Es ist etwas überhöht und das sollte es auch sein

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Interview mit Carla Kaspari

Was hält Debütautorin Carla Kaspari von Digital Detox und wie hat die Nutzung von Sozialen Medien die Produktion ihres Romans Freizeit beeinflusst? Carla Kaspari erzählt über Marketingdynamiken und Stilisierungsstress, über Trennung von Marke und Produkt und über das mehr oder weniger gewünschte Verschwimmen von Erzähler*in und Autor*innenpersona. 

Wir treffen uns nachmittags an einem Kiosk, an dem es Kaffee mit Hafermilch zu kaufen gibt. Ich stehe ein paar Minuten alleine dort und tippe Notizen in einen Chat mit mir selbst. Gestern habe ich hier um die Ecke Carla Kasparis Roman Freizeit gekauft, habe die Buchhändlerin gefragt, ob sie es auch so empfinde, als sei der Roman sehr gefragt: Ja, sie habe ihn selbst noch nicht gelesen, aber er sei sehr beliebt, sie habe viel Gutes gehört und der Roman solle dem der irischen Schriftstellerin Sally Rooney ähneln, Normal People.

Irgendwie schade, dieser Vergleich, denn Freizeit ist ein besonderer Roman, der in seiner Eigenheit und Inszenierung gut für sich stehen kann. Nicht nur die Handlung um die 27-jährige Autorin und Texterin Franziska – auch die fortwährende Beschreibung des (Sich-Selbst-) Beobachtens – stehen hier im Mittelpunkt. Einmal zu lesen angefangen, wollte ich das Buch nicht mehr zur Seite legen, obwohl sich schon nach wenigen Seiten das Gefühl einstellte, von einer nicht ganz angenehmen Person gesehen zu werden. Denn Franziska beobachtet gern und das Gesehene wird wortgewandt bewertet.

Carla Kaspari kommt mit dem Fahrrad. An besagtem Kiosk holen wir uns stilles Wasser und Americano und spazieren damit an einen nahegelegenen, nach einem Juristen benannten Platz. Vor uns tollen während des Interviews zwei blonde Mädchen mit langen offenen Haaren in Kleidern. Gelegentlich kreischen sie um die Aufmerksamkeit des Menschengrüppchens an der Bank neben unserer. Diese tragen dunkelgraue Dreiviertelhosen und unterhalten sich über eine Tante Angelika. Ab und an werden den beiden Mädchen Apfelschnitze aus Tupperdosen in die kleinen Hände gedrückt. All das behindert unser Interview nicht, wir schieben das aufnehmende Handy mehr in Kasparis Richtung und schauen hin und wieder irritiert, wenn die Kinder besonders laut schreien. 

Liebe Carla, würdest du deinen Roman Freizeit als „postdigitale Literatur“ bezeichnen?

Ich folge Elias Kreuzmair auf Twitter, der hat letztens etwas zu postdigitaler Literatur getweetet. Da habe ich auch überlegt, ob das auf meinen Roman zutrifft. Wenn Digitalität, Schreiben im Internet und digitales Schreiben als etwas Normales, Alltägliches angesehen werden, auf dem die Literatur basiert, dann ja, dann passt das.

Wie bist du die Figurenkonzenption für deinen Roman angegangen?

Franziska war schon sehr lange in meinem Kopf, sie ist seit ich Anfang zwanzig bin mitgewachsen und hat sich mitentwickelt. Ich finde sie als Figur spannend und wollte immer eine weibliche Protagonistin, die unlikeable und gleichzeitig doch relatable ist. Sie war auch eine Motivation den Text zu schreiben. Alles andere – auch ihr Freund*innenkreis – hat sich dann während des Schreibprozesses intuitiv um sie herum entwickelt.

Wie würdest du die Produktionsbedingungen von deinem Roman beschreiben?

Gut! Ich hatte ein Stipendium von stadt.land.text über vier Monate, in denen ich hauptsächlich daran gearbeitet habe. Ich hatte seit meinen Zwanzigern Fragmente des Textes angesammelt, aber nie die Zeit, alles zusammenzufügen und diesen Roman zu schreiben. Auf einem kleinen Wasserschloss am Niederrhein hatte ich dann – möglichst klischeeisiert – die Möglichkeit, komplett raus aus allem, zu schreiben. Im März 2020 ging dann der Lockdown los – also war ich sogar doppelt isoliert und hatte einen doppelten Fokus auf den Text. Parallel zum Romanschreiben habe ich Texte auf dem Blog von stadt.land.text veröffentlicht, es war aber Lockdown-bedingt in der Region wirklich nicht viel zu entdecken. Daher wurde uns Stipendiat*innen viel Freiraum gelassen um an Eigenem zu arbeiten. 

