Von Jesus‘ Riesending, Baustellen und Kindergedanken

Zensur gefällig? Illustration: Helena Daniel.

Der etwas andere Aufbruch in die Welt der Kölner Kunstmuseen.

Disclaimer: Dieser Text dient allein der Komik und soll niemanden in der Ausübung seiner Religion vor den Kopf stoßen. Glaube kann unterschiedlich und sehr persönlich sein und die Redaktion der philtrat akzeptiert das.

„Nee, wirklich“, erkläre ich dem Vater meines Freundes, der unlängst aus Frankfurt zu Besuch gekommen ist. „Wenn ich einen Text über den Besuch in einer Kunstausstellung schreiben müsste, dann würde ich über die Menschen schreiben statt über die Bilder.“

Zitat:„Der hat ihn am Kreuz dargestellt, aber ohne das Tuch um die Hüften, wissen Sie?´“

Die Idee stößt auf irritiertes Unverständnis. Wenn man sich Kunst angucken geht – und dem Vorschlag sind an diesem Wochenende, Gott weiß warum, eine Menge Kölner*innen gefolgt – warum sollte man dann über etwas Anderes schreiben als Kunst?

Ja, warum. Das ist eine gute Frage. Aber braucht es immer ein Warum? Wichtig ist, dass man es tut und in diesem Sinne habe ich diesen kleinen Text verfasst. Ist es eine Glosse? Ein Erfahrungsbericht mit Gesellschaftskritik oder ein holpriges Stück Belletristik? Wer weiß. Gott vermutlich. Denn der ist ja für so ziemlich alles verantwortlich. Unter anderem dafür, was Jesus unter seinem Lendentuch mit sich herumträgt, wenn er leidend am Kreuz zum Himmel aufblickt.

Sex sells und Zynismus zieht

„Und da war dieser Künstler, wissen Sie“, raunt eine ältere Dame zu einer anderen, als sie gerade zwischen der ganzen mittelalterlichen Kirchenkunst auf eine Buchmalerei mit lateinischem Liedtext und Quadratnotation blicken. „Der hat ihn am Kreuz dargestellt, aber ohne das Tuch um die Hüften, wissen Sie? Alles ganz naturgetreu. Und er war wirklich mächtig da unten, das müssen Sie mir glauben.“ Sofort ist ihre Begleiterin interessiert, weitaus interessierter, als an den Häschen, Vögelchen und Blümchen, mit denen die Nonnen die Seite verziert haben. „Ach nein, wirklich? Gotisch oder Romanisch?“ „Zeitgenössisch“, bekräftigt die erste Dame und ich weiß nicht, was lustiger ist, ihre nur schwach verschleierte Geilheit oder die Tatsache, dass sie sich nicht traut, das Wort „Penis“ in den Mund zu nehmen. Nun, jedem Mensch‘ sein Kink.

Zeitgenössisch ist auch das Kunstwerk, dass Besuchende aus dem großen Fenster im Obergeschoss des Wallraffs bewundern können. Wen kümmert schon das Handwerk hinter so bedeutenden Werken wie Caspar David Friedrichs „Eichbaum im Schnee“, wenn stattdessen aus dem Panoramafenster geblickt werden kann, um etwas zu sehen, an dem die Besuchenden jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit vorbeihasten müssen? Zumal es sich dabei ebenfalls um Handwerk handelt – Bauhandwerk. Besonders beeindruckend für die Ausstellungsbesucher*innen ist dabei die metallene Strebenkonstruktion, die einmal das Dach halten soll und das zarte Kölner Gemüt nochmal extra zu Spekulationen über die zukünftige Hässlichkeit des Bauwerks anregt. Bestimmt sechs Leute unterschiedlichsten Alters beobachte ich dabei, wie sie vom goldenen Weg der Infotafeln abweichen und zielgenau auf dieses eine Fenster zusteuern – nur, um sich an dem potentiell schrecklichen Anblick der Baustelle zu ergötzen.

