Triggerwarnung : Dieser antirassistische Essay reproduziert rassistische Darstellungen.
In diesem Artikel wird bewusst an manchen Stellen nicht gegendert, um die Reproduktion klassischer Rollenbilder des Filmes klar darzustellen und keine falschen Eindrücke zu erwecken.
Mensch könnte hoffen, dass die Neuverfilmung von Dune im Jahre 2021 hinsichtlich rassistischer Stereotype weniger Probleme mit sich bringen würde als vergangene Produktionen, doch dieses Zeitalter ist scheinbar noch nicht angebrochen: Rassistische Klischees und koloniale Denkweisen werden weiterhin bedient und betätigt. Im Jahre 10191 befindet sich der Wüstenplanet Arrakis im Zentrum eines intergalaktischen Konfliktes. In den Tiefen des Sandes von Arrakis befindet sich das Spice, die einzige Substanz, die das Reisen im All ermöglicht: die begehrteste Ressource des intergalaktischen Imperiums. Die Ernte des Spice garantiert den Siedlern Reichtum. Bewohnt wird der Planet ursprünglich von einem Volk — den Fremen —, das sich den extremen Bedingungen bereits tausende Jahre zuvor angepasst hat und von der Kolonialmacht unterjocht wird. Sicherlich habt ihr schon viele Parallelen zwischen dem Universum von Dune und unserer Realität schließen können. Doch um eine bewusste Kritik des Westens handelt es sich bei diesem Film nicht. Dafür werden zu viele koloniale und rassistische Kontinuitäten fortgeschrieben. Eher handelt es sich hier um eine karikierte, futuristische Darstellung der geopolitischen Konflikte der MENA-Region.
Rassistische Denkstrukturen lauern sowohl in unserem Bewusstsein wie auch in unserem Unterbewusstsein. Wer sich schon mit Letzterem beschäftigt hat, weiß, dass die Macht des Unterbewusstseins sich nur entfalten kann, solange es unbenannt und unerkannt bleibt. Dieser Artikel soll dazu anregen, diese unterbewusste Schemen zu entziffern und zu entwaffnen.
Stellen wir uns zuerst den Kontext vor. Paul Atreidis, gespielt von Timothée Chalamet — ein weißer junger Mann — spricht in Mandarin mit seinem Mentor Dr. Yueh, gespielt von Chang Chen — eine ostasiatisch markierte Person. Diese Szene scheint erstmal unproblematisch zu sein: Ein Charakter mit ostasiatisch markiertem Namen wird von einer ostasiatischen Person besetzt, bisher alles richtig gemacht Hollywood. « Representation counts! », das stimmt. Und Whitewashing ist heutzutage ein No-Go, zurecht. Dennoch kommt es in dieser Szene von Dune zu einem Anachronismus. Im Jahre 10191 n. Chr. ist Mandarin eine tote Sprache. Natürlich ist es toll, die sprachlichen Talente von Timothée Chalamet vorzuführen. Ein bisschen Flexen und ein bisschen « Representation! » ist doch völlig harmlos, würde mensch denken. Dennoch hat diese Darstellung eine Konsequenz: Selbst in einer fernen Zukunft, in der die westliche Schublade ,ostasiatisch‘ / Mandarin keine Existenz mehr hat, wird diese bedient. Die vorgetäuschte ‚Representation‘ dient also der Verfestigung von rassistischen Klischees.
Machen wir mit der Reproduktion von Klischees weiter. Dr. Yueh praktiziert eine Medizin, die einem im Westen gleich fern wie auch nahe scheint. Dr. Yueh übt zeitgleich ,zwei Arten’ der Medizin aus: die Schulmedizin des Westens, und eine ,Andere’. Diese ,andere’ Art der Medizin wird in folgender Szene gezeigt: Als er darum gebeten wird, Paul Atreides nach einem Unfall ärztlich zu untersuchen, berührt er den Jungen mit seinen Fingerspitzen an gezielten (Meridian)Punkten. Während dieser Behandlung bleiben seine Augen geschlossen, er scheint hineinzuspüren, hält inne und stellt dann eine Diagnose. Ein kleines Detail fehlt uns in der Beschreibung des Arztes, um das Bild abzurunden: Die Mitte seiner Stirn wird von einer Raute geschmückt, die einen sofort an hindu-buddhistische Bräuche, an das dritte Auge erinnert.
