„Ein Tag voller Mückenstiche“

schwarze Frau vor einem Graffito
Sam an ihrem Lieblingsort in Köln-Ehrenfeld am Gerhard-Wilczek-Platz. Foto: Katrin Steinhausen.

Mir gegenüber sitzt Sam, eine 19-jährige Abiturientin, die heute mit mir über Rassismus spricht und ein paar ihrer Erfahrungen mit mir teilt. Trigger Warnung: In diesem Interview werden rassistische Begriffe verwendet und können auf Menschen, die rassistische Erfahrungen gemacht haben, verletzend wirken, wie auch an traumatische Erlebnisse erinnern.

Du bist vor fünf Jahren aus Kuba nach Deutschland gekommen. Wie war der Schuleinstieg?

Ich bin an einer Schule, die meiner Meinung nach nicht gut ist, aber leider hatte ich keine andere Wahl. Als ich nach Deutschland gekommen bin, war ich an einer Realschule, wollte aber mein Abitur machen und war trotz eines Notendurchschnitts von 1,6 auf der Warteliste von Gesamtschulen. Freunde von mir – Deutsche – mit einem niedrigeren Notendurchschnitt, hatten bereits einen Platz. Ich musste das Schulamt anrufen, viele Termine mit ihnen machen und sie anschreiben, damit ich eine Schule finde. Sonst hätte ich forciert ein Fachabi oder eine Ausbildung machen müssen. So wurde ich am letzten Tag der Schulferien irgendwo zwischengeschoben.

Wie findest du wird auf deiner jetzigen Schule mit dem Thema Rassismus umgegangen?

Meine Schule trägt den Slogan „Schule mit Courage, Schule ohne Rassismus“. Trotzdem sagen Lehrer das „N-Wort“ ohne dafür Konsequenzen zu tragen. Alle zwei Monate haben wir einen Workshoptag und reden den ganzen Tag über ein bestimmtes Thema. Einmal ging es um das „N-Wort“. Mein Lehrer hat die ganze Zeit das „N-Wort“ benutzt. Ich habe ihm mehrmals gesagt er soll das nicht sagen, weil es rassistisch ist. Man kann „N-Wort“ sagen, aber nicht „N****“. Er hat daraufhin mit einem Klassenraum voller weißer Schüler diskutiert, ob es richtig ist das „N-Wort“ zu sagen oder nicht. Ich war die einzige schwarze Person im Klassenraum, die die ganze Zeit gesagt hat, er soll es nicht benutzen, aber keinen hat es gejuckt. Sie haben einfach weiter gemacht.

Gehst du neben der Schule arbeiten? Hast du dich schon mal irgendwo beworben?

Ja. Normalerweise arbeite ich nebenbei als Kellnerin, aber wegen Corona habe ich meinen Job verloren. Deswegen habe ich mich über Indeed oder Jobfox auf neue Jobs beworben, aber immer direkt eine Absage bekommen. Die Ausrede war immer dieselbe: „Leider hatten wir keine Zeit Ihre Bewerbung durchzugehen“. Also habe ich mich bei Rewe, Lidl, Aldi und anderen Supermärkten beworben. Mehr als fünfzig Mal bestimmt schon. Jedes Mal bekomme ich eine Absage. Ich dachte mir, vielleicht nehmen die einfach niemanden online. Ein Freund von mir, der Deutscher ist, und sich online beworben hat, wurde aber angenommen. Er meinte ich solle die Woche vorbeikommen, sie suchten noch Mitarbeiter. Ich komme dahin, der Chef guckt mich an und sagt „Wir haben keinen freien Platz mehr.“ Und das, obwohl da ein Schild an der Tür hängt, das sagt sie suchen noch Mitarbeiter.

Was machst du in deiner Freizeit? Gehst du gerne feiern?

