“Bin hier gerade mitten in einem Tutorial” – “Und wofür? Braut des Grauens?” mit diesem lieblosen Wortwechsel zwischen Mutter Tina (Gabriela Maria Schmeide) und Tochter Carolin (Runa Greiner) zu Beginn der ARD-Miniserie Tina mobil wird eines der zentralen Themen der Sendung eingeführt: Kommunikationsprobleme zwischen Boomern und der Generation Z. Die Serie wird von der Kritik meist anders aufgenommen: Dort wird Tina als eine starke Frau charakterisiert, die sich mit ihrem Backmobil selbstständig macht und dabei noch alleinerziehend als Mutter von drei Kindern die Familie managt. So weit so “das könnte auch meine Mutter sein”.
Die Kehrseite: Diese alleinerziehende Mutter struggelt. Sie streift um ein Haar die Armutsgrenze und versucht diesen Umstand ihren Kindern gegenüber unter den Teppich zu kehren. Von ihrer liebevoll-paternalistischen Art erdrückt, flieht ihre jüngste Tochter Julia (Fine Sendel) in eine Wohngruppe. Tina weiß zwar, dass ihre ältere Tochter Carolin Depressionen und Angstzustände hat, wie genau sie ihr dabei helfen kann, weiß sie aber nicht. Und fragen, wie sie ihr helfen kann, tut sie auch nicht. Carolins Erkrankung wird von Tina in der ersten Folge nicht so ganz ernst genommen und genau: unter den Teppich gekehrt.
Tina steht dabei für eine Generation von Frauen, die Kindeskinder der Kriegsgeneration sind und das “ich schaffe das allein” mit der Muttermilch aufgesogen haben. Starke Frauen, denen man sagen möchte: “Nein, du musst das nicht alleine schaffen.” Und wenn man sauer ist “Geh mal zum Therapeuten!”
Anders als ein ARD-Mittwochabendprogramm in Mord mit Aussicht-Ästhetik erwarten lässt, verhandelt Tina mobil feinsinnig und komplex eine Vielzahl von gesellschaftlichen Herausforderungen: Von der Prekarität alleinerziehender Mütter über strukturellen Alltagsrassismus und patriarchale Strukturen – der Chef feuert Tina, weil er’s kann – bis hin zu Generationskonflikten und dem Generation Gap in der Digitalisierung.
Regisseur Richard Huber verarbeitet die gängigen Klischees, die Familien abseits des Bildungsbürgertums angehaftet sind, auf eine Art und Weise, die bei den Zuschauer*innen nicht Verachtung – wie teils in anderen Formaten –, sondern Empathie auslöst.
Damit lädt die Serie von ihrer Elterngeneration gefrustete Generation-Y und Generation-Z-ler*innen zu einem empathischen Perspektivwechsel ein und könnte – wenn man die 19-30-jährigen vor den Fernseher oder in die Mediathek bekäme – einen intergenerationellen Dialog anregen. Ein Dialog über die Einzelkämper*innen-Mentalität der Boomer, über psychische Erkrankungen in der Familie und über die medienkulturelle Bedeutung von Schmink-Tutorials.
Tina mobil kann mehr, als man als Mitte zwanzig jährige Person mit Aversion gegen abgestaubte ARD-Ästhetik und Liebe für Jumpcuts von einer Mittwochabend-Serie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen erstmal erwartet. Sie zeigt unsere Eltern überfordert, verkorkst, liebevoll und witzig. Eben als die Menschen, die sie sind.
Von Sarah Haas
Beitrag erstellt am: 30.10.2021 um 19:56 Uhr
Letzte Änderung am: 30.10.2021 um 22:33 Uhr