Erinnern wir uns an die ,harmlosen’ Klischees, die diese ostasiatisch markierte Person treffen: Mandarin, drittes Auge, ostasiatische energiezentrierte und für den Westen unwissenschaftliche, aber faszinierende ,exotische’ Medizin. Im Grunde genommen: Alles, was das weiße Auge begehrt.
Diese Persönlichkeit birgt auch einige sehr fragwürdige Eigenschaften. Dr. Yueh wird sowohl als gefügiger Diener wie auch als Freund der Herzogsfamilie dargestellt. Er scheint enge Beziehungen zu allen Angehörigen der Familie zu pflegen. Der Herzogin scheint er noch näher zu stehen, was deutlich wird, als sie ihn in einige streng persönliche und geheime Angelegenheiten einweiht, von denen der Herzog selbst nichts weiß. Gegenüber Paul Atreides scheint er die Rolle eines diskreten Mentors einzunehmen. Wie schon oben erwähnt sprechen die beiden miteinander Mandarin, eine Gewohnheit, aus der sich eine gewisse Enge und Zuneigung erschließt. Dr. Yueh scheint die dunkelsten, verborgensten Familiengeheimnisse zu kennen und mit großer Akzeptanz und Demut anzunehmen. Doch der scheinbar unendlich loyale Arzt wird auf ,überraschende Weise’ seine Herren betrügen. Nachts, von hinten angeschlichen, im Schatten verborgen, vergiftet er den Herzog mit einer ferngesteuerten Nadel. Bis auf das Gesicht gelähmt, wird der Herzog seinem Erzfeind Vladimir Harkonnen ausgeliefert. Doch bevor er seinen Herzog an den Feind ausliefert, implantiert der Familienarzt ihm einen falschen mit Giftgas gefüllten Backenzahn. Da sein Gesicht nicht gelähmt ist, wird der Herzog in der Lage sein, die im Zahn verborgene Kapsel zu zerbeißen, und das giftige Gas zu befreien, um seinen Feind mit sich in den Tod zu reißen. Erneut Gift, was im Westen als das Mittel der Feiglinge, der Verräter, der Schwachen, und der Frauen gilt. Auf die Repräsentation der Frauen möchte ich jetzt nicht im Detail eingehen, doch eins ist klar : In Dune gibt es Frauen, meist unterwürfig, selten selbstbestimmt, oft geheimnisvoll und hinterlistig — zwei Repräsentantinnen des Tokenism sollen das natürlich ausgleichen — und natürlich gibt es Hexen. Dr. Yueh hat aber nicht die Herzogsfamilie verraten, seinen Herzog zur würdelosen Nutzung von Gift gezwungen, sondern auch das ganze Herzogtum insgesamt. Indem er die militärischen Abwehrsysteme ausschaltete, garantierte er dem Erzfeind einen sicheren, blutigen Sieg. Einen schlimmeren inneren Feind könnte mensch sich kaum vorstellen. Aus der Perspektive der weißen Dominanzgesellschaft der USA — aber nicht ausschließlich — wurden Menschen aus Ost-Asien seit Mitte des 19. Jahrhundert als unassimilierbar konstruiert. Ob Dr. Yueh sich damit ,assimilieren’ konnte, ist stark zu bezweifeln.
Ist also die Darstellung von Dr. Yueh eine wünschenswerte Repräsentation ostasiatisch gelesener Menschen? Wie viele ostasiatisch markierte Charaktere aus Hollywood gleichen diese Darstellung aus? Wie viele kennt ihr die ,Bad Ass’ sind ohne Opfer von rassistische Stereotypisierung und Tokenism zu werden? Ziemlich keine. Wie viele rein phallische weiße männliche Figuren gibt es im Vergleich? Unendlich viele. Weiße Helden für ein weißes männliches Publikum.
