Der Blick durch die rosarote Brille oder das Ende eines verzerrten Weltbilds?

Zeitungen buhlen täglich um unsere Aufmerksamkeit. Foto: Lucas Lorenz.

Wie positive Nachrichten und konstruktiver Journalismus dem negativen Nachrichtenstrom den Kampf ansagen.

Täglich wird unsere Gesellschaft mit neuen schrecklichen Nachrichten konfrontiert – sei es über die Lage in Afghanistan, die Ermordung eines jungen Mannes durch einen Anhänger der Querdenker-Bewegung, Klimawandel oder Berichte über falsche Polizist*innen. Überall gibt es Probleme, Konflikte oder große Herausforderungen, deren Lösung oft in weiter Ferne liegt. Selten bleiben Themen lange in einem gesellschaftlichen Diskurs, denn schon erweckt eine neue Nachricht die Aufmerksamkeit.

Die Diskussion um die Überzahl an negativen Nachrichten ist kein neues Phänomen, hat aber im letzten Jahrzehnt vermehrt den Sprung in die breite Öffentlichkeit geschafft. So beobachtet der Journalismusforscher Claus Meier seit 2015 einen Anstieg an Redaktionen, die mit konstruktivem Journalismus oder positiven Nachrichten ein neues Berichterstattungsmuster verfolgen. Ihr Ziel: Sich der vorwiegend negativen Berichterstattung entgegenstellen.

Denn Forschende halten seit längerem die Dominanz von schlechten Nachrichten für gefährlich. Sie verzerren das Weltbild eines Menschen, da ihm die Medien nicht die reale Welt beschrieben, sondern eine tendenziell krisenerschütterte. In der Gesellschaft werden positive Entwicklungen hingegen weniger oder gar nicht mehr wahrgenommen. Negative Nachrichten erhalten mehr Aufmerksamkeit – wie zuletzt die Studie der PNAS (Proceedings of the National Academy of Sciences) um die  Autor*innen Stuart Soroka, Patrick Fournier und Lilach Nir 2019 belegte. Soziale Medien und Massenmedien sind nicht die einzigen Einflussfaktoren auf Menschen, deren tägliche Benutzung ist aber beachtlich: So konsumiert fast jede*r Deutsche (99 Prozent) diese jeden Tag. Dabei beträgt die durchschnittliche Nutzungsdauer nach einer Langzeitstudie aus dem Jahr 2020 im Auftrag der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten der Bevölkerung am Tag mehr als sieben Stunden.

Zeit zum Wirken haben die Massenmedien damit in jedem Fall. Der Stressforscher und Psychiater Mazda Adli berichtet von immer mehr klagenden Menschen  in seiner Sprechstunde, die sich aufgrund der vielen negativen Nachrichten in einem permanenten Zustand der Sorge befänden. „Die Nachrichten aus den Medien bereiten eine besondere Stimmung, auf der andere, persönliche Sorgen und Ängste gut gedeihen können“, meint der Leiter der Fliedner Klinik in Berlin. Besonders die jüngere Generation wachse in der Sorge auf, dass Gefahren ständig an jeder Ecke lauerten, beobachtet der 52-Jährige in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk aus dem Jahr 2019.

Mögliche Wege aus der verzerrten Medienwelt

Lösungen aus dem Dschungel negativer Berichterstattung gibt es bereits. So existieren Online-Nachrichtenportale, die sich nur auf positive Nachrichten oder Artikel, welche den konstruktiven Journalismus verfolgen, beschränken. Eines davon ist Good News, die seit 2017 jeden Tag Leser*innen mit konstruktiven Nachrichten versorgen. „Täglich durchsucht unser Team bis zu 150 Medienquellen, um konstruktive Nachrichten zu finden. Diese werden dann in der Redaktion ausführlich besprochen“, berichtet Bianca Kriel von Good News. Dabei werde vor allem auf zwei Dinge geachtet: Zum einen das Themen, über die berichtet werden, eine Wirkung auf die Gesellschaft haben, wie etwa die Legalisierung der Ehe für alle. Zum anderen sollen die Artikel den Leser*innen Mut machen, die Welt selbst zu gestalten und aktiv mitzuwirken, erzählt die Journalistin. Neben Good News gibt es weitere Nachrichtenportale, die sich nur auf positive Nachrichten konzentrieren, mit unterschiedlichem Umfang: von gesammelten kurzen Meldungen (Nur positive Nachrichten) bis zu eigenständigen Berichten (Good News Magazin).

