In diesem Artikel geht es um Tod und tote menschliche Körper.
Die bereits weltweit bekannte Ausstellung Körperwelten ist nach vierzehn Jahren wieder in Köln zu Besuch. Von Juni bis Anfang Dezember können sich die Besucher*innen auf die Reise durch den menschlichen Körper begehen. Unter dem Motto Zyklus des Lebens präsentiert die Ausstellung eine Vielzahl an plastinierten (Mehr dazu in der Infobox) menschlichen Exponaten, die nicht nur die Funktionen und den Aufbau des menschlichen Körpers offenlegen, sondern auch die Auswirkungen unterschiedlicher Lebensstile und Krankheiten veranschaulichen. Der Gründer der Ausstellung Dr. Gunther von Hagens und die Kuratorin Dr. Angelina Whalley halten ihrem Publikum einen Spiegel vor, der die sonst verborgenen Schichten ihres Körpers aufdeckt und die Zerbrechlichkeit sowie die Komplexität der menschlichen Gesundheit in den Fokus setzt.
Zu Beginn zeigt die Ausstellung menschliche Föten und Embryos, die unterschiedliche Entwicklungsstadien erreicht haben. Im Weiteren werden sowohl ganze Körper als auch Körperteile der ausgewachsenen Menschen im bestimmten Kontext gezeigt. Insgesamt bietet die Ausstellung einen einzigartigen Einblick in die menschliche Anatomie, der allerdings gemischte Gefühle auslöst. Faszination, Befremdung, Erhellung, Verstörung und Ekel – wenige Ausstellungen polarisieren so stark. Und moralisch stellt sich die Frage: Ist es in Ordnung, dass das Publikum die perfekt präparierten Menschenleichen im Glaskasten bestaunen darf?
Neben der anatomischen Aufklärung ist es den Organisatoren der Ausstellung ein Anliegen, dass ihre Besucher*innen ein paar Weisheiten einer gesunden Lebensweise mit auf den Weg nehmen. Denn ein Menschenkörper ist vor allem „Ergebnis eigener Lebensführung“, wie es direkt am Anfang der Ausstellung heißt. Diese Weisheiten enthalten kein bahnbrechendes Geheimwissen, sondern beziehen sich auf ziemlich banale Dinge wie Sport, gesunde Ernährung, ausreichend Schlaf und wenig Stress. Mit diesen Faktoren sind meist verbreitete Todesursachen wie Schlaganfall oder Herzinfarkt verbunden. Diese werden anhand entsprechender Organe oder Körpersysteme auf ihre Ursprünge zurückgeführt und veranschaulicht. Besonders eindrucksvoll bleibt der Vergleich der Raucher- und Nichtraucherlunge. Die Konsequenzen ungesunder Lebensweisen verlassen auf diese Weise den theoretischen Bereich und werden sehr real und greifbar.
Aber auch wenn die gegenwärtige Auseinandersetzung mit dem menschlichen Körper die Besucher*innen zu Verbesserungen sowie Veränderungen eigener Lebensweise anregt, ist eine nachhaltige Wirkung zu bezweifeln. Denn die beschriebenen Voraussetzungen im Rahmen der Ausstellung zu sehr romantisiert werden. Das echte Leben ist demnach nicht so einfach an die Vorschriften anzupassen, die im Kontext der Körperwelten aufgelistet sind.
Der zentrale Punkt, der die Meinungen über Körperwelten stark polarisiert, ist die Nutzung und Darstellung der toten menschlichen Körper. Das ist die bereits erwähnte moralische Frage, die den umstrittenen Ruf der Ausstellung in ihren Anfängen formte und bis heute nicht loslässt. Im Jahr 1997 wurden plastinierte Menschenkörper von Gunther von Hagens zum allerersten Mal in Deutschland ausgestellt. Die Ausstellung war eine Sensation – im positiven und im negativen Sinn zugleich. Es gab viele Kritiker*innen, die diese Art menschliche Leichen zu zeigen ethisch verwerflich und pietätlos fanden. Und selbst nach 27 Jahren verstummen die kritischen Stimmen nicht.
