Eine Hommage an das Geschichtenerzählen

Zwei Menschen stehen an einer Musikbox
Liebe, Revolte und die Kraft des Geschichtenerzählens. Foto: Courtesy of Searchlight Pictures. © 2021 20th Century Studios All Rights Reserved

Wes Andersons vielleicht persönlichster Film.

The French Dispatch ist augenscheinlich ein Film von Wes Anderson. Die geometrische Bildkomposition, der Humor in den Dialogen und die Skurrilität der Charaktere kommen einem allzu bekannt vor. Dennoch überrascht der Film.

Das Layout

The French Dispatch handelt von der gleichnamigen, fiktiven Zeitschrift. Der Chefredakteur, welcher natürlich von Andersons go-to-guy Bill Murray gespielt wird, muss eine neue Ausgabe zusammenstellen. Und hierbei vollzieht sich die erste Überraschung des Films: Die Artikel werden als jeweilige Kurzfilme verarbeitet. Der Film ist also im Groben eine Ansammlung von Kurzfilmen, die in die größere Rahmenhandlung der Zusammenstellung einer Zeitschriftenausgabe eingebettet sind.

Der Inhalt

Die Passage mit Owen Wilson (Andersons anderer go-to-guy) rettet sich gerade noch so, weil ihr Thema, Anspruch und Stil gut mit ihrer Kürze funktionieren. Der Abschnitt über Kunst überrascht mit einigen angenehmen Spitzfindigkeiten, die über das vordergründige Thema des leidenden Künstlers hinausgehen. Der Teil um das sogenannte Gesellschaftliche, welcher Timothée Chalamet als Anführer einer französischen Studierendenrevolte stilisiert, hat seine Tücken und dieser ist sich Anderson wohl bewusst. Ob hier der filminterne Meta-Kommentar „it outraged to symbolism“ der doppelte Boden zur Rettung der Passage ist und nicht eher zum Niedergang, steht zur Diskussion frei. Die Zeitschriftenrubrik um Kulinarisches schließt die Ausgabe des French Dispatch mit einer überraschend makabren Parabel.

Das Thema

Die andere große Überraschung, neben der Form des Films, ist die filmische Inszenierung. Damit ist sicher nicht die bekannte geometrische Bildkomposition gemeint, sondern das Farbenspiel. Da die Kurzfilme Artikel darstellen sollen, sind sie in quasi-dokumentarischen Grautönen abgebildet. Gelangt die Erzählung in die Gegenwart, wechselt der Film zu Farbe. Aber das eigentlich Besondere ist, dass auch in den Erzählungen über das Vergangene ein Farbenspiel vorkommt. Geschehen in den Kurzfilmen nämlich Momente der Sinnlichkeit, erstrahlen diese kurz in leuchtenden Farben. Dies ist die bildliche Darstellung der Kraft, die Geschichten und das Geschichtenerzählen ausüben können. Geschichten verknüpfen nämlich die Fantasie mit der Wirklichkeit. Sie selbst entspringen der Kreativität, doch erwecken die auch bei den Rezipient*innen. Geschichten entfachen Leben. Dieses Leitmotiv findet sich auch bei den vordergründig unterschiedlichen Geschichten der Kurzfilme um Liebe, Kunst und Abenteuer wieder. Im Kern behandeln sie alle das Thema der Kreativität und der Kraft ihrer Erfahrung. Und wo könnte die Kraft des Geschichtenerzählens besser erfahren werden als im Kino?

Fazit

Wer Wes Anderson eine perfektionierte Ästhetik attestiert, seinen Filmen aber eine inhaltliche Flachheit ankreiden möchte, wird mit The French Dispatch nicht erfolgreich sein. Denn Wes Anderson hat mit diesem Film nicht schlicht eine Aneinanderreihung unterhaltsamer Momente geschaffen, sondern durch die Harmonie der Anthologie-Form, der Bildtechnik und des Inhalts mit dem Leitmotiv, nach welchem Geschichten Leben entfachen, nichts Geringeres als eine wirklich respektable Hommage an das Geschichtenerzählen erschaffen. 

Filmtitel: The French Dispatch
Regisseur: Wes Anderson
Starttermin: 21.10.2021
Dauer: 108 Minuten
Genre: Komödie

Von Özgün Kaya

Beitrag erstellt am: 21.10.2021 um 08:42 Uhr
Letzte Änderung am: 21.10.2021 um 08:42 Uhr

… studiert Philosophie und Geschichte. Am liebsten sieht er Filme.