Eine ganz eigene Art der Kultur. Menschen bei dem Konsum von Kunst zu beobachten. Illustration: Helena Daniel.

Keine Kunst für Coachkartoffeln

Und das, obwohl die Bank in der Ecke schon besetzt ist – nämlich von mir. Wenigstens gibt es nicht so wenig Sitzmöglichkeiten wie im MAKK, wo man stundenlang von einem Designmöbel zum nächsten tigert – immer das Wunschziel vor Augen, aber nie in der Lage, es zu erreichen. Hartplastik, Chrom und hundert Jahre Bauhaus sind dann nämlich leider doch nicht stabil genug für moderne Hinterteile.

Zitat: „Ich ertappe mich dabei, wie ich nur noch auf die Zettel starre und erst im zweiten Schritt auf die Gemälde.“

Das Wallraff indessen hat das Ganze interessanter gemacht. Gleich der erste Ausstellungsraum enthält den Stuhl aller Stühle – ein großer, ständig besetzter Ohrensessel, mittig im Raum vor einem wandgroßen Gemälde platziert. Alle neuen Besucher*innen belauern ihn, umstreichen ihn wie Katzen mit ihren Blicken, bevor sie sich stattdessen stakend davon machen, um mit hinter dem Rücken gefalteten Händen auf kompaktere Kunst zu stieren – schließlich darf einem nicht das kümmerlichste Krakelee entgehen. Sonst hätte man sich das Zeug auch in der beliebten Bildersuche antun können, bequem vom heimischen Sofa aus.

Besucher*innentypus 1:

Tut so, als müsste er*sie in die Kunst reinkriechen.

Besucher*innentypus 2:

Versucht, seine*n Begleiter*in durch sprudelndes Laienwissen zu beeindrucken.

Besucher*innentypus 3:

Versteckt sein*ihr Desinteresse dadurch, am Smartphone weitere „Fakten“ zu suchen, während er*sie in Wirklichkeit Social Media checkt.

Ich sehe was, was du nicht siehst

Der Volksmund sagt ja, Kindermund tut Wahrheit kund, aber Kindergeschrei sucht man diesen Samstag vergebens. Den einzigen Hinweis auf dreidimensionale Menschen, die jünger sind als 16, erhält man unten beim Barock. Eine Reihe von mit Tesa bepflasterten Zetteln verrät, dass offensichtlich eine Gruppe 8- bis 12-Jähriger im Zuge eines Jugendprojekts dazu genötigt wurde, sich mit Stillleben, Vanitas-Symbolik und Seestücken auseinander zu setzen. „Der Strand erinnert mich an meine Ferien. Aber das Wasser ist nicht so, dass man schwimmen kann.“ Wo das Kind recht hat, hat es Recht, das Meer sieht wirklich ungemütlich aus. Ich ertappe mich dabei, wie ich nur noch auf die Zettel starre und erst im zweiten Schritt auf die Gemälde. „Das Bild ist sehr düster. Die Pilze erinnern mich an Pizza.“, heißt es da.

Eine wundervolle Offenbarung und ja, ich meine das ernst. Schließlich finden alle Menschen unterschiedliche Zugänge zur Kunst, sie geben es ab einem gewissen Alter nur nicht mehr zu. Ich fand schon immer, dass Monets Seerosen aus seiner späten Phase fatal nach Essiggurken mit Senf aussehen. Doch was die Menschen nun in die Ausstellungen treibt – die Konversation über Riesenpenisse, der Anblick einer neuen Bausünde oder das Bedürfnis, sich das Sitzen verdient zu haben – es lohnt sich offenbar, so voll, wie es dieses Wochenende ist. Ganz Köln guckt Kunst – ich gucke Köln.

Warum über Kunst schreiben, wenn es so viel zu sehen gibt?

Von Friederieke Butzheinen

Beitrag erstellt am: 31.08.2022 um 09:00 Uhr
Letzte Änderung am: 03.05.2024 um 23:31 Uhr