Duncan Idaho, gespielt von Jason Momoa, ist ein Atreidischer Pilot, der auf dem Wüstenplanet Arrakis Kontakt zu den Fremen aufnehmen soll. Seine Aufgabe ist es diplomatische Beziehungen einzuleiten, bevor das Haus Atreidis die Kolonie auf Arrakis übernimmt. Als Duncan das erste Mal von seiner Begegnung mit den Fremen erzählt, ist seine Begeisterung nicht zu übersehen. Als versierter Kämpfer bewundert er den Kampfgeist dieses Volkes und ihr Ehrgefühl sowie ihre Fähigkeit, sich an die extremen Bedingungen des Planeten anzupassen. Diese Romantisierung einer fremden, sozial und technologisch ,unterlegenen Urzivilisation‘ durch eine Person aus einer sozial und technologisch sich selbst als ,überlegen‘ wahrnehmenden ‚Zivilisation‘, ist schwierig. Romantisierung klingt im ersten Moment harmlos, auch der heutige Massentourismus beruht auf diesem Konzept, welches unfassbar komplexe Gesellschaftsstrukturen auf schöne Postkarten vereinfacht und reduziert. Die vermeintlich fremde Welt wird zum erstaunlichen Dekor wie auch die Menschen die dazugehören. Dieser Luxus der Gefühle kann nur entstehen, wenn eine Person die Probleme einer sich für sie fremd anfühlenden Gesellschaft eben aufgrund dieser Fremdheit nicht erkennen kann. Sie erlebt eine andere Realität, zu der sie nicht gehört und von der sie sich im Endeffekt jederzeit zurückziehen kann. Das Zugehörigkeitsgefühl gegenüber einer Menschengruppe macht die bewusst geteilten sozialen Strukturen zur Realität, denn sie bringen konkrete und vorhersehbare Konsequenzen für eine*n selbst mit sich. Mensch/Fremd kann eine Gesellschaft, zu der mensch/fremd sich nicht zugehörig fühlt, nur als abstrakten Gegenstand wahrnehmen, weil mensch sich nur in einer Art teilnehmenden Beobachtung befindet. Daher entsteht die vermeintlich naive Faszination für das Objekt. Es bleibt alles nur Deko.
Für Tourist*innen wie Duncan Idaho werden diese Gesellschaften zusätzlich untergeordnet, Kulturalismus also. Sie können nicht wirklich ernst genommen werden, weil sie keine konkrete Gefahr für die eigene Gesellschaft darstellen. Sie werden verniedlicht bzw. abgewertet. Nur ernstzunehmenden Gegner*innen wird auf Augenhöhe begegnet. Nur die Angst um das eigene Überleben ermöglicht eine Gleichstellung. In Dune werden die Fremen von den Kolonisatoren nicht als ernste Gefahr im Vergleich zu den Harkonnen und dem Imperator wahrgenommen. Leider ist die Faszination, die die Fremen auf Duncan Idaho ausüben nicht das Zeichen einer Gleichheit sondern die Fortführung einer hierarchischen Ordnung. Seine Bewunderung vertritt weiterhin die Überzeugung von der Überlegenheit der eigenen Gruppe, denn er fasziniert sich auch für die Fähigkeiten der Fremen, so viel aus so wenig machen zu können. Wir kennen doch alle den folgenden Satz: ,Die haben so wenig und sind trotzdem so glücklich!’. So ein ähnlicher Gedanke wird hier reproduziert. Duncan Idaho gehört einer Nation, so glaubt er, die insgesamt viel mehr Mittel hat und insofern viel mehr anrichten kann. Es entstehen keine Vernichtungsängste für ihn und seine für ihn sinnstiftende Gruppe.
Die ,Sinn-vollen’ Taten, die er für seine Nation verrichtet, stammen aus dem Glauben eines fabrizierten (höheren) Sinnes. Auf individueller Ebene ist dementsprechend zwischen persönlichem Tod und Vernichtung des sozialen Ichs zu unterscheiden. Der individuelle Tod bedeutet nicht gleich das dauerhafte Verlöschen der eigenen Person und Taten. Der Mensch wünscht sich und hofft, weiterhin zu existieren oder Wirkung zu zeigen, auch nachdem er nicht mehr ist. Insofern bleibt der Glaube an einen (höheren) Sinn, der vom sozialen Umfeld (mit)produziert wird, zentral. Duncan Idaho ist bei seiner diplomatischen Aufgaben dem Tod sehr nahe gekommen, doch seine Heldentaten ermöglichen ihm seinen Wert innerhalb der eigenen sozialen Gruppe zu beweisen. Sein symbolisches Kapital wird dadurch nur vergrößert. Insofern ist ihm das Ansehen in seiner Gruppe wichtiger als sein möglicher Tod. Das Ringen mit dem Tod, teilweise Zugunsten der eigenen Gruppe, bedeutet in seinem Fall Unsterblichkeit. Je mehr Risiko eingegangen wird desto größer die Belohnung im Diesseits im Falle des Überlebens und im sozialen Jenseits im Falle des Todes. Würde aber die status- und sinnstiftende Gruppe in existenzielle Gefahr geraten, so würde mensch stark gegen die existenziellen Bedrohung ankämpfen, die die ,andere Seite’ für einen repräsentiert. Da der soziale Tod dem ewigen Tod gleicht, wird der eigene weltliche Tod dem in der eigenen Gruppe vorgezogen. Unsterblichkeit bleibt nur möglich, solange die eigene Gruppe fortbesteht.
