Aufbruch kommt von Aufbrechen

Illustration: Manijé Angaji.

Über Kämpfe gegen diskriminierende Strukturen an der Uni Köln, Intersektionalität und das große Ganze.

Anmerkung der Redaktion: In der Print-Version dieses Artikels kam es aufgrund von Kommunikationsproblemen bei der Planung des Layouts zur Streichung, Kürzung und falschen Zuordnung von Zitaten sowie einer fehlerhaften Bildunterschrift. Wir haben diese Fehler in der Online-Version behoben und bitten unsere Interviewpartner*innen aufrichtig um Entschuldigung.

Rassistische Äußerungen in Seminaren, schlechte Bezahlung studentischer Hilfskräfte, Misgendern von trans Personen oder Hörsäle, die nach Nazis benannt sind – wer hinguckt und hinhört, findet überall an der Uni Köln diskriminierende Strukturen. Häufig sind es Studierende, die sich gegen die Missstände wehren und dafür kämpfen, diese Strukturen aufzubrechen.

Ende 2020 geht in den sozialen Medien ein offener Brief viral, in dem die parteiunabhängige Hochschulgruppe campus:grün Köln, das Autonome BIPoC (Black, Indigenous, People of Color)-Referat und viele weitere Unterzeichner*innen die Verantwortlichen der Universität zu Köln und des Kölner Studierendenwerks dazu auffordern, Stellung zu kolonialistischen Kontinuitäten und dem Umgang mit ehemaligen NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei)-Rektoren und -Professoren zu beziehen. Kritikpunkte sind unter anderem, dass Gebeine von Opfern des Kolonialismus bis heute Bestandteil des Anatomischen Instituts der Universität zu Köln sind und, dass Robert Koch, nachdem die Mensa in der Robert-Koch-Straße bisher benannt war, im umfangreichen Maße an kolonial-rassistischen medizinischen Versuchen an Schwarzen Menschen in den deutschen Kolonien in Ostafrika beteiligt war.

Der offene Brief fordert neben der Rückgabe der Gebeine an Nachfahr*innen und der Umbenennung der Mensa, dass mehrere Hörsäle, die nach bekennenden Nationalsozialisten benannt sind, umbenannt werden und die koloniale und nationalsozialistische Geschichte der Universität öffentlich sichtbar gemacht wird. Der offene Brief generiert in den sozialen Medien und der Öffentlichkeit eine große Resonanz, sodass die Initiative von Rektor Axel Freimuth eine öffentliche Antwort erhält und die Mensa vom Kölner Studierendenwerk zu „Mensa Lindenthal“ umbenannt wird. Für die Verfasser*innen des offenen Briefs sind das aber nur erste Schritte: „Wir bewerten die Reaktion des Kölner Studierendenwerks als positiv, sind aber mit der Reaktion der Universität zu Köln unzufrieden. Insbesondere wurde im offenen Brief eine öffentliche Aufarbeitung gefordert, diese blieb aber komplett aus. Nur über mehrere Ecken erfuhren wir von den Erfolgen des Briefs und nach den uns vorliegenden Informationen ist auch die zentralste Forderung, die Rückgabe der Gebeine von Opfern des Kolonialismus in der Sammlung des anatomischen Instituts, bisher nicht erfolgt“, so ein*e Sprecher*in von campus:grün.

