Ausbeutung im Einzelhandel

Fensterfront eines Modegeschäftes. Rechts im Bild gehen zwei Personen an dem Laden vorbei.
Hinter der Fassade und den attraktiven Angeboten für Kund*innen regiert ein immenser Druck nach Umsatz auf die Mitarbeiter*innen. Foto: Tobias Schröer.

Arbeitsbedingungen von Fast Fashion in Asien, davon haben die meisten schon mal etwas gehört, doch wie sieht es mit den Verhältnissen in den deutschen Filialen aus? Ein Erfahrungsbericht.

ONLY ist ein Unternehmen, das man vom Tagesbummel durch die Stadt kennt. Von Strickpullovern, über Jeans und Jacken werden viele mittelpreisige Kleidungsstücke auf relativ kleiner Fläche angeboten. Angezogen von den großen SALE-Bannern werden dann auch schon mal gerne ein paar Euro mehr ausgegeben. Bestseller ist das Unternehmen, das hinter der Marke ONLY steht. Es ist aber auch Inhaber von VeroModa, Jack&Jones und vielen weiteren Marken mit insgesamt 3000 weltweiten Retailern. Das Unternehmen gehört zu einem global agierenden Netzwerk aus Firmen, die das Fast Fashion-Business kontrollieren. ONLY hat sich dabei auf Damenmode für Frauen im Alter von 14 bis Mitte 50 spezialisiert. Die Kleidung soll jugendlich, modern und trendy sein. Kleidung aus dem Fast Fashion-Bereich wird unter schrecklichen Arbeitsbedingungen produziert – das wissen mittlerweile alle Konsument*innen. ONLY hat allein in Köln sechs Filialen. Da ist es nicht unwahrscheinlich, dass man mal in einen Store geht und kurz vergisst, wie der Strickpullover für 29,99€ produziert wurde. In diesem Kaufprozess spielen die Näher*innen in den Gedanken der Konsument*innen keine Rolle. Ausbeutung reicht aber auch bis zu uns deutschen Mitarbeitenden, wenn auch nicht zu vergleichen mit dem Schicksal der Näher*innen. Die Verkäufer*in, die uns berät, Größen heraussucht und abkassiert ist für uns selbstverständlich. Doch was man als Kund*in nicht weiß: Hier unterstützt man nicht nur Fast Fashion ein paar Tausend Kilometer entfernt, sondern auch ausbeuterische Methoden direkt in Köln. Ich selbst habe für kurze Zeit bei ONLY als Verkäuferin im Rahmen eines Minijobs gearbeitet und kann daher einen genaueren Einblick bieten.

„Die jungen Frauen streben nach Anerkennung, sind unerfahren und ordnen sich leicht unter.“

Die Karriereleiter erklimmen möglich, aber zu welchem Preis?  

Zunächst erkläre ich die Unternehmensstruktur, um einen Einblick in die Hierarchieverhältnisse zu geben. Man beginnt als Vollzeitkraft, wird dann zur Shop Manager*innen, Bereichs- und Regionalleitung und dann zum CEO (Chief Executive Officer), natürlich nur theoretisch. Für das Einstellen von Mini-, Teil- und Vollzeitkräften ist die Shop Manager*in verantwortlich. Die meisten eingestellten Personen weisen ein wiederkehrendes Profil auf, nämlich 18- bis 21-jährige, weibliche Mitarbeiter, die gering qualifiziert sind. Das Jobangebot ist besonders für sie attraktiv, da ONLY Aufstiegschancen verspricht, die sie allein wegen des Mangels an Qualifizierung anderswo nicht bekommen würden. Die jungen Frauen streben nach Anerkennung, sind unerfahren und ordnen sich leicht unter. Auch ihr Aussehen spielt bei der Einstellung anscheinend eine entscheidende Rolle. So wurde mir schon am Probetag mehrfach gesagt, wie gut ich optisch in das Geschäft passe und wie man es damit weit bringen könne. Doch diese Chancen haben auch ihren Preis. Ich habe zusätzlichen Kontakt zu einer in Vollzeit arbeitenden Ex-Mitarbeiterin gesucht, die aus ihrer Perspektive berichtet hat. Der Traum der meisten Vollzeitkräfte ist es, Shop Manager*in zu werden. Um dieses Ziel zu erreichen, muss man viele Überstunden leisten und auch mal, ohne einzustempeln, früher anfangen zu arbeiten. Doch das Allerwichtigste ist das Mindset: Man muss willens sein alles zu tun, was die Regionalleiter* innen wollen. Hier wird es problematisch. Die Regionalleiter*innen sind darauf aus, das Umsatzziel jedes Jahr zu steigern. Das Ziel ist eine Umsatzsteigerung von mindestens 10%. Mitarbeitenden wurde im firmeninternen WhatsApp Chat diese Nachricht vom zuständigen Kölner Regionalmanager geschrieben „Ihr habt euren Index gestern wegen 1€ nicht erreicht. Das geht absolut nicht. Es wäre eine [sic] Shoppingbag gewesen. Ihr müsst eure Umsätze regelmäßig checken und auch den Ansporn besitzen […]. Ab sofort checkt ihr um 12 Uhr, 14 Uhr, 16 Uhr, 18 Uhr und 19 Uhr euren Umsatz. Wenn ich euch anrufe, erwarte ich von jedem Einzelnen, dass er den aktuellen Umsatz kennt und weiß wie viel noch fehlt, um eure Ziele zu erreichen.“ Wenn das Ziel nicht erreicht wird, dann ist man also selbst schuld, man hatte nicht genug „Ansporn“. Oft wurde betont, man müsse dann die Verkaufsstrategie anpassen. Doch was soll das heißen? Und was soll man tun, wenn am heutigen Tag einfach weniger Kund*innen kommen als am gleichen Tag des Vorjahres?

