, im Winter heißen Tee an Obdachlose und helfen bei Fragen von Reisenden. Vor allem aber zeigen sie mit ihren blauen Westen Präsenz und Ansprechbarkeit.

Ein weiteres besonderes Angebot mit dem bewusst gewählten Namen ,,Frauenzimmer” findet jeden ersten Samstag im Monat von 14.30 Uhr bis 17.30 Uhr statt: Dann ist die Bahnhofsmission nur für Frauen geöffnet. Das Angebot wird gern wahrgenommen, nicht nur von wohnungslosen Frauen, sondern genauso von welchen, die in prekären Umständen leben.

Beratungsgespräch zwischen einer Kollegin der Bahnhofsmission Köln und einer Bedürftigen. Foto: Bahnhofsmission Köln.

Die Ansprüche der Bahnhofsmission

Die Bahnhofsmission ist vieles. Ein Ansprechpartner. Ein Schutzraum. Ein Seismograph, der Ausschläge und Veränderungen in der Gesellschaft erkennt und an die lokale Politik weitergibt. Aber vor allem versucht sie ihren Gästen das zu schenken, was diese oftmals verloren haben. Selbstbestimmung, Autonomie und Würde. Schon das Bezahlen eines Kaffees für 50 Cent, das Tratschen über Belanglosigkeiten, das Wissen, dass man nicht bevormundet wird, gibt vielen Menschen ein Stück ihrer Würde zurück.

Begründet auf einem christlich-ökumenischem Leitbild, steht die Bahnhofsmission für ein friedliches Zusammenleben, ein stetiges Zusammenwachsen und eine fortwährende Weiterentwicklung.

Die Bahnhofsmission ist keine Obdachlosenhilfe und das versucht sie auch nicht zu sein. Eine weitere Hauptaufgabe ist das Helfen bei Ein- und Ausstiegen am Gleis. Es gibt zudem einen Bereich für Kinder, einen Rollstuhlverleih, einen Begleitservice im Zug, Führungen durch den Bahnhof und Kulturangebote. Alle, die sich am Bahnhof in Not befinden, können sich an die Hilfsorganisation wenden; auch, wenn es beispielsweise nur darum geht, sich an einem ruhigen Ort aufhalten zu können oder um das Handy zu laden.

Zu unterscheiden ist zwischen Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit. Die genaue Anzahl an Menschen, die von Obdachlosigkeit betroffen sind, ist schwer zu erfassen.

Es gibt mehr als 100 Bahnhofsmissionen in Deutschland. Viele unterscheiden sich in ihrer Größe, Angeboten und Trägern; der Leitfaden und die christlichen Werte, die hinter der Bahnhofsmission stehen, sind jedoch in ganz Deutschland dieselben.

Von Naina Arora

Beitrag erstellt am: 30.05.2025 um 09:40 Uhr
Letzte Änderung am: 30.05.2025 um 09:40 Uhr

... studiert Sozialwissenschaften an der Universität zu Köln. Besonders interessiert ist sie an Themen rund um Kriminologie, Extremismus und Radikalisierung sowie soziale Ungleichheit. In ihrer Freizeit hört sie am liebsten Musik und baut währenddessen Lego oder Miniaturen, wenn sie mal die Zeit dazu findet, oder streichelt Katzen.