Koloniale Kontinuitäten und neokolonialistische Strukturen und deren Auswirkungen auf den Unialltag sind auch ein Bereich, mit dem sich das Forum „Decolonizing Academia“ beschäftigt, Aufklärungsarbeit betreibt und den antikolonialen Kampf vorantreibt. Dies bedeutet auch, sich mit individuellen Lebensrealitäten zu beschäftigen: Stephan Milich, einer der vielen ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen von „Decolonizing Academia“, gibt an, dass sich auch für einen diskriminierungsbewussten und -sensiblen Umgang in der Gremien- und Verwaltungsarbeit eingesetzt wird. Besonders im Mittelpunkt soll dabei das Ernstnehmen von Diskriminierungserfahrungen, zum Beispiel in Form von diskriminierender und gewaltvoller Sprache stehen. Koloniale Kontinuitäten betreffen also nicht nur universitäre Lehrinhalte, sondern auch unmittelbar das Wohlergehen und die psychische Gesundheit von (mehrfach-)diskriminierten Personengruppen. Wo findet mensch denn konkret Spuren des Kolonialismus an der Uni? Hier führt das Forum einige Beispiele an: menschenunwürdige Versuche in der weißen Medizin, deren Resultate weiterhin in der anatomischen Sammlung der Universität zu Köln zur Schau gestellt werden, koloniale Kollaborationen zahlreicher Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften oder die liberalistische und dadurch menschenverachtende Denkweise in den Wirtschaftswissenschaften. Die weiße Wissenschaft steht also, laut „Decolonizing Academia“ in der Verantwortung, sich ihrer menschenfeindlichen Vergangenheit bewusst zu werden, um heutige Rassismen und Kolonialismen dekonstruieren und zersetzen zu können. Dazu merkt Stefan Milich an: „Immerhin waren es weiße, meist europäische oder westliche Wissenschaftler*innen und Erfinder*innen, die ‚großen Männer und Frauen unserer Geschichte‘, die erst die Möglichkeit geschaffen haben, dass Menschen die Welt zerstören.“

“Immerhin waren es weiße […] Wissenschaftler*innen, die erst die Möglichkeit geschaffen haben, dass Menschen die Welt zerstören.”

Einige Mitglieder des Forums Decolonizing Academia bei einem Workshop der Initiative im Dezember 2021.
Foto: Sharon Nathan

In Zusammenarbeit mit dem BIPoC-Referat der Uni, hat das Forum eine Ringvorlesung im Rahmen des Studium Integrale organisiert, die sich mit abolitionistischen Praktiken -also Praktiken, die sich gegen verschiedene staatliche Gewaltpraktiken richten- auseinandersetzt. Es ist eine weitere Vorlesung dieser Art geplant, welche sich mit dekolonialen Perspektiven innerhalb verschiedenster Fächer beschäftigt. Nun die vielleicht grundsätzlichste Frage: Warum brauchen wir überhaupt ein Forum wie „Decolonizing Academia“? Was ist so essenziell und existenziell an ihrer Arbeit? Darauf antwortet Stefan Milich deutlich: „Denn der Grund, dass die ehemaligen Kolonialstaaten kein Interesse an der Aufarbeitung des Kolonialismus haben, ist simpel: Weil neokoloniale Strukturen diesen Gruppen weiterhin Privilegien und Macht sichern und dies in anderem geringerem Maße auch für die Gesamtbevölkerung tun.“ Insgesamt hapert es gesamtgesellschaftlich an einer konsequenten Aufarbeitung kolonialer Schuld bzw. Verantwortung. Die Kontinuitäten, die daraus erwachsen, wirken bis zum heutigen Tage in den Lebensrealitäten nicht-weißer Menschen und erlauben so, dass sich weiße Menschen immer noch in einer Vormachtsposition befinden.

„Denn der Grund, dass die ehemaligen Kolonialstaaten kein Interesse an der Aufarbeitung des Kolonialismus haben, ist simpel: Weil neokoloniale Strukturen diesen Gruppen weiterhin Privilegien und Macht sichern und dies in anderem geringerem Maße auch für die Gesamtbevölkerung tun.“

Nicht nur Gruppen, sondern auch einzelne Personen setzen sich aktiv gegen Diskriminierung und Rassismus an der Uni ein. Senami Hotse, Studentin im Master Sociology & Social Research an der WiSo Fakultät, ist eine von ihnen. Ende 2020 startete sie nach einem rassistischen Vorfall in einem ihrer Seminare eine Petition zum Abbau von institutionellem Rassismus an Hochschulen und Universitäten. Der Hashtag #unirassismukritisch wird ins Leben gerufen und macht online die Erfahrungen der Personen sichtbarer, die in den Machthierarchien der Uni oft übersehen, nicht ernst genommen oder ignoriert werden. Nach einem Bottom-Up-Ansatz möchte Senami Hotse nicht nur mit ihrem Hashtag informieren, sondern auch Veränderungsprozesse initiieren. Das bedeutet: Studierende sollen zu diesen Themen sensibilisiert werden und ihr Wissen in ihrem eigenen Berufsleben in höhere Strukturen tragen.