Während einige die Körperspende für Plastination und Ausstellung moralisch unmöglich finden, können sich andere keinen besseren Zweck für ihren Körper nach dem Tod vorstellen. Grundsätzlich steht fest: wer sich zu seinen Lebzeiten durch eine Einwilligungserklärung für eine Körperspende am „Institut für Plastination“ entscheidet, darf in Zukunft teilweise oder gänzlich ausgestellt werden. Besonders skurril erscheint an dieser Stelle die Meinung der Mediziner Christoph Mayer und Dr. Andrej Kral aus dem Ärzteblatt im Jahr 2004. Sie halten die Entscheidung über eigene Körperspende für belanglos und nicht beachtenswert. So eine Einwilligung sei nach dem Tod der potenziellen Körperspender*innen „aus ethischer Sicht irrelevant und enthebt uns nicht der kritischen Zurkenntnisnahme eines unbestreitbar würdelosen Umganges mit den Toten.“ Es gibt allerdings keine andere Person, die darüber entscheiden darf, was mit dem eigenen Körper nach dem Ableben geschieht, als deren Besitzer*innen selbst. Diese Meinung ist demnach genauso umstritten, wie die Ausstellung selbst.
Da Authentizität zu den zentralen Werten der Ausstellung gehört, sind die ausgestellten Föten sowie Embryos ebenso echt. Aber ist die Verwendung von ihnen genauso moralisch vertretbar wie bei den erwachsenen Menschen? Denn während die Erwachsenen über ihre eigene Körperspende entscheiden dürfen, wird über die Föten und Embryos von ihren Eltern als deren Besitz entschieden. Dass sie nicht für sich selbst entscheiden können, heißt nicht, dass ihr Einverständnis vorausgesetzt werden sollte. Darüber hinaus trägt ihre Darstellung der Ausstellung durch die ausbleibende Sezierung nicht viel bei. Sodass diese genauso gut durch künstlich hergestellte Prototypen ersetzt werden könnten. Ethiker und Philosoph Franz Joseph Wetz sagt im April 2024 für die Sendung „buten un binnen“, dass die Menschenwürde auch in diesem Fall nicht verletzt wird. „Zum einen, weil die Freiwilligkeit der Körperspende gewährleistet wird und der Respekt vor dem Menschlichen in der Ausstellung spürbar sei“, erklärt er. Aber genau um die erwähnte Freiwilligkeit geht es, wenn man an die Föten denkt. Streng genommen ist diese Freiwilligkeit nicht möglich und sollte mit einem größeren Bedenken behandelt werden als die Verwendung der erwachsenen Körper.
Es gibt viele andere Aspekte, die dazu veranlassen einer kritischen Meinung über die Körperwelten-Ausstellung zu sein. Die Gründe dafür liegen zwar in der Vergangenheit, bieten aber einen wichtigen theoretischen Hintergrund. Im Fokus ist dabei die am meisten relevante Person, wenn es um Körperwelten geht – der Erfinder der Plastination und Gründer der Ausstellung, Gunther von Hagens.
Seit 1997 gibt es viele Spekulationen darüber, was die Herkunft der menschlichen Exponate betrifft. Bis hin zu Vorwürfen seitens des Spiegels, dass von Hagens Leichen von chinesischen Hinrichtungsopfern benutzt habe. Weder die Vorwürfe noch die Unschuld des Gründers wurden bewiesen. Die fehlenden Versuche diese Vorwürfe zu widerlegen liefern allerdings einen zusätzlichen Grund dem Spiegel zu glauben. Wie es im FAZ-Artikel vom 22.01.2004 steht, sagte er: „Ich habe niemals Hinrichtungsopfer zu Präparaten verarbeitet.“ Diese undeutliche Aussage schließt den illegalen Erwerb der Leichen allerdings nur in Bezug auf die ausgestellten Präparate aus und nicht auf die Beschaffung der Körper per se.