Als Stilgar, das Oberhaupt einer Fremen-Sippe, für eine Unterhaltung mit dem Fürsten zu Besuch kommt, spielt sich für die Zuschauenden eine überraschende Szene ab. Nachdem er förmlich und höflich vom Fürsten persönlich begrüßt wird, spuckt Stilgar auf den Boden. Nach einem Augenblick der Empörung beruhigt Duncan die anderen Atreidis und bedankt sich bei dem Gast für die Aufopferung seines Wassers, die für die Fremen wertvollste Ressource des Wüstenplanets, und spuckt selbst auf den Boden. Nach seinem Beispiel wiederholt der Fürst diese Höflichkeitsform. Dieser übertriebene Twist scheint einen Überraschungseffekt erzeugen zu wollen, indem etwas, was im Westen als Affront wahrgenommen wird, abstrahiert und neu bewertet wird. Diese Szene könnte folgendermaßen legitimiert werden: Soziale Codes sind relativ und können in anderen Gesellschaften völlig andere Bedeutungen annehmen, auch diejenigen, die als Tabu gelten. Diese Abstrahierung der Werte und Symbole ist aber in Dune nicht vollständig gelungen, da die Fremen sehr viele Ähnlichkeiten mit arabisch-beduinischen Gesellschaften teilen. Die Fremen sind ein Wüstenvolk, das eine Sprache mit leicht arabischem Klang und arabischen Lehnwörter nutzt, eine vermeintlich tribale, ehrezentrierte Gesellschaftsstruktur hat sowie Kleidung, Kopfbedeckungen und eine Art des Gebets, die einem sehr bekannt vorkommen. Die Dekonstruktion der Handlung des Spuckens, kann also in diesem Fall nicht konsequent stattfinden, weil das Bild der Fremen unsere eigene Wahrnehmung über ,Völker’ widerspiegelt, die durch den Trichter unseres Wertesystems gezwungen wurden und unter dem diese Menschen immer noch leiden müssen. Anstatt einer Abstrahierung, die zu einer sozio-anthropologischen Relativierung führen könnte, findet eher eine Reproduktion alter Klischees statt.
In einer späteren Szene sorgt der Speichel für einen Blickfang, den die Zuschauer*innen nicht vergessen werden. Bei dem Ereignis sitzen ungefähr fünf Fremen im Sand um eine Kaffeemaschine herum. Alle Anwesenden kommunizieren miteinander in einer für unerfahrene Ohren crypto-arabisch klingenden Sprache. Alle scheinen männlichen Geschlechts zu sein. Alle haben ihre Gesichter bis auf die Augen in Turbane gehüllt: Und alle bis auf einer, spucken nacheinander in die Kaffeemaschine hinein. Diese unerklärliche Technik ergibt in der Welt der Fremen keinen greifbaren Sinn. Die Fremen sind das einzige Volk, das in einer 8000 Jahren entfernten Zukunft einen Bodysuit entwickeln konnte, dessen fortgeschrittene Technologie in der Lage ist, nahezu hundertprozentig das vom Körper ausgeschiedene Wasser zu recyclen und zu reinigen, um es in Trinkasser umzuwandeln. Der Speichel war für die Vorbereitung des Kaffees vielleicht doch ein wenig…überflüssig? War das also der Versuch, exotische Bräuche eines fremden ,Volkes’ auf einem fremden Planeten in einer fernen Zukunft darzustellen, die mit unserer Realität nichts zu tun haben? Wohl kaum, dafür sind die Parallelen zwischen Fiktion und Realität viel zu offensichtlich.
