Ignoranz ist keine Entschuldigung

Bildbeschreibung: Das Foto ist schwarz-weiß und bildet eine Tür mit wellenförmiger Holzmaserung ab, auf welcher sich der Schatten eines Menschen in einem Universum-farbenen gesättigten schwarz abzeichnet. Er deutet an, dass eine Person mit dem Rücken zur Tür steht und nicht im Profil schattiert ist. Die Person ist dicht dran, sodass ihr Schatten in der Mitte des Halses und des Rumpfes abgeschnitten wird und trägt einen Ohrring, dessen Schatten auf der Tür erkennbar ist. Es ist „they“, das Pronomen, lesbar. Die Buchstaben verlaufen vertikal nach unten, da sie untereinander hängen. Das Bild ist nicht ebenerdig, sondern aus einem schrägen Winkel aufgenommen. Die Stimmung ist anonym und individuell zugleich. Der Fokus liegt auf der Eigenschaft des Queerseins.
Genderqueere Menschen sind überall, aber die Wahrnehmung vieler räumt unserer Existenz keinen Platz ein. Foto: Sascha Thierry Esequiyl Rubel.

Problematisches cis Verhalten an der Uni – ein Que(e)rschnitt aus nonbinärer Sichtweise.

Während sich marginalisiert-werdende Menschen mit mentalen Verletzungen durch die Welt bewegen, bewegen sich Diskriminierende sinnbildlich mit Salzfässern durch die Gesellschaft und streuen permanent in diese Wunden hinein. So können Menschen nur schwer heilen. Mikroaggressionen oder scheinbar kleine Ausschlüsse müssen daher innerhalb größerer Kontexte wahrgenommen werden. Auch Nonbinarität ist eine diskriminiert werdende Identität, welche viele cis Personen nicht wahrhaben wollen. Wie äußern sich dessen Folgen an der Uni und welche Lösungen kann es geben?

Seminarmotto: Deine Existenz? Ein Mythos!

Univeranstaltungen starten oft mit den Worten „Sehr geehrte Damen und Herren“, sodass alle Menschen im Raum angesprochen werden – nur nicht die genderqueeren oder nonbinären Menschen, die sich so nicht nennen. Eine dabei übergangen werdende Lösung wäre ein einfaches „Liebe alle“ oder „Sehr geehrte Damen und Herren et alia“.

In den Geisteswissenschaften stammen die meisten Seminartexte von weißen, nicht behindert-werdenden endo, cis Männern; höchstens noch von endo, cis-zentrierenden „Feministinnen“, welche trans*-spezifische Belange anderer Frauen – aber auch be_hinderter Personen, Queers und von Bi*PoC übergehen. Sie nehmen in der Regel keine intersektionalen Erfahrungen als Anliegen ernst und arbeiten nicht mit den genannten Personen zusammen.

Fehlende Repräsentation sorgt dafür, dass sich Personen an der Uni buchstäblich nicht in den Positionen sehen können, auf welche sie hinarbeiten. Texte von non‐binären Autor*innen dürfen daher von Dozierenden gezielter eingebracht werden. Es sollte im Sinne der Gleichstellung gefördert werden, dass mehr nonbinäre und marginalisiert-werdende Personen insgesamt promovieren. Intersektionalitätserfahrungen nehmen in den Wissenschaften als Anliegen aller Menschen zu wenig Raum ein.

Uni und Infrastruktur: Ein ewiges Dazwischenhängen

Mit jedem Gang zu den meisten Uni-Toiletten sind wir gezwungen, einem Schild an der Tür zuzustimmen, das unsere Existenz verkennt. Cis Personen sprechen non-binäre Menschen dauernd darauf an, dass wir in diesen Räumen ‚falsch‘ seien. Dies drückt aus: „Ich habe nicht erwartet, dass du du bist. Ich leugne oder bin etwas davon enttäuscht, dass du du bist.“ Ich sage: Wer sagen will „das ist die Herrentoilette“, muss erst eine nonbinäre Toilettenanlage anbieten.

Ein schwarz-weiß gehaltenes Bild mit einem Toilettenschild, auf dem eine Person im Kleid und eine Person im Anzug abgebildet werden. Zwischen ihnen ist ein weißer abtrennender, vertikaler Balken. Sie stehen für eine binärgeschlechtliche Raumaufteilung.
Binäre Geschlechtsmodelle schaffen im Alltag Alternativenlosigkeit. Sie setzen dort ein Ausrufezeichen, wo ein Fragezeichen nach der Fülle an Identitäten stehen könnte.  Foto: Sascha Thierry Esequiyl Rubel.