Als ich 16 oder 17 war, war ich immer auf den ganzen 16er Parties. Diamonds, Nachtflug, Bootshaus und so. Einmal, als wir mit einer großen Gruppe Freunde in den Nachtflug wollten, habe ich einen Freund eingeladen, der viel dunkler ist als ich. Wir waren in einer langen Schlange und ich war mit einer Freundin weiter vorne, während mein Freund ganz hinten war. Ich bin ohne Probleme reingekommen, aber mein Freund nicht. Ein Freund von mir, der da arbeitet, konnte ihn reinschmuggeln. Ich habe davon erst am nächsten Tag erfahren. Mein Freund meinte „Sam ich wollte dir nicht den Abend versauen, aber ich bin nicht reingekommen.“ – Ich „Warum nicht?“ – Er „Ja weil ich schwarz bin.“ Ich habe das nicht verstanden, weil ich ja auch schwarz bin. Er meinte „Ja du bist aber nicht so schwarz wie ich. Du bist heller.“ – Ich „Häh? Nein. Also ja, ich bin heller, aber was hat das damit zu tun? Wir sind doch alle schwarz. Ich sehe keinen Unterschied zwischen uns.“ Später habe ich nachgedacht. Es macht Sinn. Ich kam mit glatten Haaren und bin Light-Skin. Ein bisschen angepasst sozusagen. Hätte ich einen Afro getragen, wäre es anders gewesen.

Hast du daraus für dich irgendwelche Konsequenzen gezogen?

Ja, danach war ich richtig sauer und bin seitdem nicht mehr im Nachtflug gewesen. Auch habe ich die Firma die diese Parties organisiert, nicht mehr unterstützt. Ich habe mich informiert. Clubs in Deutschland lassen nicht mehr als maximal 50 Schwarze und 50 Araber rein. Ein Freund von mir, der Türsteher ist, hat es mir bestätigt. Die schreiben sogar auf, wie viele sie reingelassen haben. Und es wird nichts dagegen gemacht. Deswegen bin ich stattdessen danach auf Afro- und Latino-Parties gegangen. Das ist offener. Da gibt es auch BIPoC (Black, Indigenous, People of Color) Menschen.

„Wir haben keinen Bock mehr leiser zu sein.“

Sam

Deine Erfahrung impliziert, dass du als Light-Skinned Vorteile hast. Ist das so?

Ja. Je heller du bist, desto mehr Privilegien hast du. Privilegien heißen nicht, dass du kein schwieriges Leben hast. Es heißt nur, dass du nicht so viele Probleme hast, wie Leute die dunkler sind als du selbst. Nicht nur im Bezug auf Hautfarbe, sondern auch auf Geschlecht. Männer haben zum Beispiel mehr Probleme als Frauen. Ich bin Light-Skin und somit habe ich ein Privileg, weil ich vor Anderen bevorzugt werde. Deswegen sind die meisten Schwarzen in Filmen und Serien auf Netflix zum Beispiel Mixed-Raced oder Light-Skinned People. Es gibt keine Repräsentation von Schwarzen Leuten, also Dark-Skinned.

Okay kommen wir zu Rassismus selbst. Was ist Rassismus für dich?

Rassismus ist wie ein Kuchen, er ist vielschichtig. Er ist strukturell, institutionell, persönlich, und auch internalisiert, also von Opfern verinnerlichter Rassismus. Mein Vater fragt mich zum Beispiel, ob ich nicht meine Haare machen wolle, woraufhin ich nur erwidere „Was meinst du?“ und werfe meine Haare von links nach rechts. Wenn ich meine Haare glätte, meint er immer „Oh mein Gott du siehst so schön aus. Wieso machst du das nicht öfter?“ Er weiß nicht, dass es internalisierter Rassismus ist, den er an mich weitergibt, weil die Gesellschaft ihn so geprägt hat. Lockig gleich hässlich, glatt gleich schön oder accpetable. Ich zum Beispiel habe meine Haare bis ich 15 Jahre alt war jeden Tag geglättet, weil ich meine Locken gehasst habe. Erst dieses Jahr im August habe ich zum ersten Mal meinen Afro getragen, weil es mir davor peinlich war.

Ich habe gehört Alltagsrassismus sei mit das Schlimmste. Wie würdest du ihn beschreiben?

Wie einen Tag voller Mückenstiche. Es sind Blicke, Kommentare, Fragen… Alltagsrassismus ist das, was man am meisten sieht. Es gibt dieses Phänomen, dass wenn du einen Raum voller weißer Menschen betrittst, bist du erleichtert, wenn du eine oder einen Schwarzen siehst. Es ist so wie „Oh mein Gott du bist da!“ Genauso wie wenn Frauen einen Raum voller Männer betreten, und es gibt eine weitere Frau.

Kannst du mir ein paar Beispiele geben?