Die Bilder der Kaffeeszene, von Männern, deren Erscheinungsbild unverwechselbar ist, bedienen andere Mechanismen als die der reinen filmtechnische Überraschung. Ekel und Fremdscham gehören zu den Kernelementen der Mechanik der Entfremdung von dem ,Anderen‘. Genauso wirkt auch diese Szene: Der Ekel wird mit einem ,vermeintlich unbekannten‘ Fremden assoziiert. Es wird eine hyperkarikierte Version eines dem Westen schon längst bekannten ,Anderen’ (re)produziert.
Liet Kynes, von Sharon Duncan-Brewster dargestellt, ist eine Planetologin des Imperiums, die ihre Kompetenzen den Atreidis zur Verfügung stellt. Anfangs wird ihre Herkunft wegen ihrer blauen Augen angezweifelt, ein Merkmal der Fremen durch den Kontakt mit dem Spice. Für die Fremen ist der Spice wichtiger Bestandteil des Lebens und wird in verschiedenen Art und Weise verwendet und konsumiert. Einer der Nebeneffekte des engen Kontakts mit dem Spice ist die blaue Verfärbung der Augen. Diese Verfärbung könnte sich bei Liet Kynes als Konsequenz ihrer langen Sesshaftigkeit auf diesem Planeten und dem engen Kontakt, den sie zu den Fremen zu pflegen scheint, erklärt werden. Was gerne übersehen wird, ist dass die Schauspielerin auch BIPoC bzw. Schwarz ist. Doch auch die Fremen werden im Gegenteil zu den Atreidis als BIPoC dargestellt. Dieser ,Unterschied‘ wird im Film nicht benannt, dennoch übernimmt die futuristische Augenfarbe die Rolle der angedeuteten Fremdheit. Während im Film der Fokus bewusst auf die Augenfarbe gelenkt wird, wird ,Hautfarbe‘ überhaupt nicht in Erwägung gebracht, als spielte sie keine Rolle. Doch hinter dieser vorgetäuschte Colourblindness ist Colourism ziemlich klar zu erkennen.
In den letzten Jahren versucht Hollywood Colourwashing zu betreiben. Da wo früher BIPoC- Charaktere von weißen Schauspieler*innen gespielt wurden, wird heute versucht, so viele Rollen wie möglich an BIPoCs zu vergeben. Der Grund dafür: Sich vom verpönten Whitewashing der Vergangenheit zu distanzieren, das in den letzten Jahren so sehr kritisiert wurde. Es wäre ja schade als Rassist*in wahrgenommen zu werden, das kann einem*einer den Arbeitsplatz kosten! Wie bedauerlich. Eine wirkliche Reflexion über die internalisierte rassistische Kategorisierung wird aber nicht durchgeführt. Dieser Film ist ein herausragendes Beispiel dafür.
Als letztendlich entpuppt wird, dass Liet Kynes doch eine Fremen ist, entstehen folgende ,logische’ Schlüsse: ,Aha! Also war ihre Augen-Farbe doch ein Hinweis auf ihre Herkunft!’. Ich sah aber ein anderes Indiz, das klar dargestellt, dennoch nicht angesprochen wurde. Warum es nicht angesprochen wurde, fragt mensch sich? Wegen folgender Logik: ,Niemand ist hier rassistisch! Wir verachten Rassist*innen, wir distanzieren uns voll und ganz von solchen Menschen! Ich sehe ja gar keine Farben, ich bin ja kein*e Rassist*in! Siehst du etwa Farben? Hahaha! Was ist denn überhaupt Farbe? Hahaha! Ich kenne gar keine Farben! Hahaha!’. Halbgeniertes oder selbstbewusstes Gelächter, gegenseitiges Schulterklopfen. Eine sehr aufgeklärte Perspektive. Wenn ich also erwähne, dass diese oder jene Person BIPoC ist, weil ich sie als solche lese, dann heißt es, dass ich rassistisch bin, weil ich ,Farben‘ sehe. Okay. Das heißt also, wenn ich merke, dass zwei weißeMenschengruppen als technologisch, militärisch, kulturell usw. fortgeschrittener dargestellt werden als eine dritte nicht-weiße Gruppe, die in all diesen Bereichen als unterlegen, verarmt und verschmutzt dargestellt wird und als Willkommensritus auf den Boden sowie in den Kaffee spuckt, dann war das doch keine colouristische Darstellung und ich bin rassistisch. Ja? Okay, dann war alles davor also nur einen Zufall, my bad. Oder nein, ich sollte lieber sagen: Me bad. Weil es das ist, was ihr unpositionierte durchnitts-Rassist*innen hören wollt, nicht? Me bad, you good, so that you can keep on doing your s**t and drag us through your mud.
