Von glattrasierten Beinen und behaarten Armen

Zeichnung einer Tee trinkenden Person mit einem stark behaarten Arm
Das Ideal von Schönheit ist geprägt von (post-)kolonialen Stereotypen und wirkt auch heute noch auf unsere Gesellschaft. Illustration: Manijé Angaji.

Die Sehnsucht nach Annäherung an „Schönheit“ und wie Kolonialismus darin verstrickt ist.

Glatte Beine, kleine Stupsnase, seidig glänzendes Haar: So oder ähnlich setzt sich das Schönheitsideal einer als „Frau“ gelabelten Person zusammen. Auch wenn in den Medien mittlerweile immer mehr versucht wird, mehr als normschöne Gesichter und Körper zu zeigen, sind wir als Gesellschaft weit davon entfernt, uns völlig von diesen Bildern zu lösen. Und das liegt nicht zuletzt an (post-)kolonial wirkenden Vorstellungen von „Schönheit“. Doch was genau hat Kolonialismus mit „Schönheit“ zu tun? Und wie sehr ist unser aller Denken davon geprägt?

Über „Pretty Privilege“ auf Partys, Disneybösewichte und Körperhaar

Das Konzept „Schönheit“ begleitet die Gesellschaft sowie uns als einzelne Individuen ständig und überall. Inzwischen ist die Annahme weit verbreitet, dass „Schönheit“ nicht bloß in der Modelbranche von Wichtigkeit ist, sondern für uns alle schicksalhaft sein kann: Ob im Job, auf dem Wohnungsmarkt oder beim Kennenlernen neuer Leute – „Pretty Privilege“ ist Lebensrealität. Und das schon seit Kindertagen. Sicher hat jede*r von uns früher Disney-Filme geschaut oder sich Bücher von Astrid Lindgren vorlesen lassen. Die Charaktere, die positive und/oder tragende Rollen in den Erzählungen einnehmen, werden als „schön“ dargestellt. Den Antiheld*innen hingegen werden äußere Merkmale zugetragen, die als „hässlich“ gelten. Aber was ist „schön“ beziehungsweise „hässlich“ und wer hat die Deutungshoheit über diese Konstrukte? Nun, schaut mensch sich beispielsweise „hässlich“ charakterisierte Disney-Figuren wie Cruella, Gargamel oder Ursula an, häufen sich folgende Merkmale: Als groß oder markant empfundene Nasen, als „unfit“ wahrgenommene Körper, dunkle Augen und Haare. An diesen Merkmalen lassen sich rassistische, antisemitische und orientalistische Denkmuster und Narrative ablesen. Für „schön“ befundene Figuren zeichnen sich meist durch helles, glattes Haar, „weiche“ Gesichtszüge und einen als „schlank“ gelabelten Körper aus. Normschönheit, also ein mehrheitsgesellschaftlich als „schön“ etabliertes Ideal, wird und wurde also von weißen Menschen hegemonisiert und instrumentalisiert. Es findet eine klare Unterteilung in nicht-weiß, böse und hässlich versus weiß, gut und schön statt. Aber nicht nur rassistische Strukturen sind in das Konstrukt „Schönheit“ verwickelt, sondern auch ableistische, also die körperliche „Fitness“ betreffende Diskriminierungsstrukturen.

Eine Art der Differenzierung ist bei Normschönheit besonders von Bedeutung: Gender. Denn mehrheitsgesellschaftliche Schönheitsideale orientieren sich an den Kategorien „Mann“ und „Frau“. Körperbehaarung beispielsweise wird bei als „Frau“ gelesenen Personen als störend oder gar unhygienisch betrachtet, solange es sich nicht um Kopfhaar handelt. Auch bei dem für das Konstrukt „Schönheit“ maßgeblichen Thema der Körperbehaarung sind koloniale Kontinuitäten vorzufinden: Die Behaarung weißer Personen ist oftmals weniger sichtbar als die von People of Colour. So wird also wieder eine Norm etabliert, die sich an weißen Körpern orientiert. Abgesehen davon sind Schönheitsideale fernab jedweder Realität, treffen aber eben besonders marginalisierte Menschen.

