Wir leben und studieren im 21. Jahrhundert. Die Zeiten, in denen ein Studium als unvereinbar mit dem weiblichen Geschlecht betrachtet wurde und Frauen auf dem Campus allenfalls Kopfschütteln ernteten, gehören glücklicherweise der Vergangenheit an. Im Jahr 2021 lag der Anteil von weiblichen Studierenden bei 50 %. Ernüchternd dagegen ist die Zahl der hauptberuflichen Professorinnen, gerade mal bei knapp 27 % lag hier der Frauenanteil im Jahr 2021. Auch an unserer Universität sieht es leider nicht anders aus, das männliche Lehrpersonal dominiert ganz eindeutig über alle Fakultäten hinweg. Die Wissenschaft und Lehre ist also nach wie vor ein männlich dominierter Bereich. Eine Ausnahme bildet allerdings meine heutige Gesprächspartnerin, Frau Prof. Dr. Dr. Frauke Rostalski. Sie hat sich als erfolgreiche Rechtswissenschaftlerin neben ihren männlichen Kollegen etabliert. Ihre akademischen Leistungen sind beeindruckend, neben dem Doktortitel in Rechtswissenschaften promovierte Rostalski auch im Fach Philosophie. Vor knapp drei Jahren wurde ihr außerdem die Ehre zuteil, Mitglied im Deutschen Ethikrat zu werden. Seit 2018 ist sie Inhaberin des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und Rechtsvergleichung an unserer Universität. Ich treffe Frau Rostalski am Lehrstuhl und spreche mit ihr über ihren Weg in die Wissenschaft, den Leistungsdruck im Studium der Rechtswissenschaften sowie die Bedeutung der Universität als Diskursraum.
Frau Rostalski empfängt mich in Ihrem Büro und ich nehme auf dem bequemen, blauen Sofa Platz. Das Gespräch beginnt für mich mit einer kleinen Überraschung, denn Frau Rostalski verrät, dass Juristin nicht ihr ursprünglicher Traumberuf war. Als Schülerin verfolgte sie eigentlich einen anderen Berufswunsch: „Ich wollte zunächst gar nicht Juristin werden. Ich habe schon während der Schulzeit gemerkt, dass ich sehr gerne schreibe und auch bei einer Zeitung gearbeitet. Ich habe dann mit den Redakteuren gesprochen und gefragt, was soll ich machen, welches Studium könnte mir den nötigen fachlichen Nachweis für den Journalistenberuf verschaffen? Die Kollegen haben mir dann gesagt, ich solle etwas Gescheites‘ studieren. Also etwas, das einen klassischen Bereich in Tageszeitungen abdeckt, etwas Kulturelles für den Feuilleton oder auch Politik. Aber am besten sei eigentlich Jura, denn Juristen und Juristinnen haben einen besonders guten Überblick über alle gesellschaftlich relevanten Themen. So entschied ich mich dann für das Jura-Studium.“ Rostalski merkte schließlich während ihres Studiums in Marburg relativ schnell, dass das Schreiben allein sie in beruflicher Hinsicht nicht ausfüllt und nahm Abstand von der Idee, Journalistin zu werden. „Im Journalistenberuf fasst man häufig die Gedanken anderer zusammen, mir fehlte da ein bisschen der Tiefgang und die Substanz“, führt Rostalski aus. Und genau diese Substanz fand sie schließlich in der Wissenschaft. Während ihrer Studienzeit arbeitete Rostalski bei einem Lehrstuhl, der sich auch der Rechtsphilosophie widmete. Diese Arbeit prägte nicht nur ihre wissenschaftlichen Interessen und regte sie später zur Promotion im Fach Philosophie an, sondern half ihr auch zu erkennen, in welchem Bereich sie einmal arbeiten möchte. Fachliteratur zu studieren, die eigenen Gedanken und Argumente zu juristischen Fragen schriftlich zu formulieren, es sind diese Aspekte, die den Beruf besonders reizvoll machen. Sie schätzt es außerdem, über die Grenzen des Rechts hinauszuschauen und für die Beantwortung der Frage, was gutes Recht ausmacht, Impulse aus anderen Bereichen, wie der Ethik, heranzuziehen. Aus diesen Gründen hat die Juristin auch die Tätigkeit in einem typischen Beruf wie in der Anwaltschaft nie ernstlich in Betracht gezogen. Daneben schätzt Rostalski vor allem den direkten Austausch mit den Studierenden in den Lehrveranstaltungen. Besonders positiv erlebt sie die Vorlesung im Medizinstrafrecht. „Die Vorlesung halte ich immer einmal im Jahr, wir sind meistens circa 60 Leute, und wir haben eine ganz wunderbare Atmosphäre. Wir sprechen über tagespolitisch sowie kriminalpolitisch relevante Themen, was die Veranstaltung so spannend macht.“ Gleichzeitig ist es für Rostalski interessant zu verfolgen, wie jüngere Generationen bestimmte Wertungen vornehmen und dass sie so die Möglichkeit erhält, sich selbst in persönlichen Positionen zu hinterfragen. Rostalski betont in diesem Zusammenhang: „Es ist sehr wichtig für mich, dass die Uni ein offener Diskursraum ist und bleibt, ich schätze die Gespräche hier sehr.“
Einen Aspekt sieht sie als Lehrende allerdings auch kritisch, nämlich den immensen Leistungsdruck im Studium der Rechtswissenschaften. „Das Problem bei uns Juristen ist das folgende: Sie werden 56, bewerben sich, und die Leute gucken wieder auf ihre Noten. Das ist in anderen Fächergruppen nicht so.“ Die Note im Staatsexamen bleibt also das gesamte Berufsleben lang sehr relevant. Die strenge Versuchsrestriktion trägt zusätzlich dazu bei, den Druck noch zu intensivieren. Während die Prüflinge aktuell zwei reguläre Versuche haben und ein dritter Versuch über die Freischuss-Regelung möglich ist, hatte Rostalski selbst zu ihrer Studienzeit neben dem Freischuss nur einen regulären Versuch. Einige Kommiliton*innen waren dem Druck nicht gewachsen und erlitten regelrechte Zusammenbrüche, erinnert sie sich. Daher hält Rostalski es für sinnvoll, über eine Erweiterung der Versuchsrestriktion nachzudenken. Die Art der Prüfung, also das Ablegen des Staatsexamens, sieht sie allerdings als eine angemessene sowie sinnvolle Prüfungsform an. Denn so könne sichergestellt werden, dass die Absolvent*innen ihr Handwerkszeug beherrschen. „Wer in einer kurzen Zeit, also 5 Stunden der Klausurbearbeitung, so auf den Punkt argumentieren muss und kann, der verfügt über die entscheidenden Fähigkeiten, die man im Studium entwickelt haben sollte“, so Rostalski.