Immer wieder zeigen Vorfälle von Rassismus wie die Nutzung des N-Wortes bei einer Podiumsdiskussion über Sexismus und Diskriminierung an der WiSo Fakultät von einem Professor, wie aktuell der Handlungsbedarf noch ist. „Es sollte mittlerweile Konsens sein, dass, egal, ob jemand zitiert wird oder nicht, auf die Reproduktion des N-Worts verzichtet wird“, fordert Senami Hotse in einem Instagram-Video, was am 2. Juli 2021 veröffentlicht wird. An der gleichen Uni, die in einem Image-Film mit ihrer progressiven Haltung zu Gender und Diversität wirbt, wird Rassismus auf offener Bühne reproduziert.

„Als BIPoC in einem strukturell rassistischen System zu leben – das alleine ist schon 24/7 ein aktivistischer Akt.“

Dass die Universität mit Gesprächsangeboten an sie herangetreten ist, sieht sie als einen ersten Schritt. „Solche Vorfälle sind nur die Spitze des Eisbergs und es ist nicht mit einem ‚klärenden Gespräch‘ getan“, so Senami Hotse zur philtrat. Rassistische Vorfälle müssten professionell aufgearbeitet, Personal in Anti-Diskriminierungsstellen intersektional geschult und BIPoC mehr in Fragen von Diversity Management mit einbezogen werden. Dazu gehöre auch eine Reflektion bei der Besetzung von Positionen. Auch macht sie deutlich, wie viel Kraft der Aufbruch von strukturellem Rassismus BIPoC kostet: „Sich mit Rassismus auseinanderzusetzen ist für Menschen, die diesen erfahren, verletzend, ermüdend, anstrengend, frustrierend und oft retraumatisierend”, so die Studentin. Sich aktiv dagegen zu wehren beanspruche Ressourcen, die nicht jede Person zu jedem Zeitpunkt aufbringen könne: „Als BIPoC in einem strukturell rassistischen System zu leben – das alleine ist schon 24/7 ein aktivistischer Akt.“

Der Instagram-Kanal Uni rassismuskritisch, initiiert von Senami Hotse.

Ein Foto von Senami Hotse. Sie trägt ein blaues Oberteil und eine blaue Jeansjacke und lächelt in die Kamera. Senami setzt sich online und offline gegen strukturellen Rassismus an der Uni und mehrdimensionale Diskriminierung ein.
Foto: privat.

Das Autonome BIPoC-Referat der Universität zu Köln hat es sich zum Ziel gesetzt, solche Lebensrealitäten sichtbarer zu machen und (mehrfach-) diskriminierten Personen eine Plattform zu bieten. Dabei immer im Fokus: der strukturelle Charakter von Diskriminierungen. Diese können sich zum Beispiel in Mikroaggressionen in Seminaren, Machtspielen in Vorlesungen oder auch in einer ignoranten Haltung gegenüber rassistischer Gewalt äußern. Jene Erfahrungen sollen mithilfe des BIPoC-Referats endlich hörbar und weiße Machtstrukturen sichtbar gemacht werden. Monica Phương Thúy Nguyễn, die Gründerin und der (ehemalige) I. Vorstand des Referats gibt, dass viele ihrer Mitstreiter*innen sich in ihrer Jugend nicht getraut hätten oder es ihnen verwehrt wurde, ihre Stimme zu erheben. Bis heute kämpft sie darum, wie auch andere BIPoC, sich Gehör zu verschaffen: „Uns fehlt die Art von Bildung, die uns begeistert und ganzheitlich mitdenkt. Denn Bildung soll nicht nur die Vermittlung von Wissen sein, sondern auch dazu anregen, frei denken zu dürfen.“ Das BIPoC-Referat soll ein widerständiger Raum sein, indem von Rassismus betroffene Menschen ihre Bildung selbst organisieren und mitgestalten, sodass diese endlich ihren Lebensrealitäten gerecht werden.  