„Schönheitsideale sind fernab jedweder Realität, treffen aber eben besonders marginalisierte Menschen.“

Im Kampf gegen die helle, haarlose Gewohnheit

In den Mainstream-Medien sind nicht-weiße Körper immer noch grundsätzlich nicht-präsent und wenn, dann marginal, in negativer Form oder an weiße Ideale angepasst. Dieses Problem fasst die Künstlerin, Wissenschaftlerin und Kuratorin Moshtari Hilal (Instagram: @mooshtariii) ins Auge. Ihre Illustrationen sind häufig Selbstporträts oder zeigen Menschen, oftmals aus ihrem direkten (familiären) Umfeld, die sich außerhalb des westlichen Verständnisses von „schön“ bewegen. Als „groß“ wahrgenommene Nasen, Gesichtsbehaarung, Haare auf den Armen, Händen und Fingern – jedes kleinste Detail scheint ein Widerstand gegen die weiße Hegemonie im Konstrukt der „Schönheit“ zu sein. Dadurch schenkt Moshtari Hilal den Betrachter*innen ihrer Kunst nicht nur neue Perspektiven, sondern auch Mut und das Gefühl, gesehen zu werden. Besonders nicht-weißen Personen.

Im Interview mit dem Funk-Format Auf Klo (Instagram: @aufklo) erzählt die Künstlerin, sie hätte sich als Kind und Jugendliche für ihre Behaarung geschämt und viel Zeit und Geld investiert, diese akribisch zu entfernen, um möglichst so auszusehen wie ihre weißen Mitmenschen. Moshtari Hilal beschreibt einen immensen Leidensdruck, der besonders auf Women of Colour lastet. Dieser sei allgegenwärtig, früher für sie alltäglich. Der Druck, dem haarlosen weißen Ideal zu entsprechen, habe sie den Sommer wegen der kurzen Kleidung hassen lassen und in ihr eine Angst vor Nähe, vor allem zu weißen Personen, hervorgerufen. Ihre Körperbehaarung beschreibt Moshtari Hilal retrospektiv als ihr „Geheimnis“ und erzählt vom Rollkragen ihres Pullis, den sie sich über ihren Damenbart gezogen habe, sobald sich eine weiße Mitschülerin zu ihr herübergebeugt hätte. Weiter berichtet sie von einem weißen Kleinkind im Bus, das seine Mutter fragte, warum das gegenübersitzende Mädchen, Moshtari Hilal, einen Bart hätte. Dies sind banal scheinende Mikroaggressionen im Alltag eines jungen Mädchens of Colour, die jedoch systematisch repressiv und nachhaltig traumatisierend wirken.

„Schönheit“ ist also keine aus dem Nichts gegriffene Tatsache, sondern ein aus kolonialen Kontinuitäten herausgebildetes Konstrukt. Wir sind an helle, kaum sichtbare oder nicht-existente Körperbehaarung gewöhnt. Doch sobald etwas außerhalb unserer Erwartung beziehungsweise Komfortzone stattfindet, sträubt sich etwas in uns dagegen. Es ist aber unsere gesellschaftliche und kollektive Verantwortung, sich mit unseren kolonialistischen Normvorstellungen von „Schönheit“ auseinanderzusetzen. Oder möchtest du, dass nicht-weiße Kinder ihren Vater im Aussehen des Disney-Bösewichts wiedererkennen?

Label: Ein Label ist die Zuschreibung einer sozialen Kategorie, die selbst-, aber auch fremdbestimmt stattfinden kann.

Weiß: Weiße Menschen sind Personen, die nicht von Rassismus betroffen sind und von kolonialen Kontinuitäten profitieren. 

Ableistisch: Ableismus meint die Diskriminierung und Benachteiligung aufgrund von physischen (und/oder psychischen) Eigenschaften, die außerhalb der mehrheitsgesellschaftlich festgelegten Norm verortet werden.

People of Colour: PoC sind Personen, die rassistischer Diskriminierung ausgesetzt sind und von der Mehrheitsgesellschaft als „fremd“ oder „anders“ kategorisiert werden.

Von Daria Zomorodkia

Beitrag erstellt am: 03.04.2022 um 09:00 Uhr
Letzte Änderung am: 03.04.2022 um 10:04 Uhr