Der Artikel, der in der Ausgabe des SPIEGEL vom 17.12.2022 veröffentlicht wurde schlägt aktuell hohe Wellen an unserer Uni. Denn dort äußern sich zwei ehemalige Doktorandinnen, die ihrem Doktorvater schwerwiegende Vorwürfe machen, darunter Machtmissbrauch, Grenzüberschreitung sowie sexualisierte Belästigung. Mich hat der Artikel aufgewühlt und auch wütend gemacht. Und vor allem hat er bei mir viele Fragen hervorgerufen. Der Artikel zeigt, dass zwei Probleme an unserer Universität bestehen (und vermutlich auch an vielen anderen Hochschulen): Zum einen begünstigen die hierarchischen Strukturen und auch die Beschäftigungsverhältnisse innerhalb der Uni Diskriminierung und Machtmissbrauch. Und außerdem scheint die Uni nicht in der Lage zu sein, entsprechende Anlaufstellen zu schaffen, die den Betroffenen effektiv helfen! Letzteres scheint mir fast das schwerwiegendere Problem zu sein.
Im SPIEGEL berichten zwei ehemalige Doktorandinnen von ihren Erfahrungen mit ihrem einstigen Doktorvater. Sie sind aber nicht die einzigen Frauen, die sich über den Wissenschaftler beschwerten. Eine der betroffenen Frauen berichtet im Gespräch mit den Journalisten, dass sie versucht habe, sich bei Anlaufstellen der Universität Unterstützung zu holen. Das war aber vergebens. Man riet ihr in Gesprächen sogar davon ab, weiter gegen den Professor vorzugehen! Schließlich sei er mächtiger als sie. Hier ergibt sich die Universität also scheinbar ohne großen Widerstand und akzeptiert – wenn nicht gar legitimiert – alle Probleme, die im universitären Kontext mit seinen Machtgefällen entstehen. Ein solches Agieren ist aus meiner Sicht absolut inakzeptabel!
Ebenso stößt die Durchführung des Disziplinarverfahren, das schließlich gegen den Mann eingeleitet wurde, bei mir auf Unverständnis. Ich bin natürlich keine Juristin und kenne die gesetzlichen Vorgaben nicht. Aber einige Aspekte kann ich nur schwer nachvollziehen. Im Rahmen des Verfahrens hatten sich alle Frauen, die Beschwerde gegen den Professor eingereicht haben, zur Zeugenvernehmung einzufinden. Eine der betroffenen Frauen sah sich bei dieser Zeugenvernehmung mit zwei Justiziaren sowie dem Professor und dessen Anwalt konfrontiert, berichtet der SPIEGEL. Im Beisein der Person, gegen die sie Anschuldigungen erhebt, musste die ehemalige Doktorandin sich zu den Ereignissen befragen lassen. Warum musste der Professor in diesem Moment anwesend sein? Hätte man das Gespräch nicht zunächst ohne diesen führen können, um einen ‚safe space‘ zu schaffen und zu signalisieren, dass man sich ernsthaft und respektvoll mit den geschilderten Problemen auseinandersetzt? Zudem absolut unpassend sind die im SPIEGEL genannten Fragen des Anwalts des beschuldigten Professors. Er stellt unter anderem Fragen, die aus meiner Sicht die Privatsphäre der Frau betreffen, so will er etwa den Zeitpunkt des Beziehungsendes der jungen Frau erfahren. Ich frage mich: Was hat diese private Frage in einem offiziellen Disziplinarverfahren zu suchen? Inwiefern ist sie im Zusammenhang mit den Vorwürfen gegen den Professor relevant? Darüber hinaus werden vom Professor geäußerte eindeutig sexuell konnotierte Begriffe von der Justiziarin der Uni umgedeutet. Im Protokoll ist der Vernehmung ist dies nach Angaben des SPIEGEL einsehbar (eine eigene Einsicht ist noch nicht erfolgt). Demnach erläutert die Justiziarin, dass dieser Begriff vom Professor in einem anderen Sinne gebraucht werden würde. Wird etwa auch hier das Verhalten des Mannes heruntergespielt und mithin akzeptiert? Es kommen hier Zweifel auf, ob das Verfahren tatsächlich professionell sowie neutral durchgeführt wird.
Außerdem stellt sich für mich die Frage, warum das Disziplinarverfahren schon seit 3 Jahren andauert. Sicherlich dauert es eine gewisse Zeit, den Sachverhalt zu erfassen und Betroffene anzuhören. Aber dennoch: Das Verfahren wird vorliegend in meinen Augen ad absurdum geführt – denn effektiv ist es doch wohl nur, wenn es zügig abläuft und für die Betroffenen transparent gemacht wird. Das ist auch im Interesse eines geregelten Wissenschaftsbetriebs. Und wenn dies nicht möglich ist, wäre es vielleicht an der Zeit, wirkungsvollere Instrumente zu entwickeln, damit Betroffene sich nicht machtlos fühlen. Aber genau das ist der Fall, wie die Frauen im SPIEGEL berichten. Sie fühlen sich ohnmächtig, nicht ernst genommen. Nach wie vor werden sie im Unklaren über den Verlauf des Verfahrens gelassen. Beide Frauen haben die Universität inzwischen verlassen. Der Professor lehrt weiter. Die Justiziare verwiesen im Zusammenhang mit dem Verlauf des Verfahrens auf die Uni-Homepage. Wenn der Professor dort noch präsent sei, habe das Verfahren eher keine Folgen für ihn gehabt, so die Juristen. Zu solch einer Aussage fällt mir ehrlich gesagt nichts mehr ein. Vor allem stelle ich mir auch die Frage, welche Schlüsse man nun aus diesem Vorfall ziehen soll? Dass Betroffene an unserer Universität nicht gegen Übergriffe von Vorgesetzten vorgehen können, wenn diese (noch) nicht strafrechtlich relevant sind?
Vorliegend scheint das Verfahren weder effektiv noch transparent für die Beteiligten zu sein. Nachfragen zu dem Verfahren dürfen aus rechtlichen Gründen nicht beantwortet werden, erläutert die Uni in einer offiziellen Stellungnahme. Das ist eine sehr unbefriedigende Situation für die Betroffenen und macht es auch schwierig für uns, zu diesem Vorfall zu recherchieren und darüber zu berichten. Die Uni sollte aufpassen, dass die dunkelgelbe Karte nicht bald zu einer roten wird.
Der ganze Artikel ist in der Ausgabe des SPIEGEL vom 17.12.2022 nachzulesen.
Von Mariann Schneider
Beitrag erstellt am: 23.12.2022 um 22:17 Uhr
Letzte Änderung am: 23.12.2022 um 22:17 Uhr
Über Mariann Schneider
... studiert im Master Medienwissenschaft und Medienrecht. In ihrer Freizeit ist sie gerne im Kino oder in einem der zahlreichen Cafes in Köln. Genau so gerne flaniert sie durch den Stadtwald oder liest ein gutes Buch auf dem Balkon, am liebsten von Agatha Christie.