Frei wie ein Edelweiß

Ein Schwarz-Weiß Foto mit zwei jungen Frauen und einem jungen Mann. Die Frau links hält eine Gitarre.
Die junge Gertrud, „Mucki“ Koch (links) bei einem Ausflug mit Freunden. Neben der Natur zählte das Musizieren zu Kochs Leidenschaften. Foto: NS-Dok Köln.

Gertrud Koch erlebte die Schrecken der NS-Herrschaft in jungen Jahren und wurde zur Widerstandskämpferin. Die bewegende Geschichte einer mutigen jungen Frau.

Deutschland, vor knapp 80 Jahren. Eine Gruppe junger Menschen ist sich einig, dass etwas gegen die Diktatur der Nationalsozialisten getan werden muss. Sie verabreden sich, in ihren Taschen befinden sich Flugblätter, von denen sie hoffen, dass sie die Menschen zum Nachdenken bringen. Bei diesen Zeilen denken vermutlich viele an die Widerstandsgruppe Weiße Rose um Hans und Sophie Scholl. Aber diese Szene spielte sich nicht in der Ludwig-Maximilians-Universität München ab, sondern im Kölner Hauptbahnhof. Von der Glaskuppel des Hauptbahnhofs aus werden diese Flugblätter abgeworfen und segeln wie papierne Schneeflocken zu Boden. Geplant und durchgeführt wurde diese Aktion von einer Edelweißgruppe. Die junge Gertrud Koch, geborene Kühlem, ist Teil dieser Gruppe. Doch während der Name der mutigen Geschwister Scholl und ihren Mitstreitenden landesweit bekannt sind, sagt der Name Gertrud Koch wohl den wenigsten etwas. Ich selbst bin durch puren Zufall auf ihren Namen gestoßen, als ich während der Literaturrecherche für meine letzte Hausarbeit nach Publikationen der Filmwissenschaftlerin Gertrud Koch suchte und stattdessen die gleichnamige Widerstandskämpferin entdeckte. Meiner Meinung nach ist es höchste Zeit diese Frau vorzustellen, die in ihrer Jugend eine aktive Widerstandskämpferin war und unglaublichen Mut bewiesen hat. Vielleicht kann dieses kurze Porträt dazu beizutragen, dass sich ihr Bekanntheitsgrad erhöht. Ihr Name sollte im Zusammenhang mit dem jugendlichen Widerstand zur Zeit des Dritten Reichs ebenso selbstverständlich fallen wie jener der Geschwister Scholl. Wer war also diese mutige Frau?

Gertrud Koch kommt am 1. Juni 1924 in Köln zur Welt. Ihre Mutter ist Apothekerin, ihr Vater arbeitet als Kesselschmied bei den Klöckner-Humboldt-Deutz-Werken. Ihr Elternhaus prägt Gertrud von Kindesbeinen an. So sind ihre Eltern selbst politisch engagiert, der Vater, zu dem Koch ein besonders inniges Verhältnis hat, ist Mitglied der KPD (Kommunistische Partei Deutschlands). Zudem liebt die gesamte Familie die Natur, regelmäßig werden Ausflüge ins Grüne unternommen, dabei wird gemeinsam musiziert. Daher ist es kaum verwunderlich, dass Koch schon in jungen Jahren einen kritischen Geist, ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden sowie ein politisches Bewusstsein entwickelt. Ebenso teilt sie die Liebe der Eltern zur Natur und zum Gesang. Regelmäßig kommen in der Küche der Kühlems Freund*innen und Bekannte der Eltern zusammen, die ihre politische Gesinnung teilen. Sie diskutieren über die aktuellen politischen Entwicklungen in Deutschland. Die kleine Gertrud ist immer dabei, es ist dem Vater wichtig, dass das Kind erfährt, was in seinem Heimatland passiert. Es wird offen artikuliert, dass die Politik Hitlers in einem Krieg münden wird. Die Kühlems und ihre Freund*innen haben die Gefahren erkannt und sprechen sich deutlich gegen das menschenverachtende Regime um Hitler aus. Schon als Kind erlebt Koch, welche Folgen es hat, wenn man sich gegen das Regime stellt. Ihre Mutter versorgt oftmals die Wunden von Bekannten, die diesen aufgrund ihres oppositionellen Verhaltens zugefügt wurden. Schließlich muss Koch auch miterleben, wie ihr Vater aufgrund seiner politischen Aktivitäten in das KZ Esterwegen verbracht wird. Von dort kehrt er nicht mehr zurück.

Graffito mit einem Schiff auf der der  sich mehrere Personen befinden. Unter dem Schiff marschieren Soldaten in NS-Uniform.
An der Venloerstraße/Ecke Schönsteinerstraße befinden sich mehrere Graffitis, die an die Edelweißguppe aus Ehrenfeld erinnern. Die Graffitis wurden von dem Künstlerkollektiv Captain Borderline angefertigt Foto: Mariann Schneider.

Es musste etwas getan werden

Der Verlust des Vaters bestärkt die junge Gertrud Koch darin, selbst aktiv zu werden. Ihre Mutter und sie werden gesellschaftlich ausgegrenzt, Nachbar*innen wollen nichts mehr von ihnen wissen. Ihre Mutter verliert schließlich ihre Anstellung in der Apotheke, der Vermieter kündigt ihnen die Wohnung. Aufgrund der politischen Vergangenheit des Vaters erhalten Koch und ihre Mutter zudem keine Lebensmittelmarken mehr. Aber diese schwierigen Umstände festigen nur ihren Entschluss, Widerstand zu leisten. Über eine Jugendgruppe, die regelmäßig Wanderungen in das Kölner Umland unternimmt, lernt Koch noch weitere Jugendliche kennen, die ähnlich wie sie denken. Auch sie lehnen die Politik und den Terror Hitlers ab und wollen etwas dagegen unternehmen. Die Gruppe wächst immer mehr zusammen, schließlich möchte man sich einen gemeinsamen Namen geben. Die Wahl fällt auf „Edelweiß“. Das Edelweiß stehe wie keine andere Blume für Freiheit, sind sich die Jugendlichen einig. Und genau die wünscht sich die Gruppe für sich und alle anderen Menschen mehr als alles andere.