Kommen wir wieder zu Liet Kynes. Fremen werden ganz klar als BIPoCs dargestellt im Vergleich zu den weißen Atreidis und den ultra-weißen Harkonnen. Aber die fast einzig dargestellte nicht-weiße Person gehört dann doch zu den ,Frem(d)en‘ in dieser Geschichte. Also funktioniert das heutige Racial-Profiling doch auch in Dune 2021? Spannend! Es scheint, als wäre das Profiling durch die Augenfarbe nur eine Tarnung für das Racial-Profiling durch die Hautfarbe gewesen, nur wurde die Körperstelle der Farbe geändert. Ein genialer Trick, hinterlistig aber wirksam. Warum? Weil es sich dadurch von unserem Verständnis von Racial-Profiling entkoppelt. Wären verschiedene Hautfarben in allen Menschengruppen und sozialen Schichten gleichmäßig verteilt gewesen, hätte ich die Handlung nicht so leicht als Racial- oder Class-Profiling wahrgenommen. Doch obwohl der Fokus sich auf die Augen richtet, überdeckt er sich auch mit der Haut: Die Verfremdung der Zukunft überlappt die der Gegenwart. Die Farbe bleibt doch noch zentral — ein interessanter konzeptueller Versprecher — und lässt sich in diesem Film in seiner demographischen ,Ordnung‘ ganz klar erkennen. Offensichtlich waren die Filmemacher*innen nicht in der Lage, die eigene internalisierte Race- and Class-Kategorisierung fernzuhalten.
Colourblindness ist keine anti-rassistische Position. Sie ist nur die Leugnung von Zusammenhängen zwischen Race und Class und dient Menschen, die über ihre strukturellen Privilegien nicht reflektieren wollen, zur eigenen Bequemlichkeit. Und wer behauptet ,blauäugig’ am häufigsten, keine Farben erkennen zu können…?
Die für mich aussagekräftigste rassifizierende und rassistische Szene ist der Kampf zwischen Paul Atreides — Timothée Chalamet, einer weißen Person — und Jamis, ein Fremen Kämpfer — Babs Olusanmokun, einer Schwarzen Person. Es ist wichtig zu notieren, wie schon vorher erwähnt, dass Menschen von Arrakis und Harkonnen eine deutlich hellereHautfarbe haben als die Fremen, aber ich wiederhole mich lieber: Babs Olusanmokun ist Schwarz. Ihr werdet sehen, inwiefern dies keinesfalls ein Detail ist.
Jamis fordert Paul Atreides in einen Fechtduell heraus, um die Autorität zurückzugewinnen, die sein Kumpane gerade verloren hat. Das Auftreten Jamis zeigt Ungeduld, Arroganz, Aggressivität und wird von ,alten ehregeleitete/primitiven/tribalen’ Bräuche getrieben oder gar ,besessen’. Kurz bevor der Kampf startet, geht er tief in die Hocke und schlägt sich zwei mal kräftig mit der Faust auf die Brust. Der erste entfremdende, teils entmenschlichende Anblick. Der Kampf beginnt mit einer unerwarteten, unfairen Attacke von Jamies. Im Vergleich zu allen bisherigen Kampfszenen scheint Jamis’ Stil sehr grob und unkontrolliert zu sein, laut und ineffizient. Subtilität ist da nirgends zu erkennen. In einigen Sekunden besiegt ihn aber Paul, der sich dennoch nicht traut seinen Gegner umzubringen, obwohl die Tradition der Fremen dies fordert. In seiner Ehre gekränkt, weil er gegen das Herzogssöhnchen verloren hat und nicht in Ehre sterben durfte, gerät ,der’ Fremen in Rage. Als er den Kampf fortsetzt, hat Jamis seine Zuversicht verloren und sich in eine hysterische Raserei hereingesteigert, die sich bei jedem Sieg von Paul immer weiter hochschaukelt. Das Wort ,hysterisch’ wird hier bewusst verwendet, da BIPoCs eher solche Tendenzen zugeschrieben werden als weißen Menschen. Als Paul Atreides ihn ein viertes Mal besiegt, ohne ihm das Leben zu nehmen, verliert Jamis die Fassung und jegliche Anzeichen von (menschlicher) Vernunft: Seine tollwütigen Schreie lassen selbst die Zuschauer*innen hinter ihren Bildschirmen erzittern, so gewaltig der Wahn dargestellt und gefilmt wird. Nur noch unartikulierte Schreie, unkontrollierte Gestik, wahnsinnige Blicke, Tollwut in Menschenform. Aufgerissene Augen, aufgerissener Mund, aufgerissene Schreie. In diesem Augenblick wird dieser Schwarze Mann endgültig entfremdet.
