Im Teufelskreis der Gewohnheiten

Ein Taschenkalender im Hintergrund. Davor liegen auf der rechten Seite Erdnüsse und ein Apfel.
„Ab Januar werde ich mich gesünder ernähren.“ Wer kennt diesen Neujahrsvorsatz nicht? Foto: Fee73 / Pixabay.

Mehr Sport treiben, sich gesünder ernähren, mit dem Rauchen aufhören. Jeder hat sein*ihr eigenes Set an Vorsätzen und doch scheitern alle. Aber warum eigentlich?

Egal, ob mensch sich mehr Zeit für sich nehmen will oder stattdessen zu wenig raus und unter Leute kommt. Ob mensch an der Art sich zu Ernähren oder seinem*ihrem Körper etwas ändern möchte. Ob es beruflich ist, der Schlafrhythmus sich ändern soll oder nur irgendein früher mal liebgewonnenes Hobby wieder regelmäßig ins Leben eingeführt werden soll. Jede*r Einzelne startet hochmotiviert in sein*ihr Vorhaben und scheitert nach Tagen, Wochen oder wenn es gut läuft, erst nach Monaten, kläglich. Nicht, weil die Veränderung nicht gewollt wäre, sondern weil das Leben dazwischenkommt, es halt nach der Anfangseuphorie irgendwann vergessen wird und nicht mehr so darauf geachtet oder schlicht in alte Muster zurückgefallen wird.

Wir sind dem Irrglauben erlegen, dass pure Willenskraft ausreicht, um nachhaltig etwas in unserem Leben zu verändern. Dann ist mensch frustriert, dass es nicht funktioniert und gibt sich selbst die Schuld er oder sie habe keine Disziplin. Ist jemand schon mal auf den Gedanken gekommen, dass der Mensch schlicht ein Gewohnheitstier ist und Gewohnheiten verdammt schwer zu etablieren und noch schwerer loszuwerden sind? Begeben wir uns auf eine Expedition.

Was sind Gewohnheiten?

Wir alle haben ein gewisses Grundverständnis davon, was in etwa Gewohnheiten sind. Im Allgemeinen wird darunter so etwas wie Verhaltensweisen oder Routinen verstanden, die sich täglich, wöchentlich oder zumindest regelmäßig wiederholen. Sogar solch profane Dinge, wie auf welcher Seite wir mit dem Zähneputzen anfangen, ist eine Gewohnheit. Tatsächlich bestreiten wir laut Sozialpsychologe Bas Verplanken 30% bis 50% unseres Alltags mit Gewohnheiten. Das muss allerdings auch so sein, denn nur so können wir neben der Routine unseren Tag planen und wichtige Entscheidungen treffen. Es macht also Sinn. Unser Hirn wäre ohne Routinen und Gewohnheiten hilflos überfordert von all den kleinen Mini-Entscheidungen, die es sonst tagtäglich treffen müsste. Zum Beispiel welches Hosenbein ziehe ich zuerst an.

Kinder, die in ihren ersten Lebensjahren unregelmäßige Essenszeiten hatten, haben später im Alltag mehr Angst vor neuen und unvorhersehbaren Situationen. Gewohnheiten sind die Basis dafür, dass wir in einer neuen Situation nicht überfordert oder ängstlich sind, sondern stattdessen einen kühlen Kopf bewahren. Laut Verplanken laufen Gewohnheiten in einer Schleife ab. Das Hirn sucht oder empfängt einen Reiz (Situation, Stimmung), woraufhin es die darauffolgende typische Handlung ausführt und sich anschließend selbst für das erfolgreiche Ausführen derer belohnt. Tatsächlich eignen wir uns laut Verplanken in jeder neuen Situation neue Gewohnheiten an. Das jeden Tag und egal in welcher Lebensphase wir stecken.

Wie verändern wir Gewohnheiten, legen sie ab oder etablieren neue?

Gewohnheiten etablieren sich laut Lars Schwab, einem Kognitionspsychologen der Uni Hamburg in drei Schritten. Bei der ersten Ausführung der Handlung oder des Verhaltens brauchen wir die volle Aufmerksamkeit. Wenn wir für die ausgeführte Handlung belohnt werden, führen wir sie immer wieder erneut durch. Somit wird die Handlung irgendwann zur Routine. Sie wird automatisch. Stück für Stück wird die Verhaltensweise in tiefere Regionen des Gehirns verschoben und schließlich unter Routinehandlungen abgespeichert. Hier lagern leider auch weniger gewollte Gewohnheiten, wie der Griff in die Chipstüte abends auf dem Sofa und Nägelkauen oder Rauchen.

Um solch tiefsitzende Gewohnheiten zu ändern, müssen wir bewusst unseren Verstand ankurbeln und rational denken. Da unsere Gewohnheiten laut Schwab evolutionsgeschichtlich in einem sehr alten Teil des Gehirns abgespeichert sind, birgt das gewisse Schwierigkeiten. Die Prozesse des Unterbewusstseins laufen so schnell ab, dass unser Bewusstsein kaum Zeit hat rechtzeitig zu reagieren und die Chips längst aufgegessen sind, wenn wir anfangen uns an unseren guten Vorsatz zu erinnern.

