Paul McCartney ist begeistert. Vor einigen Monaten verriet der 81-jährige Musiker, dass sich Fans auf der ganzen Welt noch in diesem Jahr auf einen neuen Song der Beatles freuen können – doch wie kann das sein? Schließlich besteht die Band seit den 1970er-Jahren nicht mehr, und es leben leider nur noch insgesamt zwei der ursprünglich vier Bandmitglieder, neben McCartney selbst ist es der zwei Jahre ältere Ringo Starr. Der neue und vermutlich letzte Beatles-Song, der wahrscheinlich den Titel „Now and then“ tragen wird, wurde unter Zuhilfenahme von Künstlicher Intelligenz (KI) kreiert. Basis des Songs war eine Kassette, die McCartney von Lennons Witwe, Yoko Ono, in den 90er-Jahren erhielt. Auf ebendieser Kassette befanden sich mehrere Songs, die Lennon vor seinem Tod aufgenommen hatte. Während zwei dieser Songs damals veröffentlicht wurden, verblieb ein dritter Song ungenutzt. Die Qualität der Aufnahme schien für eine Veröffentlichung nicht gut genug, zudem gefiel das Werk dem Bandmitglied George Harrison nicht. Nun hat sich die Situation geändert. McCartney erläuterte, dass es mittels der KI möglich war, die Stimme Lennons aufzubereiten und so ein gutes Klangbild zu erhalten. So kam es also zu einem neuen Song der Kultband – über 40 Jahre nach dem Tod von John Lennon.
Nachdem ich diese Neuigkeiten aus der Musikwelt gehört habe, waren meine Gedanken dazu zwiegespalten. Einerseits sehe ich natürlich, dass hier dank KI-Technik eine neues Stück Musikgeschichte geschrieben werden kann, die ansonsten weiter im Verborgenen geblieben wäre. Die Welt kommt in den Genuss eines weiteren Songs von John Lennon. Diese Musik wird sicherlich viele Menschen berühren und glücklich machen. Andererseits drängen sich mir auch eine Reihe von Bedenken auf. Ist es nicht irritierend, dass John Lennon als Urheber des Liedes selbst an dem kreativen Prozess nicht mehr teilhaben konnte? Müsste nicht, so traurig es ist, akzeptiert werden, dass der Tod des Künstlers eben auch seinem aktiven Schaffen eine Grenze setzt? Sollte man sich über diese Grenze hinwegsetzen oder würde das nicht in gewisser Weise bedeuten, die Einzigartigkeit von Künstler*innen in Abrede zu stellen?
(Verstorbene) Künstler*innen durch KI und Avatare zu ersetzen könnte diese Tendenz verstärken. So besitzt die britische Band Gorillaz ausschließlich virtuelle Bandmitglieder, die koreanische Band Aespa setzt sich neben vier menschlichen Sängerinnen aus weiteren vier virtuellen Mitgliedern zusammen. Bei der Neuauflage der Kinderserie Pumuckl werden die Zuschauer*innen die Möglichkeit haben, die Pumuckl-Figur mit der ikonischen Stimme des leider bereits verstorbenen Hans Clarin zu sehen. Auch Paul McCartney selbst spielte im letzten Jahr auf dem Glastonbury- Festival ein virtuelles Duett mit John Lennon.
Weiterhin stellt sich mir die zentrale Frage, inwieweit Kunst und Kultur mit dem Einsatz von KI überhaupt vereinbar sind. Mehr noch, ich stelle mir die Frage, was Kultur eigentlich ist und was diese ausmacht. Ist die Kombination von KI und Kultur nicht vielleicht ein unauflösliches Paradox? Diese Fragestellung ist natürlich alles andere als einfach und ist vermutlich Gegenstand zahlreicher Seminare und Fachbücher. Sicherlich ist es gar nicht möglich, in wenigen Sätzen den Begriff Kultur eindeutig zu definieren. Dennoch möchte ich versuchen, mich dem Begriff zumindest rudimentär anzunähern.
Meiner Meinung nach ist Kultur all das, was vom Menschen geschaffen wurde. Kultur ist gekennzeichnet von einer immensen Vielfalt, sie ist so unterschiedlich wie die Menschen, die sie schaffen. Und genau das macht sie so spannend. Kultur schafft idealerweise einen Ausgangspunkt für Gespräche und Austausch zwischen Menschen, Kunst und Kultur weist ein verbindendes Element auf. Kultur schafft auch Begegnungsräume, die wir in den Jahren der Pandemie so schmerzlich vermisst haben. Aus diesem Grund ist es auch wichtig, dass kulturelle Angebote für alle Interessierten, unabhängig von ihrem Hintergrund, zugänglich sind. Es gibt zudem nicht „die“ Kultur, eine Differenzierung von „guter“ und „schlechter“ Kunst und Kultur sollte unbedingt vermieden werden. Kunst und Kultur brauchen zudem Freiheit, denn in einer freiheitlichen Gesellschaft kann Kunst und Kultur besonders gedeihen.
