„Was für eine Welt wollen wir?“

Buchcover
Das Buch von Isabel Allende ist auch als Hörbuch erhältlich. Foto: Suhrkamp Verlag.

Isabel Allende erzählt in ihren Memoiren Was wir Frauen wollen, warum sie für den Feminismus brennt.

Es ist 2021 und Frauen haben immer noch nicht die gleichen Rechte und Freiheiten wie Männer. Wahrscheinlich werden sie mindestens bis zum Jahr 2156 für die Gleichstellung kämpfen müssen – vielleicht auch noch länger. Denn durch die Folgen der Corona-Pandemie hat sich der Global Gender Gap von 99,5 auf 135,6 Jahre erhöht. Einer weiteren Generation von Frauen auf der ganzen Welt wird somit die Gleichberechtigung verwehrt. Die chilenisch-US-amerikanische Bestsellerautorin Isabel Allende erlebte schon in ihrer Kindheit, was Fremdbestimmung und Unterdrückung anrichten können. Der Zorn auf Machismo und auf das Patriarchat sowie der Drang nach Auflehnung ließen sie auch in ihrem weiteren Leben nicht los. In ihrem neuem Buch Was wir Frauen wollen gewährt sie anekdotische Einblicke in ihr Leben und in ihren hoffnungsvollen Feminismus.

Der Global Gender Gap Report ist ein wissenschaftlicher Bericht des Weltwirtschaftsforums, der jährlich die Gleichstellung der Geschlechter in 156 Ländern untersucht. Der Global Gender Gap Index wird aus vierzehn sozialen Indikatoren aus den Bereichen Wirtschaft, Bildung, Gesundheit und Politik bestimmt.

Der Feminismus gibt niemals Ruhe

Ihr aktuelles Buch wurde von Svenja Becker aus dem Spanischen übersetzt und erschien 2021 im Suhrkamp Verlag. Darin erzählt sie von besonders prägenden Erlebnissen und starken Menschen, die sie inspiriert haben. Doch vor allem schreibt sie über das Patriarchat und warum dieses den Feminismus notwendig macht. Allende definiert das Patriarchat als die absolute Vorherrschaft des Mannes über die Frau, die Natur und alle anderen Lebensformen. Es sei ein System, das zahlreiche Formen der Ausgrenzung, Unterdrückung und Aggressionen beinhaltet und neben der Misogynie auch Rassismus, Homophobie, Intoleranz und dergleichen mit einschließe. Der Feminismus hingegen bilde die Auflehnung gegen die Herrschaft der Männer und stelle eine philosophische Haltung dar, welche die Unterdrückung und das Leid durch dieses System anprangere. Hierfür findet Allende die poetische Metapher: „Das Patriarchat ist aus Stein, der Feminismus dagegen ein bewegter Ozean, mächtig, tief und so unendlich vielschichtig wie das Leben selbst. Er wogt, strömt, kennt Gezeiten und zuweilen wütende Stürme. Wie der Ozean gibt auch der Feminismus niemals Ruhe.“

Darüber hinaus sieht sie den Feminismus als eine sehr inklusive Bewegung, die auch andere benachteiligte Gruppen wie beispielsweise die LGBTQI+- (Lesbian, Gay, Bi, Trans, Queer und Intersex) Gemeinschaft einbeziehe. Nach der zornigen Auflehnung in ihrer Kindheit fand sie im Jahr 1967 das erste Mal die Möglichkeit, ihren Feminismus richtig auszuleben. Sie arbeitete als Journalistin für die Frauenzeitschrift Paula und schrieb gemeinsam mit drei anderen jungen Frauen über Tabuthemen und die Probleme, mit denen Frauen im damaligen konservativen Chile zu kämpfen hatten.

Was wir Frauen wollen

Allende schreckt nicht davor zurück, die vielschichtigen Folgen des Patriarchats aufzuzeigen und stellt die Statistiken über Gewalt an Frauen vor. Zum Beispiel werden jedes Jahr ungefähr fünftausend Frauen im Nahen Osten und in Südasien ermordet, um die Ehre eines Mannes wiederherzustellen. In den USA wird statisch gesehen alle sechs Minuten eine Frau vergewaltigt. Im Grunde berichtet sie an einigen Stellen sehr generalisiert von bereits bekannten Tatsachen.

Doch die Fakten und Zahlen beweisen, dass manche Probleme immer wieder ins Rampenlicht gestellt werden müssen, damit sich endlich etwas ändert. Denn Gewalt gegen Frauen ist vielfältig und auch noch im 21. Jahrhundert auf der ganzen Welt zu finden. Ein Leben in Angst, Machtlosigkeit, Missbrauch, Vergewaltigung, Menschenhandel, Zwangsheirat, Genitalverstümmelung, Femizide. Die Liste der Verbrechen scheint nicht aufzuhören. Allende bringt die Forderungen des Feminismus auf den Punkt: „Wir Frauen wollen mehr oder weniger Folgendes: Sicherheit, Wertschätzung, ein Leben in Frieden, Mittel, über die wir selbst verfügen können, Verbundenheit untereinander und vor allem Liebe.“ Um das zu erreichen, müssten Frauen und Mädchen unterstützt und gestärkt werden. Sie bräuchten das Recht und die Verfügungsgewalt über ihren eigenen Körper und sollten selbst entscheiden können, ob oder wie viele Kinder sie bekommen. Frauen benötigten wirtschaftliche Unabhängigkeit, das Recht auf Bildung, Respekt und vor allem Schutz vor Gewalt und Ausbeutung. Dies sind die Ziele ihrer Stiftung, die sie nach dem Tod ihrer Tochter Paula ins Leben gerufen hat, um Frauen in Not zu helfen.