Verplanken schreibt hier der Willenskraft eine große Rolle zu. Diese muss allerdings aus Eigenmotivation entstehen. Wer von dem*der Partner*in, Freund*innen oder dem ärztlichen Fachpersonal zu etwas gedrängt wird, wird keinen Erfolg haben. Die Nachteile wie auch Vorteile müssen uns bewusst sein, damit wir Durchhaltevermögen entwickeln. Ständige Selbstkontrolle ist entgegen dem, was vermutlich die meisten versuchen zu tun, nicht wirklich erfolgsführend. Stattdessen sollte mensch sich immer wieder bewusst machen, was mensch bereits geschafft hat, und auch kleine Erfolge feiern. Gewohnheiten zu verändern erfordert Kraft, Zeit und Mut. Wie lange es braucht, um sich eine neue Gewohnheit anzueignen, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich.

Tiny Habits – Die Lösung des Problems?

Die Tiny-Habits-Methode wurde von dem US-Amerikanischen Wissenschaftler BJ Fogg entwickelt. Er ist Verhaltensforscher und erforscht, wie Verhalten nachhaltig verändert werden kann. BJ Fogg leitet das Behaviour Design Lab an der Stanford University und lehrt seit über 20 Jahren menschliches Verhalten. Ihm geht es um Langfristigkeit in der Veränderung von Verhaltensweisen und damit um Gewohnheiten und Routinen. Er hat sich gefragt: Was bewirkt Verhalten? Die Antwort lautete: Die Möglichkeit etwas zu tun und einen Trigger, der das Verhalten auslöst. Nicht aber Motivation. Wenn es um Motivation ginge, würden wir jedes Jahr zu Silvester unsere Vorsätze auch tatsächlich im Anschluss umsetzen und die Tiny-Habits-Methode wäre nie entstanden. Was unterscheidet die Tiny-Habits-Methode nun also? Was macht sie anders? Oder gar besser? Die Tiny-Habits-Methode ist ein verlässlicher und systematischer Ansatz, Gewohnheiten durch winzig kleine Schritte, die an bereits bestehende Gewohnheiten gekoppelt werden, in unseren Alltag einzuführen. Durch die winzige Größe der neuen Gewohnheit, ist es egal, wie motiviert mensch ist. Dadurch, dass die neue Gewohnheit an eine bereits bestehende gekoppelt wird, ist sie gleich zu Anfang an den Automatismus gekoppelt, den eine Gewohnheit braucht, um sich zu etablieren. Mensch braucht nicht mehr extra daran denken oder sich gar einen Wecker stellen. Der Trigger ist etwas Natürliches, bereits in das Leben Integriertes. Ein paar Beispiele: Wenn ich geduscht habe, mache ich drei Kniebeugen. Wenn ich morgens im Büro meinen Computer angeschaltet habe, schließe ich die Augen und mache drei Atemzüge. Wenn ich zu Mittag gegessen habe, gehe ich für zehn Minuten an die frische Luft.

So wird Stück für Stück eine neue Gewohnheit etabliert. Irgendwann sind die neuen Verhaltensweisen dann Teil der alltäglichen Routine. Genau wie Zähneputzen. Zum Schluss muss mensch sich noch loben. Auch wenn der Erfolg noch so klein ist. Sonst funktioniert es nicht. Es gibt ein gutes Gefühl und lässt die neue Verhaltensweise positiv in Erinnerung bleiben. Halten wir fest: Zuerst müssen sich realistische und konkrete Wünsche, beziehungsweise Ziele, gesetzt werden. Dann sucht mensch sich eine bereits bestehende Gewohnheit als Trigger für die Neue. Im dritten Schritt wird die neue Gewohnheit so winzig gestaltet, dass sie ohne Mühe und selbst bei wenig Motivation ausgeführt werden kann. Je kleiner die Handlung, desto eher bleibt mensch am Ball. Als Letztes feiert mensch sich selbst direkt danach, egal ob die neue Gewohnheit ausgeführt oder nur daran gedacht wurde.

Das Selbstexperiment

Klingt an sich recht schlüssig und einleuchtend. Die großen Hürden und Probleme, sich neue Gewohnheiten anzueignen, scheinen gelöst. Ich war neugierig, ob das Ganze wirklich so einfach ist und habe es getestet. Ich wollte mir schon seit Jahren wieder angewöhnen vor dem Schlafen noch ein bisschen zu lesen. Auch habe ich das Spazieren nach einem ganzen Tag im Home-Office während Corona für mich entdeckt, aber nie wirklich zur täglichen Gewohnheit gemacht. Als dritten Tiny Habit würde ich gerne täglich ein zusammengefasstes Hörbuch einer App hören, die immer Genau wie kleine Kinder, müssen auch wir kleine Schritte machen, um uns dinge anzugewöhnen. Foto: Pixabay.com. „Ein Gewohnheit zu verändern erfordert Kraft, Zeit und Mut.“ „Je kleiner die Handlung, desto eher bleibt mensch am Ball.“ täglich ein interessantes Buch anbietet. Das vergesse ich leider viel zu oft. Koppeln wir das Lesen an meine Serien-Suchterei direkt vor dem Schlafen. Den Spaziergang an den Toilettengang nach dem Home-Office und das Hörbuch an den Blick in den Kühlschrank, nachdem ich anfange für das Abendessen zu kochen.