An den Zeitungsständen lassen sich noch selten Magazine oder Zeitungen finden, die ausschließlich positive Nachrichten verbreiten oder den Ansatz des konstruktiven Journalismus verfolgen. Foto: Lucas Lorenz

Dabei sind die Begriffe good news oder positive Nachrichten unschärfer als Mensch meinen mag. Positive Nachrichten behandeln eine positive Erfolgsmeldung wie beispielsweise die Meldung: „Seegras könnte Welthunger besiegen“ (Nur Positive Nachrichten, 20.10.2021). Einen zusätzlich problemlösenden Ansatz bietet der konstruktive Journalismus. Hier soll nicht das Problem in den Vordergrund gestellt, sondern auch die (Zukunfts-) Aussichten behandelt werden. Trotz dieser Unterschiede benutzen sowohl Redaktionen, die mit dem Element des konstruktiven Journalismus arbeiten, als auch Redaktionen, die positive Nachrichten verbreiten, ein ähnliches Begriffsspektrum rund um good news und positiven Nachrichten.

Eine der bekanntesten Vertreter*innen des konstruktiven Journalismus ist Maren Urner, die 2016 zusammen mit weiteren Mitstreiter*innen das Onlinemagazin Perspective Daily gegründet hat. Diese Magazin verfolgt den Ansatz von konstruktivem Journalismus und möchte sich zugleich mit immer nur einem Artikel pro Tag bewusst gegen die immer größer werdende Anzahl an Nachrichten stellen. Nach eigenen Angaben besitzt das Magazin bereits über 14.000 Abonnent*innen, was knapp ein Drittel der Abonnements (Digital und Print) der taz (die tageszeitung) entspricht.

Ein steiniger Weg steht bevor

Dieser Paradigmenwechsel trifft aber auch auf skeptische Resonanz. In einer Studie zum konstruktiven Journalismus stellt Claus Meier, der seit einigen Jahren zu diesem Thema forscht, fest, dass viele durch den „Konsum herkömmlicher Nachrichten anders sozialisiert und erzogen“ seien, sodass Menschen von einem Artikel eine vollständige Beschreibung des Problems eher erwarten, als einen vollständigen Lösungsansatz. Auch wittern einige Menschen in den Lösungsansätzen jener Berichterstattungen versteckte Werbung.

Dieser Zweifel kann nur dann genommen werden, wenn in den Artikeln das Problem nicht verkürzt dargestellt und offen mit den Recherchequellen umgegangen wird. Sicherlich dauert es einige Zeit bis sich die Menschen an eine neue Methodik von journalistischen Ansätzen gewöhnt haben. Eine große Herausforderung dieses Ansatzes ist außerdem der zusätzliche Aufwand für Ressourcen und Zeit. Nicht nur die Problematik muss umfänglich recherchiert, sondern auch die Lösungsansätze reflektiert werden. Durch den zunehmenden Kostendruck und schnelle Berichterstattung wird es für die Medien eine große Herausforderung werden, den konstruktiven Journalismus zu etablieren, damit dieser nicht nur ein Nischendasein fristet. Daher ist es nicht verwunderlich, dass angehende Redakteur*innen in ihren Ausbildungen nicht flächendeckend mit der Idee des konstruktiven Journalismus konfrontiert werden. So berichtet Laurence Boms, eine Volontärin in einer Lokalredaktion eines deutschen Fernsehsenders, dass in den vielen Volontariats begleitenden Seminaren nicht über den konstruktiven Journalismus gesprochen worden sei.

Auf der anderen Seite wird die zunehmende Popularität von Nachrichtenportalen und Magazinen, die sich auf positive Nachrichten oder konstruktiven Journalismus fokussieren, auch die Platzhirsche in der Medienwelt dazu bewegen, solche Formate vermehrt anzubieten. Mit ein wenig Recherche lassen sich bei vielen der größeren Medien bereits solche Formate entdecken – sei es bei Radiosendern wie Cosmo oder bigFM, Fernsehsendern wie Arte oder Zeitungen wie Zeit oder Süddeutsche oder anderen Redaktionen. Vielleicht ist dies der erste Schritt einer Trendumkehr.

Eine Auswahl an Medien, die ausschließlich positive Nachrichten publizieren beziehungsweise bereitstellen oder/und den Ansatz des konstruktiven Journalismus verfolgen:
PerspectiveDaily
GoodNews.eu
Transform
Squirrel-News
Nur positive Nachrichten
GoodNews Magazin
Enorm-Magazin

Von Lucas Lorenz

Beitrag erstellt am: 10.03.2022 um 09:00 Uhr
Letzte Änderung am: 22.03.2022 um 14:18 Uhr

Portrait

… fährt gerne mit dem Fahrrad durch das Bergische Land und probiert sich gerne an neuen Anstiegen aus. Regelmäßig fährt er auch zur Universität. Dort studiert er Geschichte und Medienkulturwissenschaften ohne sich viele Gedanken zu machen, wie seine Laufbahn danach aussieht.