Zurück zum Zusammenspiel von Kunst und KI. Meiner Meinung nach bildet sich zwischen diesen Aspekten ein Spannungsfeld, dass durchaus Gefahren aufweist. Daher sehe ich den Einsatz von KI-Anwendungen im Bereich der Kunst kritisch und denke, er sollte nicht inflationär und unüberlegt geschehen. Kunst und Kultur entstehen mittels individueller Kreativität und Fantasie, sie sind der Ausdruck menschlicher Gefühls- und Gedankenwelten, oftmals sind dadurch kulturelle Artefakte und Kunstwerke auch sehr persönlich. Gerade deswegen sind sie dazu in der Lage, die Betrachter*innen zu ergreifen und zu berühren. Hier liegt also eine der zuvor angesprochenen Gefahren: Es könnte ein wertvoller Teil von Kunst und Kultur durch den Einsatz von KI-Anwendungen verloren gehen. Es stellt sich mir die Frage: Warum soll ich einen Text von ChatGPT erstellen lassen? Ich kann ihn doch selbst schreiben, was spricht dagegen? Geht es hier einzig allein um Effizienz und Optimierung? Traut man der Analyse von KI mehr als menschlichen Entscheidungen? Um unkonventionelle, spannende Ideen zu entwickeln, erscheint es mir gewinnbringender, Mitmenschen statt den Algorithmus zu befragen. Wo ist der kreative Prozess, der den Kulturschaffenden doch auch Freude bereitet?
Zudem ist es nun mal auch so, dass nicht alles im Leben mit Erfolg gekrönt sein kann. Das gilt natürlich ebenso für Kultur und Kunst. Nicht jedes neue Buch, nicht jede neue Ausstellung, nicht jede neue Serie kann gleich gut beim Publikum ankommen. Misserfolg, egal ob künstlerischer oder anderweitiger Natur, kann in der Gesamtschau vielleicht sogar einen wichtigen Lernprozess darstellen und den Weg für Innovationen bereiten. Dieser Tatsache mit KI-Anwendungen entgegenwirken zu wollen, erscheint mir wenig sinnvoll, und sogar irgendwie naiv. Auch das Ziel von Kunst und Kultur wird meines Erachtens mit dem verstärkten Einsatz von KI verfehlt. Denn auch wenn ich dieses Ziel nicht eindeutig benennen kann, bin ich mir sicher, dass es um eine Sache eben nicht geht: Effizienz und Optimierung. Ich erkenne hier eine Tendenz, die ein zentrales Wesensmerkmal von Kunst und Kultur geringschätzt und die begünstigt, dass auch Individualität verloren geht. Das Menschliche und auch der Austausch von Menschen während des Schöpfungsprozesses finden in geringerem Maße Platz. Kunst und Kultur stelle ich mir mehr als Dialog zwischen Menschen und weniger als Monolog eines programmierten Computersystems vor. Ein Leben ohne KI wird es wohl in der Zukunft nicht geben, und die Vorteile der Anwendungen sollten auch nicht außer Acht gelassen werden. Aber ich halte es für wichtig, dass KI den Menschen in bestimmten, klar definierten Bereichen unterstützt, und ihn und seine eigenen Denkprozesse nicht nach und nach ersetzt. Individualität und Einzigartigkeit sollte geschützt werden, auch wenn das bedeutet, nicht immer erfolgreich zu sein oder der Mehrheit zu gefallen.
ChatGPT: ChatGPT ist ein Chatbot, der seit Ende des Jahres 2022 verfügbar ist. Die KI kann innerhalb kurzer Zeit Texte unterschiedlicher Art zu bestimmten Themen verfassen. In der Kreativbranche findet ChatGPT ebenso Anwendung wie Bildgeneratoren wie Midjourney.
Dramaton: Ist ein interaktives, von Google entwickeltes Tool, das für Kino, Fernsehen sowie Theater Drehbuchentwürfe erstellen kann. Als Basis genügen wenige Angaben. Sie können im Arbeitsprozess wie ein Co-Writer zur Seite stehen, mittels einer Chat-Funktion ist Interkation möglich. ChatGPT bietet diese Möglichkeit in deutlich geringerem Umfang.
Largo.ai: Das Tool soll helfen, die ideale Besetzung für einen Film/Serie zu finden sowie Vorschläge für die Vermarktung bereitstellen.
Cinelytic/SkriptBook: KI-gestützte Software, die Drehbücher auf ihre kommerziellen Chancen hin untersucht und auswertet. Diese Programme werden bereits von großen Studios genutzt.
Streik der Drehbuchautor*innen in den USA: Seit dem 02.05. streiken die Skriptautor*innen in den USA. Ihre Gewerkschaft, die Writers Guild of America (WGA) fordert ein höheres Gehalt, bessere Sozialleistungen sowie Gewinnbeteiligungen an besonders erfolgreichen Projekten von Streamingdiensten. Den Einsatz von KI betrachten die Autor*innen ebenfalls kritisch. Auf Grundlage von bereits existenten Drehbüchern können mittels KI neue geschaffen werden. Auch hier wird auf eine finanzielle Beteiligung der ursprünglichen Autor*innen gepocht.
Von Mariann Schneider
Beitrag erstellt am: 06.08.2023 um 09:29 Uhr
Letzte Änderung am: 06.06.2024 um 09:33 Uhr
Über Mariann Schneider
... studiert im Master Medienwissenschaft und Medienrecht. In ihrer Freizeit ist sie gerne im Kino oder in einem der zahlreichen Cafes in Köln. Genau so gerne flaniert sie durch den Stadtwald oder liest ein gutes Buch auf dem Balkon, am liebsten von Agatha Christie.