Sich unwahrnehmbar zu fühlen, macht auf die Dauer krank. Im Alltag ist das Ignorieren von Nonbinären darüber hinaus eine konkrete Gefahr: Wenn eine Person als Student*in in die Unisportumkleiden kommt und in keinem der beiden binär-gegenderten Räume willkommen oder sicher ist, kann dies angsteinflößend sein. In den Umkleiden gibt es keine Hinweise darauf, dass tina* (trans*, inter*, nonbinäre, agender) Personen existieren und diese Räume besuchen.

Eine Ausschilderung könnte unsere Existenz von vornherein normalisieren. Sie könnte hervorheben, dass unsere Sicherheit schützenswert ist und verurteilen, dass nicht-queere / cis Personen Gewalt an uns üben. Dass diese Räume teilweise entgendert werden, es zum Beispiel mindestens eine genderneutrale Umkleide für alle gäbe, wäre für unser Wohlergehen dringend nötig.

„Schon wieder das Gender-Thema“ – wird erst gesagt, sobald Zweigeschlechtlichkeit aufgebrochen wird

Es ist in Seminarkontexten paradox, dass Queers als die Einzigen dargestellt werden, die das Thema „Geschlecht“ aufbrächten. Dabei wehren wir uns lediglich gegen die Projektion eines falschen Geschlechts auf unser Selbst und unsere Körper. Das Zweigeschlechtlichkeit normierende cis-System oder Cistem selbst macht Geschlecht zum Dauerthema – besonders dort, wo es weggelassen werden könnte und sollte.

Unsere Identitäten werden schon in der Kindheit massiv übergangen. So sehr, dass wir nicht einmal darauf kommen, dass dieser so wichtige Teil unseres Wesens möglich ist. Als nonbinäre Personen werden unsere Körper schon vor der Geburt gegen uns verwendet. [TW] Personen schauen Föten zwischen die Beine, um zu feiern, dass sie sie in einer auferlegten Geschlechterrolle großziehen werden. Wir haben dabei kein Mitspracherecht. Auch später reduzieren uns cis Menschen auf eine pseudobiologische Geschlechtlichkeit, die vor der Körperlichkeit im Ganzen priorisiert wird. Cis Menschen fragen uns einfach so [TW] nach unseren Genitalien oder analysieren unsere Körper. Innerhalb ihrer Ideale können wir nie als wir selbst existieren, sondern werden immer umgedeutet. Diese Ideale wurden gegen uns entworfen und nicht für uns und zerbrechen im Angesicht unserer Existenz. Der Körper einer Person ist so lange wie diese selbst nonbinär, egal welche Organe diese Person hat oder hatte. Organe zu gendern, ist eben nicht neutral, sondern ein Machtmittel. Leiden wir? Ja. Unter cis-Dominanz, die uns davon abhält, wir selbst zu sein und uns nie wahrhaben will. Nicht darunter, dass wir nonbinär sind.

Starke Vorbelastungen und stärkeres Übergangenwerden an der Uni

Wir gehen insgesamt als stark missbraucht werdende Menschen durch die Uni: Auf unseren Personalausweisen stimmen die Namen nicht. Wir genießen keine körperliche Selbstbestimmung, sondern einen an die pathologisierende Diagnose [TW] „Transsexualismus“ gebundenen Kampf mit den Krankenkassen. Andauernd misgendern uns Personen, verwenden falsche Anreden und Pronomen für uns. Ihre Abwehr: „Konnte ich nicht wissen, dass du nonbinär bist.“ – Woher konntest du dann ‚wissen‘, dass ich vermeintlich ein anderes Ge‐ schlecht hätte als meines?

Jeder Tag ist geprägt von Marginalisiertenstress, oft im intersektionalen Kreuzfeuer mehrerer Unterdrückungsmechanismen. Manche von uns haben mit genderaffirmierenden / selbstbestimmten OPs, Erschöpfung, [TW] Depressionen oder einer zweiten Pubertät umzugehen. Das Bafög-Amt kümmert dies nicht, die Abgabefristen-festlegenden Personen an der Uni auch wenig.

Feministische Kreise des Uni-Aktivismus zentrieren cis Personen – besonders im weißen cis Feminismus. In einem Tortenmodell, in dem sich genderqueere und cis-weibliche Lebensrealitäten überschneiden, würden dementsprechend endo cis Frauen die Schnittmenge in ihrer Farbe einfärben und vertreten: „Gemeinsamkeiten ja, aber nur, wenn sie aus unserer Sicht sind und wir einen Kampf für unsere Gruppe vertreten. Als ihr selbst lassen wir euch aus. Eure Perspektive fällt weg. Trans* Männer wollen wir erst zwangsouten und auf ihre Gemeinsamkeit mit uns hin prüfen.“ – Cis Frauen machen uns nicht zur Überschrift, sondern belassen uns ständig in der Fußnote.