„Uns fehlt die Art von Bildung, die uns begeistert und ganzheitlich mitdenkt. Denn Bildung soll nicht nur die Vermittlung von Wissen sein, sondern auch dazu anregen, frei denken zu dürfen.“

Das BIPoC-Referat ist in mehreren Arbeitskreisen organisiert, wie dem AK Antidiskriminierung, AK Asia-Deutsche oder dem AK Sexual Empowerment. Doch eines soll über den verschiedenen Projekten stehen: Intersektionalität. Dieses Konzept meint, dass Lebensrealitäten von Personen ganzheitlich mitgedacht und z.B. nicht nur auf Rassismuserfahrungen heruntergebrochen werden, sondern auch Sexismus, Klassismus und Ableismus verschränkt mit Rassismus wirken können. Außerdem ginge es laut dem BIPoC-Referat mehr um gemeinsame transformative Prozesse als um singuläre Projekte, wodurch die Vernetzung mit BIPoC-Referaten aus NRW, aber auch ganze Deutschland essenziell sei. Dazu gibt Monica Phương Thúy Nguyễn an: „Der größte Erfolg ist für uns der kollektive Zusammenhalt, denn gemeinsam sind wir stärker.“

Banner des BIPoC-Referats Foto: Autonomes BIPoC-Referat der Universität zu Köln

Das BIPoC-Referat versteht sich nicht nur als Safer Space für BIPoC, sondern möchte möglichst alle Diskriminierungsstrukturen und Individualitäten mitdenken. Es ist also auch Austauschraum und Sprachrohr für Stimmen, die marginalisiert wurden und werden. Und jene Stimmen zu erheben, sich gegenseitig im Lautwerden zu empowern, ist ein Kampf. In diesem Kampf spielt die Selbstfürsorge, sowie die eigene mentale Gesundheit eine zentrale Rolle und wird als Teil jenes Kampfs verstanden. Hierzu gibt es beispielsweise das Angebot der Rassismuskritischen Sprechstunde mit Jessie Mmari, die das BIPoC-Referat mithilfe des Referats für Gender & Diversity Management organisiert hat. Das BIPoC-Referat eint also die Rassismuserfahrung, ihre Arbeit geht jedoch weit darüber hinaus, denn “intersektionale Arbeit ist widerständige Arbeit”. Rassismus muss, um in seiner Wirkmacht vollkommen verstanden zu werden, in Intersektion mit anderen Diskriminierungsstrukturen betrachtet werden.

„Intersektionale Arbeit ist widerständige Arbeit.“

Hinweis für BIPoC/Menschen mit Rassismuserfahrung: Das BIPoC-Referat leitet eine Antidiskrimierungsstelle, bei welcher mensch Rassismuserfahrungen im universitären Kontext melden kann. An jeder Fakultät gibt es BIPoC-Ansprechpartner*innen und/oder weiße Vertrauens-Dozierende, an die mensch sich direkt wenden kann. Außerdem kann mensch auch das Online-Meldeformular auf der Homepage des BIPoC-Referats nutzen.
Es gibt außerdem eine Website der Rassismuskritischen Beratung mit Jessie Mmari.
Kontakt: Beratung-BIPoC@uni-koeln.de

Bildung ist für alle da?

Intersektionalität ist auch dem fakE (Autonomes Referat für Antiklassistisches Empowerment) wichtig. Seine Mitglieder setzen sich in erster Linie gegen klassistische Strukturen und Diskriminierungen aufgrund der sozialen Herkunft ein – immer mit Blick auf die Verschränkungen von Klassismus mit Rassismus, Sexismus und Ableismus.