Des Weiteren stechen ihre Hoffnung und ihr scheinbar unerschöpflicher Optimismus besonders hervor. Im Gespräch mit Louis Klamroth beim internationalen Literaturfestival lit.COLOGNE betont sie, das Leben habe sie gelehrt, dass sich die Dinge langfristig zum Guten wenden werden. Der Feminismus sei eine langsame, aber inzwischen beständige Bewegung. „Tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen sind nötig, und es ist an uns, an den Frauen, sie durchzusetzen. Vergessen Sie nicht: Uns wird nichts geschenkt, wir müssen es erstreiten. Wir müssen uns ein globales Bewusstsein schaffen und uns organisieren. Das ist heute besser möglich als je zuvor, denn wir verfügen über Informationen, über Kommunikationswege und Möglichkeiten zur Mobilisierung“, unterstreicht die 79-Jährige.

Inspiration und Tatendrang

Was wir Frauen wollen gehört zu dieser Art Büchern, in welche die Leser*innen hineinfallen, sich für ein paar Tage in ihnen verirren, um dann langsam und desillusioniert in die Wirklichkeit zurückzufinden. Bei der Lektüre wechseln sich die Gefühle in einer rasanten Achterbahnfahrt ab: Wut und Empörung, Hoffnung und Optimismus, Dankbarkeit und Tatendrang. Die jungen Leser*innen aus reichen Ländern wie Deutschland sehen sich mit ihrer privilegierten Position und gleichzeitig den vielen Missständen in ihrem eigenen Land konfrontiert.

Als erzählendes Sachbuch positionieren sich die Memoiren im Spannungsfeld zwischen Sachbüchern, die in erster Linie Informationen vermitteln, und der Belletristik, welche vorrangig zu unterhalten versucht. Umso faszinierender ist es, wie Allende über Feminismus und ihr Leben berichtet und die Leser*innen mit Kopf und Herz in ihren Bann schlägt. Nachdem die letzte Seite verschlungen wurde, scheint es nur eine einzige logische Konsequenz zu geben: auf die Straße zu gehen und die Ungerechtigkeiten in die Welt hinauszuschreien, die Probleme beim Namen zu nennen und Verbesserung zu fordern. Dennoch wird deutlich, dass auch Allende nicht die perfekte Lösung für eine gerechtere Zukunft hat. Aber das scheint auch nicht der Anspruch ihrer Memoiren sein.  Was wir Frauen wollen liest sich wie eine Unterhaltung mit der Autorin bei einer Tasse Kaffee und schwankt zwischen den ernsten Problemen auf der ganzen Welt und den privaten Gedanken eines einzelnen Lebens. Wer feministische Theorien erwartet oder ähnlich hohe Ansprüche an dieses Buch hat, könnte also enttäuscht werden. Stattdessen erhalten die Leser*innen einen Einblick in Allendes Erfahrungen und können miterleben, wie sie für den Feminismus brennt und dafür einsteht.

Die entzündete Fackel der nächsten Generation

„Ich bin noch nicht bereit meine Fackel abzugeben, und hoffentlich werde ich das auch nie sein. Ich möchte die Fackeln unserer Töchter und Enkelinnen mit meiner entzünden. Sie werden für uns leben müssen, so wie wir für unsere Mütter gelebt haben, und die Arbeit fortsetzen, die wir nicht beenden konnten“, so Allende. Der Feminismus hat in manchen Teilen der Welt schon viele Veränderungen hervorgebracht, aber solange wie es noch Frauen und Mädchen gibt, die nicht in Frieden und selbstbestimmt leben können, ist der Kampf noch nicht gewonnen. Letztendlich stellt uns die Schriftstellerin vor die entscheidende Frage: „Was für eine Welt wollen wir?“

Die chilenisch-US-amerikanische Schriftstellerin Isabel Allende wurde 1942 in Lima, Peru, geboren. Ihr Vater verließ früh die Familie und ihre Mutter Panchita wurde eine alleinerziehende Mutter dreier Kinder, ohne jegliche Macht und ohne eine Stimme. Isabel Allende wuchs in Chile im konservativen und katholischen Haushalt ihres Großvaters auf. Bereits als Kind erlebte sie, wie Männer ihre Mutter und andere Frauen unterdrückten und über sie bestimmten. So kam es, dass Allende im Alter von fünf Jahren Feministin wurde, noch bevor sie wusste, dass dieser Begriff überhaupt existierte. Ihr erster Roman Das Geisterhaus machte sie 1982 international bekannt.

Isabel Allende: Was wir Frauen wollen.  Über geduldige Liebe, das lange Leben und gute Hexen.
Aus den Spanischen übersetzt von Svenja Becker, Suhrkamp Verlag: 2021, 184 Seiten, 18 Euro.
ISBN: 978-3-518-42980-8.

Von Eileen Michalski

Beitrag erstellt am: 26.02.2022 um 13:53 Uhr
Letzte Änderung am: 26.02.2022 um 13:53 Uhr