Auch für sie selbst war die Studienzeit nicht immer einfach und durchaus eine Herausforderung. Als gute Schülerin, der Schwierigkeiten bei der Bewältigung des Prüfungsstoffes nicht bekannt waren, musste sie sich erst an das Pensum im Studium sowie die Notenvergabe gewöhnen. Die Arbeit an einem Lehrstuhl war für die Juristin jedoch hilfreich, denn mit einem klaren Ziel vor Augen gelang es ihr, auch schwierige Phasen des Studiums zu meistern und die nötige Resilienz zu entwickeln. Rostalski konnte sich, wie wohl die Mehrheit aller Studierenden, nicht für alle Inhalte des Studiums gleichermaßen begeistern. So hielt sich ihr Elan für die zivilrechtlichen Schuldverhältnisse eher in Grenzen. In solchen Situationen motivierte sie sich mit dem Gedanken: „Du weißt ja, wofür du es machst!“ Zudem ist Rostalski wichtig zu betonen: „Es ist hilfreich, sich klar zu machen, dass das Leben nicht nur aus dem Beruf besteht, es ist so viel mehr! Häufig sind es auch die Momente des Scheiterns, aus denen etwas Neues erwächst und auf die man rückblickend nicht hätte verzichten wollen.“ Auch dies könne sich motivierend auswirken und die Resilienz stärken.
Schließlich kommen wir auf die Position von Frauen in der Wissenschaft zu sprechen. Rostalski identifiziert hier verschiedene Faktoren, deren Zusammenspiel dazu führt, dass nur wenige Frauen den Weg in die Wissenschaft einschlagen. Zum einen spielen die bestehenden Strukturen und traditionelle Bilder eine entscheidende Rolle. „Strukturen verändern sich von innen heraus nur sehr langsam. Das traditionelle Bild eines Professors ist nach wie vor ein männliches. Dieses Bild bestimmt unser Denken. Das kann sich nur ändern, wenn das Bild auch ein anderes wird und mehr Frauen Lehrstühle bekommen“, erläutert Rostalski. Es bedarf eines Kulturwandels im Denken, so die Juristin weiter. Diejenigen, die neue Professor*innen an die Uni berufen, trifft hier eine besondere Verantwortung.Hinzu kommt das Fehlen von weiblicher Inspiration an der Universität und die falsche Schlussfolgerung vieler Studentinnen, dass eine Tätigkeit in der Wissenschaft unvereinbar mit einer eigenen Familie ist. „Die Wahrheit ist, dass sich der Wissenschaftsberuf wie kaum ein anderer wunderbar mit Kindern vereinbaren lässt. Das hat sich nur nicht so richtig rumgesprochen“, führt Rostalski aus, die selbst Mutter zweier Kinder ist. Sie ergänzt: „Das Fehlen von weiblicher Inspiration kann dazu führen, dass viele Frauen sagen, sie sehen sich in diesem Bereich gar nicht.“ Anders sei dies in der Justiz, in der viele Frauen tätig und mithin sichtbar für Absolvent*innen sind. Rostalskis Rat an junge Frauen, nicht nur für jene in der Wissenschaft: Sich behaupten! Oftmals sind Frauen von Natur aus zurückhaltend, was grundsätzlich kein Problem darstelle, so Rostalski. Man müsse als Frau keinesfalls vermeintlich männliche Eigenschaften adaptieren, um erfolgreich zu sein. Die Zurückhaltung solle aber nicht dazu führen, dass man sich trotz guter Vorbereitung und der nötigen Kompetenz nicht traue, sein Wissen auch zu präsentieren, führt sie aus. Ein gesundes Selbstbewusstsein sei dafür sehr hilfreich. Es sei wichtig, sich selbst treu zu bleiben und sich nicht zu verbiegen. „Man sollte sich niemals die Butter vom Brot nehmen lassen, schon gar nicht deshalb, weil man eine Frau ist!“
Von Mariann Schneider
Beitrag erstellt am: 26.10.2023 um 14:35 Uhr
Letzte Änderung am: 26.10.2023 um 14:35 Uhr
Über Mariann Schneider
... studiert im Master Medienwissenschaft und Medienrecht. In ihrer Freizeit ist sie gerne im Kino oder in einem der zahlreichen Cafes in Köln. Genau so gerne flaniert sie durch den Stadtwald oder liest ein gutes Buch auf dem Balkon, am liebsten von Agatha Christie.