Wie unter anderem aus der 20. Sozialerhebung des Deutschen Studierendenwerks hervorgeht, beginnen 63 von 100 Akademiker*innenkindern ein Studium, während es bei Nicht-Akadamiker*innenkindern nur 15 von 100 sind. Diese Diskrepanz zeigt sich auch in fortgeschrittenen Hochschullaufbahnen: Zehn der 100 Studierenden aus Akademiker*innenhaushalten absolvieren eine Promotion – dieser Zahl steht eine Person bei Studierenden aus Nicht-Akademiker*innenhaushalten entgegen. Höhere Bildung für alle ist also theoretisch möglich, entspricht aber nicht der Realität.

Generell gilt: Studieren ist für Personen mit einem akademischen Familienhintergrund einfacher. Ihre Eltern waren selbst an der Uni, können gegebenenfalls bei inhaltlichen Fragen, meist aber auch einfach bei organisatorischen und finanziellen Belangen besser helfen. So studiert es sich deutlich stressfreier. Faktoren wie beispielsweise Anwesenheitspflicht in bestimmten Kursen werden in der Regel nicht zum Problem, wenn kein Nebenjob vonnöten ist, mit dem diese Kurse kollidieren könnten.
Um dies zu ändern, unterstützen sich die Mitglieder des Referats auf individueller Ebene bei Themen wie Hausarbeiten oder Studienfinanzierung. Die Gelder, die an die Referent*innen des Referats gehen, werden unter allen im Referat Aktiven verteilt. Auf hochschulweiter Ebene arbeitet das fakE momentan an einer Beratung von Betroffenen für Betroffene und unterstützte unter anderem erfolgreich die Forderungen nach Solidarsemestern in der Coronapandemie. Darüber hinaus arbeitet es mit Obdach- und Erwerbsorganisationen in Köln zusammen.

By the people – for the people

Alle Mitglieder des selbstorganisierten fakE sind Studierende in der ersten Generation, Arbeiter*innenkinder oder anderweitig Klassismusbetroffene.“ Gegenseitiger Austausch und Bildung über Klassismuserfahrungen wirken empowernd.

Neben der wichtigen selbstorganisierten Struktur fehlt es auch nicht an Unterstützung seitens der Universität: Sowohl der AStA als auch viele Lehrstühle nehmen das Engagement des Referats positiv auf. So finanzierte der Diversity-Projekt-Fonds der Universität zu Köln bereits zweimal Projekte des Referates. Außerdem war es Teil der Diversity-Woche und der Kampagne #unboxingdiscrimination und stellte seine Arbeit in Lehrveranstaltungen vor.

Klassismus an der Uni zu bekämpfen heißt auch, Klassismus in der Wissenschaft zu bekämpfen. Zu Beginn war es von Bedeutung, „überhaupt benennen zu können, dass Klassismus in der Wissenschaft existiert“, denn „als wir Ende 2019 mit dem Aufbau des Referats begannen, stand ‚Klassismus‘ noch nicht mal im Duden!“ Das fakE organisierte beispielsweise eine Buchvorstellung über Erfahrungsberichte und Bewältigungsstrategien („Klassismus und Wissenschaft“, Hg. Ricardo Altieri und Bernd Hüttner) und organisierte Vorträge von Referent*innen des Instituts für Klassismusforschung.

„Als wir Ende 2019 mit dem Aufbau des Referats begannen, stand ‚Klassismus‘ noch nicht mal im Duden!“

Heute sind den Mitgliedern des fakE zwei Themen wichtig: Da sind zum einen klassistische Strukturen, die sich im wissenschaftlichen Betrieb äußern und reproduzieren. Also: „Wer schafft es bis zur Professur? Warum werden studentische Hilfskräfte derart ausgebeutet?“ Zum anderen zeigt sich Klassismus auch darin, was erforscht wird. Das fakE fragt hier zum Beispiel: „Warum gibt es noch immer viel mehr musikwissenschaftliche Forschung über Beethoven als über Riot Grrrl? Und warum spricht die Sozialwissenschaft lieber über ‚Schichten‘ als über ‚Klassen‘?“

