Samstagmorgen. 4 Uhr in Pukekohe (Neuseeland). Es ist dunkel. Das Gras ist feucht. Christiane sitzt am Steuer eines 30,4 Tonnen schweren Traktors und erntet Annabelle-Kartoffeln. „In der Hitze würden die Kartoffeln sehr leiden und sie sind im warmen Zustand sehr empfindlich gegenüber Stößen“, sagt die 22-jährige Rheinland-Pfälzerin. Eigentlich ist die Landwirtschaftsstudentin auf dem Familienbauernhof in Worms zu finden. Im Rahmen ihres Praxissemesters arbeitet Christiane von November bis Januar als Traktorfahrerin in Neuseeland. Immer mit dabei: ihr Smartphone. Ihren Alltag dokumentiert sie über Instagram. „Ich möchte den Menschen die moderne Landwirtschaft näherbringen. Sie wird oftmals von Medien falsch und veraltet dargestellt. Die meisten Menschen aus der Großstadt haben oft keinen Bezug zur heutigen Landwirtschaft und wissen auch nicht, woher ihr Essen kommt.“
Auf dem 150 Hektar großen Hof ihrer Eltern in Worms befinden sich ein Wohnhaus und zwei isolierte Hallen für Maschinen und die Lagerung der Ernte: Getreide, Zuckerrüben, Kartoffeln, Zwiebeln, Kürbisse, Trauben und Mais. Der Großteil der Ernte wird lose an Großhändler geliefert und dort gewaschen und verpackt. Der Großhändler beliefert die Supermärkte in der Region. Den Ackerbaubetrieb stemmt Familie Fuchs zu viert; im Sommer helfen noch zwei bis drei Gastarbeiter*innen. Christianes Vater, Steffen Fuchs, leitet den Familienbetrieb, ihre Mutter arbeitet als Industriekauffrau und ihre 16-jährige Schwester geht in die 10. Klasse.
9 Uhr. Worms. Christiane fährt mit der Kartoffelernte zum sogenannten „Probenhaus“. Das Lied „Forever“ von Labrinth läuft im Radio. Vorher hat Christiane, aka agrar_fuchs, noch ein paar Stories bei Instagram hochgeladen. Im Probenhaus werden die Kartoffeln nach Flecken, ergrünten, faulen oder beschädigten Knollen, Pilzen und Drahtwürmern überprüft. Es kommt vor, dass die Annahme der Kartoffeln verweigert und die Ernte für wenig Geld in die Biogasanlage gefahren wird. „Wir bekommen immer mehr Probleme mit dem Drahtwurm im Frühkartoffelanbau. Seit 2016 hat die Politik die Nutzung des Pflanzenschutzmittels „Goldor Bait“ verboten, welches speziell zur Bekämpfung dieses Wurms dient“, erzählt Christiane. Der Drahtwurmbefall eines Ackers kann den Landwirten schnell einige tausende Euro kosten. Von den Gasengpässen in Folge des Ukraine-Krieges ist Familie Fuchs nicht betroffen. Aber die hohen Preise für Energie, Futter- und Düngemittel sind zu spüren. „Die 2022 beschlossene Anpassungsbeihilfe der Bundesregierung ist nur ein kleiner Bruchteil von dem, was die Landwirte aufgrund des Krieges mehr für Waren bezahlen. Diese Hilfe kann unser Loch im Geldbeutel nur bedingt schließen, da die Landwirte auch nicht mehr für ihre Ware erhalten“, sagt Steffen Fuchs.
22 Uhr. Worms. Vögel zwitschern. Es riecht erdig. Christiane bewässert die Felder. Die Verdunstung ist abends niedriger. Dadurch spart sie Grundwasser. „In den vergangenen Jahren mussten wir immer häufiger unsere Kartoffeln und Zwiebeln vorberegnen, um sie überhaupt aus dem harten und trockenen Boden zu bekommen.“ Der Klimawandel ist sehr deutlich zu spüren, erzählt Christiane. „Von Jahr zu Jahr sind die Felder mehr von der Sommertrockenheit betroffen.“
Neben dem Klimawandel macht den Landwirten besonders die Abhängigkeit des Weltmarktes den Landwirten zu schaffen. Die Digitalisierung und die strengen Richtlinien und Auflagen seitens der Politik verändern den Beruf des Landwirts. Christianes Vater verbringt immer mehr Zeit hinter dem Schreibtisch. Damit der Hof landwirtschaftliche Erzeugnisse im Handel verkaufen kann, benötigt Familie Fuchs eine Qualitätssicherung und Zertifizierung. Die auferlegten Regeln für die deutschen Landwirte gelten teilweise nicht für importierte Lebensmittel. „Die Erzeugung im eigenen Land wird durch dieses Handeln stark gefährdet. Hier fehlt es deutlich an Aufklärung und Gerechtigkeit!“, sagt Christiane.
Der altgediente Beruf des Landwirts hat sich also längst in den eines modernen „Natur-Allrounders“ gewandelt. Christiane möchte den Ackerbaubetrieb nach ihrem Studium übernehmen. Nachfolger zu finden, ist nicht leicht, denn „im Sommer arbeiten wir 18 bis 20 Stunden am Tag; im Winter 10 Stunden und wir haben kein geregeltes Einkommen. Für den Beruf muss man richtig brennen“, erklärt die Influencerin. Für Hobbys ist im Sommer nicht viel Zeit, aber ein Bierchen zum Feierabend, das gönnt sich Christiane. Naturtrüb natürlich.
Von Ronja Afflerbach
Beitrag erstellt am: 24.05.2023 um 11:25 Uhr
Letzte Änderung am: 16.06.2023 um 09:35 Uhr