Billige Klamotten in teuren Tüten

Hier kommen die Kund*innen ins Spiel. Die angesprochenen Ziele, die der Regionalmanager meint, sind folgende: Jeder Kunde muss mindestens drei Teile kaufen und diese dürfen einen Wert von 40€ im Schnitt nicht unterschreiten. Um das zu erreichen, wird mit Tricks gearbeitet. Im Laden gibt es, üblicherweise eine Papiertütenoption für 15 Cent, aber auch eines Shoppingbag für 3,50€. Das Bag besteht aus Polypropylen, mit anderen Worten Plastik, und hat einen billigen Reißverschluss, der schon nach einmaliger Benutzung in der Regel reißt. Das Shoppingbag geht in der Statistik als Kleidungsstück ein und soll daher von den Mitarbeiter*innen beworben werden. Doch beim Bewerben bleibt es nicht. So soll man Kund*innen anlügen und erzählen, man habe keine Papiertüten mehr, obwohl die ganze Verkaufstheke vollgestopft ist. Dadurch sollen die Leute gezwungen werden, ihren Einkauf in 3,50€-Tüten statt in 15 Cent-Tüten abzutransportieren. Während des Kassierens kontrollieren sich die Kolleg*innen ständig gegenseitig, ob sich auch an die Lüge gehalten wird. Als ich auf die Frage einer Kundin nach einer billigeren Papiertüte darauf hinwies, dass ich momentan keine verkaufen darf, wurde ich entlassen. Im Gespräch mit einer Vorgesetzten hieß es: „Man muss auch mal bereit seinen Kunden anzulügen, das ist Teil des Jobs.“ Darauf erwiderte ich: „Ich will aber niemanden anlügen. Wenn man um jeden Preis etwas verkaufen will, kann man auch Organhändler werden.“ Die Vorgesetzte entgegnete: „Nur leider ist das verboten.“ Die bereits erwähnte Ex-Vollzeitkraft berichtet mir, sie habe aus Überforderung nach anderthalb Jahren gekündigt. Der Umsatz, den man als einzelne Mitarbeiter* in erreicht, werde durch die Kasse in einer gesonderten Statistik erfasst. Wenn die Zahlen nicht stimmen, werde man angebrüllt. Von aufstrebenden Shop Manager*innen wurde erwartet, vor Ladenschluss mit ihrem privaten Geld Kleidung zu kaufen, um sie dann am nächsten Tag zurückzugeben, nur um das Tagesziel zu erreichen. Doch letztendlich zahlen nicht nur die Näher*innen und Mitarbeiter*innen den Preis, sondern auch die Kund*innen. Denn die hohen Kosten für einen schlecht verarbeiteten Shoppingbag müssen sie tragen. Abgesehen davon werden durch den mentalen Druck oft Artikel empfohlen, die entweder nicht gut laufen oder gar nicht passen. Das ist zum Nachteil der Kund*innen. Eine ehrliche und professionelle Beratung sieht anders aus – und faire Arbeitsbedingungen ebenfalls.

Von Annika Ginster

Beitrag erstellt am: 17.11.2022 um 08:27 Uhr
Letzte Änderung am: 23.05.2024 um 08:28 Uhr