Zwei Kreise sind abgebildet. Der linke Kreis ist warm rosa und somit in einer Farbe gestaltet, die nach binärem Denken zur jetzigen Zeit in europäischen Kreisen Weiblichkeit symbolisiert. Dieser Kreis ist mit "Diskriminierung an cis Frauen" beschriftet. Der andere Kreis ist mit einem Farbverlauf in den Farben der nonbinären Flagge versehen. Darauf steht "Diskriminierung an nonbinären & genderqueeren Menschen". Die beiden Kreise überlappen sich und diese Schnittmenge ist mit "geteilt" beschriftet. Der cis Frauen Kreis ist mit einem Arm versehen, welcher einen breiten Farbpinsel hält und die Schnittmenge anmalt. Die Schnittmenge ist in der Farbe des cis Frauen Kreises angemalt. Die Kreise wurden mit kontrastreichen Rändern versehen, um barrierearm zu wirken.
Keine richtige Intersektionalität: Nur eine Form der Unterdrückung zu zentrieren, führt zur Eindimensionalität. Foto: Sascha Thierry Esequiyl Rubel / .

Ignorante Unbeschwertheit versus Zusammenbrüche: Ein gesellschaftliches Ungleichgewicht

In so manchem Seminar sitzt ein weißer cis Mann, der um nichts fürchten muss. Er hat zum Beispiel keinen psychisch zermürbenden Prozess der Namensänderung vor sich. Er reproduziert stattdessen pseudo-wissenschaftlich: „Genetisch bist du halt bla“ – Obwohl die von ihm angesprochene nonbinäre Person nie einen Gentest gemacht hat. Er habe nichts vom diskriminierenden Charakter seines Verhaltens gewusst, aber sein Unwissen hat einen Grund und ist nicht zufällig: Er hat sichergestellt, nichts dazuzulernen. Er hat sichergestellt, dass die Machtstruktur, die ihn privilegiert, die gleiche bleibt, indem er nichts verändert und uns nicht glaubt, wer wir sind. Seine Ausrede ist in Wahrheit ein schamloses Schuldeingeständnis. Für eine gesellschaftliche Veränderung ist Ignoranz nicht genug. Ignoranz ist sein und unser Problem.

Editorischer Hinweis zur Onlineversion vs. der Druckversion:

Aufgrund von Umständen, welche nicht in meiner Kontrolle waren, wurde in der Druckversion „weiß“, das die gesellschaftliche Position meint, nicht durchgehend kursiv geschrieben. Dies wurde in der Onlineversion korrigiert.

Perspektivenhinweis
Dieser Artikel wurde von einer weißen*, nicht-religiösen, non-binären, mehrfach behindert-werdenden, neurodiversen, Sexismus erfahrenden und dünnen, endo (Gegenteil von inter) Person verfasst. Die dargestellte Perspektive kann einer Einschätzung der Fülle an Lebensrealitäten und Belangen aller nonbinären und auf verschiedene Weisen genderqueeren Personen nicht genügen. Sie muss daher als eine bestimmte Perspektive, die neben anderen steht, verstanden werden. Das verwendete „wir“ soll dazu einladen, die dargestellten Situationen als geteilte wahrzunehmen. Es soll sie nicht als für alle Genderqueeren allgemeingültig generalisieren. Weitere Perspektiven, insbesondere die von BiPoC (Black, indigenous & People of Colour sowie weitere) müssen Geltung erfahren und erübrigen sich nicht durch die Schilderungen in diesem Artikel. Strukturelle Diskriminierungsweisen, über die berichtet werden, können anders aussehen als hier festgehalten, aber prinzipiell ähnlich verlaufen, wenn sie Teil von sich überschneidenden Diskriminierungsformen oder Intersektionalitätserfahrungen sind. Die Behebung des Unrechts Diskriminierung fordert der Artikel hiermit ausdrücklich; da Antidiskriminierung nur zusammen geht und nicht gelungen ist, wenn sie nicht alle Menschen betrifft. Sollte dieser Artikel trotz Recherchen Diskriminierungen reproduzieren, so ist dies nicht zu entschuldigen. Wir verantworten dies. Für Feedback sind wir kontaktierbar. Zu diesem Artikel gibt es ein gleichnamiges Quellendokument unter linktr.ee/saschathierryk.

Von Sascha Thierry Esequiyl Rubel (they)

Beitrag erstellt am: 08.11.2024 um 11:33 Uhr
Letzte Änderung am: 08.11.2024 um 11:38 Uhr