Das fakE leistet viel und absolut wichtige Arbeit. Eins ist seinen Mitgliedern aber klar: „Die Abschaffung von Klassismus ist nicht möglich, ohne die Grundstruktur der ganzen Gesellschaft zu ändern.“ Eine der nächsten Zwischenetappen für dieses Ziel ist die grundlegende Reform von BAfÖG. Aber auch außerhalb der Uni setzt sich das fakE Ziele wie die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems, Hartz IV und Obdachlosigkeit (Stichwort Housing First). Denn auch wenn das Referat aus von Klassismus betroffenen Studierenden besteht, ist es ihm wichtig, gesellschaftliche Probleme auch außerhalb der Uni anzugehen.

Website des Autonomen Referats für Antiklassistisches Empowerment.

We’re here, we’re queer…

 …und wir reden mit! Das Autonome Queerreferat an der Uni Köln besteht bereits seit 40 Jahren und konzentriert sich auf Repräsentation und Aufklärung. Es vertritt queere Personen im universitären Kontext und bringt Interessierten ihre Lebensrealitäten näher. In diesem Bereich herrsche nämlich leider immer noch viel Unwissenheit – sowohl außerhalb als auch innerhalb der Community. Um dem entgegenzuwirken, organisiert das Autonome Queerreferat Vorträge, Diskussionsrunden und Workshops. Durch die Corona-Pandemie müssen diese Veranstaltungen momentan jedoch alle online stattfinden, was es schwieriger macht, Leute dafür zu motivieren. Das Referat hält „aktivere Methoden“ aus diesem Grund gerade für effektiver und versucht dabei, auf die Universitätsleitung Einfluss zu nehmen. Auch die Beratung von Studierenden, die an der Uni diskriminiert werden, gehört zum Programm des Referats.

Besonders am Herzen liegt dem Autonomen Queerreferat „die Stärkung und Unterstützung von trans und nicht-binären Personen“, da sie am stärksten diskriminiert würden: „In unserer immer noch sehr auf geschlechtlicher Binarität verschriebenen Gesellschaft ist es immer noch sehr schwer, eine vom klassischen Männer- oder Frauenbild abweichende Geschlechtsidentität zu leben.“ Dieses Problem ist auch an der Uni Köln spürbar. So können Studierende ihren Deadnamen im universitären Rahmen nicht durch einen formlosen Antrag ablegen, sondern brauchen dafür einen offiziellen Antrag zur Personenstandsänderung. Liegt dieser nicht vor, laufen alle offiziellen universitären Dokumente und Zeugnisse auf den Deadnamen, also den Geburtsnamen und nicht den gewünschten Namen der Studierenden. Auch bei All Gender Toiletten fordert das Autonome Queerreferat Veränderung: Obwohl es solche Toiletten inzwischen an 12 Standorten an der Uni Köln gibt, wären sie „in jedem Gebäude, in dem Seminare oder Vorlesungen stattfinden“ notwendig. Hier gibt es also noch Handlungsbedarf. Allgemein gilt: Die zuständigen Stellen an der Uni sind „gesprächsbereit, aber es passiert trotzdem zu wenig.“

Ein Wunsch für die kommenden Jahre: Mehr All Gender Toiletten für die Gebäude der Universität zu Köln. Foto: No Revisions/unsplash

Es wird besser

Trotz der oben genannten Schwierigen hält das Referat mit Blick auf seine lange Geschichte fest: „Wandel ist möglich.“ So weigerte sich die Uni Köln noch Anfang der 2000er-Jahre, am CSD (Christopher Street Day) die Regenbogenflagge zu hissen, um sich offen mit der queeren Community zu solidarisieren. War damals also nicht einmal diese bloße Geste – die an sich keinen Einfluss auf positive Veränderungen im Leben queerer Studierender hat – möglich, ist sie heute eine Selbstverständlichkeit. Und auch wenn vieles noch zu langsam passiert, scheint es immerhin vorwärts zu gehen.