Du hast viele Follower*innen auf Twitter und auch auf Instagram. Was würdest du sagen, hat deine Präsenz auf den Sozialen Medien deinen Schreibprozess beeinflusst?

Erstmal würde ich sagen, dass „viel“ hier relativ ist. Natürlich, wenn man grad 200 Follower*innen hat, denkt man, 10.000 seien viel, aber in manchen Reichweitengrößen bin ich sehr underground und niemand kennt mich. Ich habe das Gefühl, dass angenommen wird, dass ich Social Media ganz aktiv betreibe – aber das ist überhaupt nicht so. Ich haue da manchmal so Gedanken raus, aber ich bin auch wirklich oft sehr inaktiv und das läuft dann nur nebenbei. Es hat das Schreiben aber insofern beeinflusst, als dass das digitale Schreiben auch im Roman eine Rolle spielt, weil es eben ein Gegenwartsroman ist. Dieses ganze Aphoristische, das auch im Roman drinsteckt, das spiegelt natürlich nicht nur unbewusst digitales Schreiben.

Man muss aber auch ein bisschen aufpassen: Ich hab Beobachtungen schon auf Twitter genutzt, die im Roman aufgegriffen werden. Das ist nicht weiter schlimm. Aber wenn man sich als Autorin verdingt und eine kleine Aufmerksamkeitsplattform online hat, muss man aufpassen, dass man nicht zu schnell Sachen rausschießt, die in einem anderen Kontext wertvoller wären.

Ich könnte mir vorstellen, dass diese Dopplung von Beobachtungen online und im Roman deinen Follower*innenerlaubt, eine engere Bindung zu dir als Erzählerin aufzubauen?

Also das ist mit Sicherheit so, aber ich finde das nicht gut. Die Sozialen Medien, das ist einerseits immer Spaß für mich gewesen und hat als Gedankenmüllhalde (sorry für dieses Wort) funktioniert. Andererseits ist es eine Plattform, die natürlich wichtig ist, wenn man sich und seine Arbeit als Künstlerin oder Schriftstellerin präsentieren möchte. Grundsätzlich halte ich aber nichts davon, wenn Internetpersona und Kunst nicht voneinander getrennt werden. In meinem Fall soll der Roman, also der Text, für sich stehen und nicht der Roman der Twitterpersona Carla Kaspari sein. Aber es ist natürlich okay, wenn über diese Linie Zugang geschaffen wird.

Carla Kaspari
Foto: Frederike Wetzels
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Ich habe uns ein Zitat mitgebracht. Jessica Halermöller rät bei autorenwelt: „Aus meiner Sicht ist Instagram der perfekte Kanal, um Werbung für dich als Autorin oder Autor zu machen und über passende Fotos deine Leserinnen und Leser in deine ganz eigene Welt eintauchen zu lassen.“ – Das siehst du nicht so?

Da bekomme ich Gänsehaut. Man muss schon sagen, dass ich das Buchcover aggressiv instagrammable (Anmerkung d. Red.: visuell so gestaltet, dass es sich gut auf Instagram posten lässt/dort gut ankommt) gestaltet habe und jetzt natürlich diese Marketingstrategie absolut aufgeht: Leute liegen am Strand und fotografieren das Cover von Freizeit, um es dann in ihrer Story zu posten. Aber genau diese Dynamiken werden im Roman angesprochen. Ich finde das extrem gefährlich, dass Menschen, die viele Follower*innen haben deswegen Buchverträge bekommen und Romane schreiben – die können bestimmt gut sein, aber müssen sie nicht. Da gibt es einen Unterschied zwischen dem Createn von Content und dem Produzieren von Literatur, den man nicht vergessen sollte. In meinem Fall hat das Sinn gemacht, genau damit zu spielen, aber grundsätzlich muss man da unterscheiden.

Abschließend dazu: Social Media ist gut für junge Autor*innen, um sich eine kleine Aufmerksamkeitsplattform aufzubauen. Es kommt aber letztlich darauf an, was man produziert – nicht darauf, was man postet.