Paul, der weiße Mann, schafft es trotz seiner Unerfahrenheit und der gewaltigen Gefühle, die ihn überschwemmen sollten, äußerlich Ruhe zu bewahren. Im Gegenteil zu Jamis ist er sehr bescheiden, respektvoll, gefasst, pflichtbewusst, elegant, intellektuell, verantwortungsvoll, selbstlos, und normschön. Im Grunde genommen: Er ist makellos.
Antikoloniale und antirassistische Autor*innen kritisierten genau diese binäre Verteilung von Charaktereigenschaften zwischen weißen und nicht-weißenMännern, die die Kolonisierung ,rational’ begründeten. Hier haben wir es also anscheinend mit einer Wiederholung der ,mission civilisatrice’ des weißen Mannes zu tun. Ein Ende dieses Narrativs ist nicht in Sicht.
Bei den ersten Besichtigungen dieser Szene war ich zuerst schockiert. Später überraschten mich häufig Tränen und ein paar Schluchzer. Es steckt so viel Gewalt hinter diesen Bildern, dass es mich überwältigt. Weiße Gewalt. Rassistische Gewalt. Kurz danach stieg die Empörung in mir auf. Jetzt trauere ich, nach dem ich mir diese Szene anschaue, oder fühle mich wie abgestumpft. Ich will gar nicht wissen, wie das ist, sich als Schwarze Person diese Szene anzugucken. So viel Gewalt wird BIPoCs in diesem Film angetan, und endet mit dieser Krönung.
Diese Szene findet ihr auf Youtube.
BIPoC: Akronym für Black, Indigenous, People of Colour beziehungsweise Menschen, die negativ von Rassismus betroffen sind.
Colourblindness: Beharren darauf, Farben nicht sehen zu können, um die Illusion weiter aufrechtzuerhalten, soziale Chancen wären gleichmäßig verteilt.
Colourism: Hierarchisierung von Menschen nach Hautfarbe.
Colourwashing: der neue politisch-korrekte Trend der Filmindustrie, um den Vorwurf des Whitewashings zu entgehen, ohne die eigenen Strukturen tiefgründig zu hinterfragen.
Dekolonial: Dieser Begriff beschreibt eine Haltung, welche eine aktive Handlung gegen fortbestehende koloniale Machtstrukturen vorsieht. Die Absicht dahinter ist, in die Normalität eingebetteten kolonialen Strukturen und Diskursen abzubauen.
Kulturalismus: Vertreten der Überzeugung, manche Gruppen wären aufgrund von vermeintlich kulturellen, ideologischen, industriellen u./o. technologischen Eigenschaften anderen überlegen. Kulturalismus und Rassismus werden oft voneinander getrennt betrachtet, sind aber ineinander verwoben und ergänzen einander. Beide verkörpern biologisch/kulturelle Vererbbarkeit, Essenzialisierung sowie die Homogenisierung anderer und ermöglichen dadurch die Legitimierung hegemonialer Anstrebungen die bis heute fortbestehen.
Soziales Jenseits: Materielle und besonders symbolische Spuren, die ein Mensch in der eigenen sozialen Gruppe hinterlässt, und die auch nach dem Tod in ihrer Wirkung noch Relevanz zeigen können.
Tokenism: Platzieren von vereinzelte ‚Vorzeige-Repräsentant*innen‘ einer marginalisierten sozialen Gruppe, um den Anschein zu erwecken, frei von Ungleichheit zu sein.
Whitewashing: das systematische Casten weißer Schauspieler*innen für Rollen, die nicht-weiße Personen darstellen.
X – Markierte Person: von außen zugeschriebene Kategorisierung eines Menschen
Von Sami Mohammad-Kirchhofs
Beitrag erstellt am: 03.03.2024 um 13:40 Uhr
Letzte Änderung am: 06.05.2024 um 07:57 Uhr