Ähnliches Unbehagen löste eine im Jahr 2010 veröffentlichte Neuigkeit aus. Von Hagens gründete einen Online-Shop für menschliche und tierische Präparate. Von Hagens soll diese nicht nur zu Forschungszwecken, sondern auch an private Sammler*innen verkaufen. Ob dies ausdrücklich verboten wurde oder ob der Körperwelten-Gründer sich umentschieden hat, ist nicht klar. Beim Besuch seines Online-Shops können aber nur Ärzt*innen und Wissenschaftler*innen den Kauf tätigen, die sich anhand einer per E-Mail zugesandten Erklärung akkreditieren müssen. So oder so bleibt die Vorstellung darüber, dass präparierte Leichen im Internet gekauft werden können abstoßend, da besonders digitale Käufe leicht zu manipulieren und zu fälschen sind.
Fünf Jahre später eröffnet Gunther von Hagens die Dauerausstellung der Körperwelten in Berlin, die bis heute am Fernsehturm zu finden ist. Kurze Zeit darauf startete ein Rechtsstreit zwischen dem Aussteller und dem Bezirksamt Berlin-Mitte, der mehrere Jahre andauerte: Durch die Anonymität der Leichen konnte nicht nachgewiesen werden, ob eine entsprechende Einwilligungserklärung vorlag. Die Ausstellung durfte bleiben, unter der Voraussetzung, dass die Leichen mit einer entsprechenden Einwilligungserklärung im Voraus angemeldet würden. Außerdem sollten die Labore in Heidelberg und Guben stichprobenartig besucht werden können.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass diese Ausstellung bis heute vielseitig umstritten bleibt. Bei der ethischen Bewertung der Ausstellung wäre es nicht möglich und schließlich nicht richtig, über die beschriebenen Vorkommnisse hinwegzusehen. Dennoch lässt sich hoffen, dass die Organisator*innen aus ihren Fehlern gelernt haben und einen transparenten Neuanfang schaffen.
Die Ausstellung Zyklus des Lebens in Köln präsentiert eine Reihe spannender und äußerst lehrreicher Exponate, die das Interesse an der Anatomie weckt. Darüber hinaus sind die Beschreibungen leicht verständlich konzipiert. Das erleichtert es den Besucher*innen, eine große Menge an Informationen zu verstehen und schnell zu sortieren. Neben der Theorie kann Herzdruckmassage geübt oder der eigene Blutdruck gemessen werden. Zum Schluss gibt es ein paar Tipps für ein längeres, gesünderes und glücklicheres Leben sowie eine Möglichkeit festzuhalten, was die Besucher*innen vor ihrem Tod machen möchten. Ob sie ihre Körper dann der Ausstellung spenden würden, bleibt ihnen überlassen.
Um aus einem toten menschlichen Körper ein Plastinat zu machen, wird ihm als Erstes Formalin über die Arterien injiziert. Dies stoppt die Verwesung des Körpers. Im Anschluss werden Haut, Fett und Bindegewebe entfernt. Um den Körper zu entwässern und zu entfetten wird er in ein Azetonbad gelegt. Nächster Schritt ist zentral: das Azeton wird durch Kunststoff in einer Vakuumkammer ausgetauscht. Danach kann der Körper entsprechend positioniert, fixiert und je nach Kunststoff gehärtet werden (mithilfe von Licht, Wärme oder Gas).
Eckdaten der Ausstellung: Wo? – auf der Oskar-Jäger Str. 99 (Haltestelle Melatengürtel); Wann? – noch bis zum 8. Dezember; Studierendenrabatt? – ermäßigter Eintritt für 15 Euro (Mo-Fr), für 17 Euro (Sa-So) oder 2for1 Montag für 15 Euro.
Von Anna Pashchenko
Beitrag erstellt am: 28.11.2024 um 06:15 Uhr
Letzte Änderung am: 28.11.2024 um 06:15 Uhr
Über Anna Pashchenko
... studiert Deutsche Sprache und Literatur sowie English Studies an der Universität zu Köln. Neben dem studentischen Alltag versucht sie ihre ersten Erfahrungen im Kulturjournalismus zu sammeln. Ihre Freizeit verbringt sie gerne mit einem Buch oder bei einer spannenden Ausstellung.