Nach der Tiny-Habits-Methode habe ich mir kleine Schritte ausgewählt, wie mein Buch in die Hand zu nehmen und einen Absatz zu lesen, eine kleine Runde um den Block zu gehen und ein paar Minuten des Hörbuchs zu hören. Wie vermutlich zu erwarten war, ist die Tiny-Habits-Methode keine Wunderlösung. Denn ich habe es nicht geschafft jeden Abend ein bisschen zu lesen, jeden Tag ein bisschen spazieren zu gehen und jeden Tag ein bisschen von meinem Hörbuch zu hören. Trotzdem muss ich gestehen, dass es einfacher war als früher. Durch die Kopplung an bereits bestehende Gewohnheiten von mir, wurde ich auf eine seltsame Art und Weise, die ich vorher so nicht gekannt habe, daran erinnert, dass da ja noch was ist, was ich machen möchte. Das war früher nicht unbedingt der Fall.

Komplett ausgesetzt haben diese Signale auch nur dann, wenn ich schlicht zu müde war, um nach der Serie noch zu lesen, ich nicht im Home-Office gearbeitet habe, es draußen sehr kalt und viel zu dunkel oder ich einfach den ganzen Tag unterwegs war. In diesen Fällen gab es meist keinen Trigger, der die neue Gewohnheit hätte auslösen können. Auch war meine Motivation im Falle von Dunkelheit und Kälte oder Müdigkeit nicht gering, sondern verließ schlichtweg das Diagramm. Daher würde ich die Tiny-Habits-Methode nicht unbedingt belächeln oder abschreiben, sondern ihr lediglich die Perfektion absprechen. Ich würde ihr ein Daumen hoch mitgeben. Es hat immerhin besser geklappt als bisher.

Also was nun? Tiny Habits: ja, nein, doch, vielleicht?

Ich habe mich in den vergangenen Tagen und Wochen viel mit Gewohnheiten, wie diese etabliert, geändert und abgewöhnt werden, auseinandergesetzt. Selbst habe ich mir schon hundert Mal vorgenommen etwas durchzuziehen oder mir etwas anzugewöhnen und bin wie alle anderen kläglich gescheitert. Das lag nicht an fehlender Motivation meinerseits. Außerdem habe ich die neueste, sagenumwobene Methode zur Etablierung von Gewohnheiten probiert. Daher würde ich behaupten inzwischen zumindest ein bisschen etwas von Gewohnheiten zu verstehen.

Mein Fazit: Eine Mischung der verschiedenen Ansätze. Die Tiny-Habits-Methode ist ein genialer Ansatz, der verfolgt werden sollte. Allerdings sollte mensch sich zusätzlich regelmäßig aktiv in den Kopf rufen, was mensch verändern möchte und in gewissen Zeitabschnitten überprüfen, ob es geglückt, ist eine Gewohnheit zu etablieren, oder nicht. Auch sollte überprüft werden, ob die neu eingeführte Gewohnheit zur persönlichen Zufriedenheit etabliert wurde oder nicht. Eine Kombination von neuen Gewohnheiten ist vermutlich außerdem vorteilhaft, da einem die Veränderung so regelmäßiger ins Gedächtnis gerufen wird.

Ich bin gespannt, was die Verhaltensforschung in Zukunft herausfindet. Die Tiny-Habits-Methode ist in der Theorie perfekt. In der Praxis hingegen macht sie es einem leichter gewisse Hürden zu überwinden, seine Wunschgewohnheiten kann mensch aber immer noch nicht per Zauberhand plötzlich etablieren. Die Tiny-Habits-Methode macht es leichter, aber sich zurücklehnen und sie wie ein Wundermittel schlucken, kann mensch nicht. Daher: Bleibt dran und gebt nicht auf. Ihr müsst nur euren perfekten Mix finden und immer weiter probieren. Wir schaffen das!

Von Katrin Steinhausen

Beitrag erstellt am: 16.05.2024 um 07:33 Uhr
Letzte Änderung am: 16.05.2024 um 07:33 Uhr

Portraitfoto junge Frau

… ist eine leicht verrückte Labertasche voller Energie. Wenn sie nicht gerade in ihrer geliebten Heimat Köln ist, reist sie als Weltentdeckerin umher und macht die Welt zu ihrem Zuhause. Sie tanzt leidenschaftlich gerne auf Latino-Rhythmen und fühlt sich in anderen Sprachen und Mentalitäten am wohlsten. Auch wird sie hinter der Kamera zum Paparazzo und denkt sich in ihrer Freizeit Geschichten aus, die sie auch gerne zu Papier bringt. Der Journalismus hat sie schon immer begeistert und bietet ihr die Möglichkeit zu hinterfragen, zu berichten und ihr wichtige Themen anzusprechen.