Um notwendige Veränderungen zu beschleunigen, bräuchte es allerdings strukturellen Wandel innerhalb der Uni. Über die momentane Struktur sagt das Autonome Queerreferat: „Vieles ist einfach zu bürokratisch und braucht zu viele interne Wege, Absprachen, Meetings etc., um effektiv und schnell gelöst zu werden.“ Eine grundlegende Umwälzung wäre also wünschenswert, sei jedoch nicht sehr realistisch. Trotzdem – oder gerade deshalb – ist es wichtig, Folgendes nicht zu vergessen: „Wandel braucht einfach Zeit und Menschen, die hartnäckig bleiben mit ihren Forderungen und ihrem Willen, diesen Wandel zu bewirken.“

Diese Menschen gibt es an der Uni Köln. Sie kämpfen für Veränderung und bemühen sich, teilweise über Jahrhunderte festgefahrene Strukturen aufzubrechen. Auf eine Vielzahl an Problemen und Missständen trifft somit eine Vielzahl an Lösungen und Verbesserungsvorschlägen. Die Uni muss nur hinhören und bereit sein für Veränderung. Gleiches gilt für die Gesamtgesellschaft und jede*n Einzelne*n von uns.

Website des Autonomen Queerreferats.

Infobox
Ableismus
: Diskriminierung und Benachteiligung aufgrund von physischen oder psychischen Eigenschaften, die außerhalb der mehrheitsgesellschaftlich festgelegten Norm verortet werden.
CSD: Ein Fest-, Gedenk- und Demonstrationstag der LGBTQ+-Bewegung.
Housing First: Sozialpolitischer Ansatz, bei dem obdachlose Personen eine Unterkunft zur Verfügung gestellt bekommen. Die Stabilisierung der Wohnsituation dient als Basis dafür, die anderen Probleme der Personen anzugehen.
Liberalismus: Der Liberalismus strebt eine politisch, sozial und ökonomisch freie Ordnung an, wobei strukturelle Ungleichheiten außer Acht gelassen werden.
Mikroaggressionen: Als Mikroaggressionen werden Verhaltensweisen bezeichnet, die im alltäglichen Umgang stattfinden und von Betroffenen als übergriffig und verletzend wahrgenommen werden. Bildlich gesprochen, handelt es sich um „Mückenstiche“, die einzeln zwar harmlos, jedoch in ihrer Summe hochgradig belastend sind.
Neokolonialismus: Als Neokolonialismus lassen sich Politiken und Praktiken von sogenannten „Industriestaaten“ bezeichnen. Diese halten von ihnen ehemals kolonialisierte Länder bzw. sogenannte „Entwicklungsländer“ weiterhin politisch und wirtschaftlich abhängig. Jedoch lassen sich auch innerhalb der deutschen Gesellschaft neokolonialistische Strukturen erkennen, wie zum Beispiel im Kontext von Alltagsrassismus.
nicht-binär: Bezeichnet Personen mit Genderidentitäten, die außerhalb des binären Gendermodells (Mann – Frau) stehen.
Safer Space: Ein Safer Space beschreibt einen sozialen Raum, der sensibel für Diskriminierungen und Mikroaggressionen ist, jedoch ein Bewusstsein dafür hat, dass diese nie ganz ausgeschlossen werden können (im Gegensatz zu „Safe Space“).
trans: Bezeichnet Personen, deren Genderidentität nicht mit dem Geschlecht übereinstimmt, das ihnen bei ihrer Geburt zugeschrieben wurde.
weiß: Weiß beschreibt eine sozio-politisch privilegierte Position, die in kolonialer Kontinuität steht. Weiße Menschen genießen, im Gegensatz zu People of Colour, Privilegien und strukturelle Vorteile.

Von Carolin Obermüller, Daria Zomorodkia und Sarah Haas

Beitrag erstellt am: 31.10.2022 um 10:38 Uhr
Letzte Änderung am: 31.10.2022 um 10:38 Uhr