Flugblätter und Anti-Kriegs-Parolen

Die Gruppe druckt schließlich Flugblätter. Häufig transportiert Koch diese, als junge Mutter getarnt, in einem Kinderwagen. Verteilt werden die Druckwerke vor allem im Schutze der Dunkelheit. Die Gefahr, dennoch entdeckt und verhaftet zu werden, ist allgegenwärtig. Auch der Kölner Dom eignet sich aufgrund der vielen Besucher* innen dafür, dort in den Gesangsbüchern Flugblätter zu verstecken. Außerdem versehen die Mitglieder der Gruppe Wände und Güterwaggons mit Parolen gegen den Krieg und die Nazi-Herrschaft. Bei einer dieser Aktionen werden sie sogar von einem Polizisten entdeckt. Doch die Gruppe hat Glück, der Mann lässt sie ziehen. Es kommt mehrfach zu Verhaftungen von Gruppenmitgliedern. Meist kommen sie aber nach kurzer Zeit wieder auf freien Fuß. Eines Tages ist es allerdings anders. Die Gruppe wird bei einer Feier in einer Gaststätte von der Gestapo (Geheime Staatspolizei) aufgegriffen. Vermutlich wurden sie verraten. Von wem, das fand die Gruppe nie heraus. Koch wird zunächst ins ELDE-Haus gebracht und dort brutal von dem Gestapo-Beamten Joseph Hoegen verhört und misshandelt. Schließlich muss sie einen mehrmonatigen Aufenthalt im Abtei Brauweiler aushalten, einige Wochen verbringt sie völlig isoliert in Einzelhaft. Nur durch einen Zufall wird sie von dort entlassen. Nach der Entlassung verlieren ihre Mutter und sie keine Zeit. Eine Freundin, deren Mann bei der SS (Schutzstaffel) eingeschleust ist, warnt die beiden vor einer erneut bevorstehenden Verhaftung. Mutter und Tochter fliehen ins Allgäu und kommen auf einem Bergbauernhof unter. Koch kommt dort wieder zu Kräften. Abgesehen von einer kurzen Reise zurück nach Köln, die Koch allein unternimmt, um wichtige Unterlagen zu holen, bleiben sie dort bis Kriegsende.

„Erst 60 Jahre nach Kriegsende werden die Mitglieder der Gruppe Edelweiß offiziell als Widerstandskämpfer anerkannt.“

Neuanfang in Trümmern

Koch und ihre Mutter kehren schließlich nach Köln zurück, ihre Heimatstadt liegt in Trümmern. Doch die beiden geben nicht auf. Kochs Mutter wirkt schließlich in einem Entnazifizierungsausschuss mit. Ihre Vergangenheit lässt Koch auch in den Nachkriegsjahren nie ganz los. Aufgrund der erlittenen Misshandlungen hat sie mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen, psychischer und physischer Art. Am 16. Juni 2005, erst 60 Jahre nach Kriegsende, werden die Mitglieder der Gruppe Edelweiß im Plenarsaal des Kölner Regierungspräsidiums im Rahmen eines Festakts offiziell als Widerstandskämpfer anerkannt. Über Jahrzehnte hinweg gab es gegenüber der Gruppe große Vorbehalte, sie wurden als Kriminelle abgetan. Diese Anerkennung erfolgte zwar sehr spät, aber für Koch war sie enorm wichtig. Sie empfand diesen Tag als Krönung ihres Lebens.

Gruppe Edelweiß/Edelweißpiraten: Der Name bezeichnet mehrere Gruppen von Jugendlichen, die in der NS-Zeit mit verschiedenen Aktionen Widerstand leisteten. Die Gruppen waren vor allem in Köln und Düsseldorf aktiv, aber auch im Umland. Koch lehnte die Bezeichnung Edelweißpiraten als diffamierend ab. Andere Mitglieder, wie Jean Jülich und Fritz Theilen, teilten diese Ablehnung hingegen nicht.
EL-DE-Haus: Seit Dezember 1935 war das Gebäude am Appellhofplatz 23-25 Sitz der Gestapo (Geheime Staatspolizei) für den Regierungsbezirk und das Stadtgebiet Köln. Im Keller wurde ein Gefängnis eingerichtet. Seit 1988 hat das NS-Dokumentationszentrum seinen Sitz im Gebäude. Der Name des Gebäudes geht auf die Initialen seines Bauherren, Leopold Dahmen, zurück.
Edelweißpiratenfestival: Jedes Jahr findet diese Veranstaltung im Friedenspark in der Kölner Südstadt satt und erinnert an den jugendlichen Widerstand. Der Park war einst auch ein Treffpunkt von Mitgliedern der Gruppe.

Von Mariann Schneider

Beitrag erstellt am: 23.05.2024 um 12:08 Uhr
Letzte Änderung am: 23.05.2024 um 12:11 Uhr

... studiert im Master Medienwissenschaft und Medienrecht. In ihrer Freizeit ist sie gerne im Kino oder in einem der zahlreichen Cafes in Köln. Genau so gerne flaniert sie durch den Stadtwald oder liest ein gutes Buch auf dem Balkon, am liebsten von Agatha Christie.