Was hältst du von digital detox? Kannst und möchtest du dir das erlauben?

Ich glaube, mittlerweile kann ich entscheiden, nicht mehr so aktiv zu sein. Weil die Leute, die über Twitter auf mich aufmerksam werden sollten, das mittlerweile auch sind. Wenn ich zum Beispiel vor zwei Jahren alles gelöscht hätte, wer weiß, wie es dann jetzt wäre. 

Letztens hat die Süddeutsche getitelt: „Carla Kaspari hat einen der wenigen wirklich guten Twitter-Accounts in Deutschland. Jetzt hat sie ihren ersten Roman geschrieben.“ – das war ein guter Moment, um erstmal nichts mehr zu tweeten. 

In einem der Reels vom KiWi Verlag zu Freizeit sieht man eine Person Fitnessübungen machen und dabei deinen Roman lesen, bei einem anderen sieht man jemanden beim Skaten oder Tretbootfahren. Wer die Personen sind, bleibt offen, ihr Gesicht wird vom Buchcover verdeckt. Eine von ihnen könntest du sein oder sie könnten Personen aus Freizeit darstellen. Diese Werbeschnipsel zeigen geschickt wie ein Verschieben der „Grenzen zwischen Privatperson, Autorpersona und Erzähler:in“ (Groß & Hamel, 2022) über Social Media stattfinden und begünstigt werden kann. Wie siehst du das und wie kamt ihr auf die Idee mit den Reels?

Der Roman musste ja irgendwie vermarktet werden und da war es am schlausten das über Instagram zu machen, anstatt Plakate aufzuhängen oder ähnliches. Ich hab das mit den Reels vorgeschlagen und konzipiert. Es war mir wichtig das so zu machen: nicht zu platt, sondern bisschen subtil, bisschen ästhetisch, mit einem Augenzwinkern.

Ich finde das Ergebnis sehr gut, die Reels sind schön geworden; nichtsdestotrotz würde ich das wahrscheinlich beim nächsten Mal nicht mehr so machen, weil es mir zu konzentriert auf Instagram war. 

Ich hatte insgesamt immer ein Mitspracherecht was die Vermarktung angeht und habe ein bisschen damit gespielt. Dass das Autorinnenbild in Rosatönen gehalten ist zum Beispiel und auch dieses grammable (Anmerkung d. Red: instagrammable, Definiton s. oben) Cover, das ist schon etwas überhöht. Einerseits wollte ich die Marketingdynamik haben, andererseits wollte ich aber auch sagen: Das ist doch dumm, dass das immer so laufen muss. Insgesamt sollte das auch auf eine subtile Art irritieren.

Das ist auf jeden Fall gelungen: Mich irritiert es und macht dadurch neugierig. Für die letzte Frage leihe ich mir noch ein Zitat von Pola Groß und Hanna Hamel, die behaupten: Autor:innen stehen unter einem für populäre Kulturen typischen „Stilisierungsstress““. Franziska schreibt in Freizeit selbst einen Roman. Was meinst du, leidet sie unter Stilisierungsstress?

Ja, ich glaube schon. Vor allem in Konkurrenz zu Lo empfindet sie Stress, weil die sich krasser selbst darstellt und vermeintlich erfolgreicher ist mit ihrem literarischen Schaffen. Franziska sieht sich nicht als Romanautorin sondern ist pragmatische Textarbeiterin, aber als klar wird, dass sie ein Buch schreibt, fühlt sie sich von unterschiedlichen Faktoren gestresst. Auch durch diese Konkurrenz und die Stilisierung der Autor*innen um sie herum. Das ist vielleicht eine Parallele – da schließt sich der Kreis, dass das Vergleichen zu Druck führt und zu Selbstdarstellungsstress, wenn man sieht, dass andere Autor*innen etwas so oder so handhaben. Irgendwann muss man dann entscheiden: Will ich da mitspielen und weiter viel Content produzieren oder ist das meinem künstlerischen Prozess eher hinderlich?

Vielen Dank für das schöne Gespräch.

Ein Gastbeitrag von Lotte Löhausen

Von Redaktion

Beitrag erstellt am: 26.11.2022 um 14:46 Uhr
Letzte Änderung am: 26.11.2022 um 14:48 Uhr