Ein Beispiel: Ein elfjähriges Kind sagt mir „Oha du siehst aus wie ein Affe“. Ein 17-jähriger Junge würde das nicht mehr sagen, sondern „Du bist hübsch, für eine Schwarze.“ Manchmal kann das auch zu dem Extrem gehen, dass man einen Fetischismus aus mir macht. Im Sinne von: „Schokoqueen“, „Karamell“, „Brownie“, „Magst du Rassengruppenspiele?“, „Kann ich dich Sklavin nennen?“ oder „Guten Morgen meine Cappuccino-Königin.“ Die Leute haben sehr viel Kreativität. Es geht von „Kann ich deine Haare anfassen?“, über komische Blicke, wenn ich mich neben jemanden setzen will. Wenn ich frage „Kann ich mich setzen?“ lautet die Antwort „Nein ist besetzt.“ Die Reaktionen auf meinen Afro zum Beispiel waren: „Hast du in die Steckdose gegriffen?“, „Was ist mit deinen Haaren passiert?“, „Crazy Haare.“ Bei Letzterem könnte man vielleicht denken: „Wow, das ist ein schönes Kompliment“, aber das ist keins. Es sind einfach Haare. Wenn du nichts Schönes dazu zu sagen hast, dann kannst du einfach deinen Mund halten. Auch so Kleinigkeiten wie Haarprodukte. Ich kann nicht in den DM gehen und meine Haarprodukte da kaufen. Und wenn ich sie finde, kosten sie 20 Euro.

Das hört sich nach einem sehr aktuellen Problem an. Was sagst du zu der Diskussion um das Wort Rasse?

Das Konzept Rasse wurde von weißen Menschen, von Europäern gebildet. Um zu verdeutlichen: Die sind anders als Wir. Wir sind besser als die. Ich verstehe sie nicht und habe nix mit denen zu tun. Ich finde gut, dass das Wort Rasse aus dem Grundgesetz gelöscht wird, aber wenn ich jetzt in Deutschland mit Weißen über Rassismus rede und das Wort Rasse benutze, dann ist das immer so „Ja, aber du kannst nicht Rasse sagen, es gibt doch keine Rasse. Wir sind alle eine Rasse, die Homo sapiens.“ Ich sage dann immer „Ja, aber das ist nicht der Punkt. Es geht darum, dass es Rassismus gibt.“ Es ist als könnte ich nicht über Rassismus reden, und das Wort, auf dem er basiert. Wir müssen aber darüber reden können was passiert ist. Es gibt immer noch Rassismus.

Du hast eben unter anderem das Thema Haare thematisiert. Das ist ja auch Thema bei Kulturenteignung. Kannst du mir etwas dazu sagen?

Ja am Beispiel von Braids. Sie haben eine kulturelle Geschichte. Vor allem in der Karibik haben die Sklaven sich Braids gemacht, wenn sie flüchten wollten. Sie haben sich Reis, Gold und andere Mineralien in ihre Braids gesteckt um später Sachen anpflanzen oder verkaufen zu können. In Afrika ist das immer noch so. Auch zeigen sie zu welchem Tribe du gehörst, ob du Single oder verheiratet bist, welches Alter du hast, und ob du königlich warst oder nicht. Braids haben eine kulturelle Bedeutung. Hier in Deutschland werden wir diskriminiert, wenn wir Braids tragen. Angeblich sieht es scheiße aus oder als kämen wir aus dem Ghetto. Freunde von mir mussten sich die Braids wegen einem neuen Job rausmachen. Wenn nun aber eine nicht schwarze Person sich Braids macht, wird es plötzlich zum Trend, zu einer neuen Mode. Die Kardashians zum Beispiel sind nicht schwarz, tragen aber Braids und plötzlich sagt jeder „Oh mein Gott das sieht voll schön aus“. Wir werden dafür diskriminiert, aber solange White People das machen ist das okay. Viele sagen es ist nur ein Hairstyle, wie Perücken, glatte oder eben lockige Haare. Aber warum darf ich meine Haare in der Schule oder bei einem Jobinterview dann nicht so tragen? Es geht darum, dass wenn ein Polizist kommt, Weiße sich abwaschen können und wieder weiß sind. Ich kann das aber nicht. Bei mir bleibt die Hautfarbe so.

„Kinder sind nicht rassistisch geboren. Sie lernen das von ihren Eltern, der Gesellschaft und aus Filmen.“

Sam

Danke für deine Erklärung. Die nächste Frage ist ein bisschen persönlicher. Was war deine erste Erfahrung mit Rassismus?

Allererste Erfahrung… Gilt das auch wenn man noch in der Gebärmutter ist? Die Familie von meiner Mutter ist weiß, die Familie von meinem Papa ist schwarz. Als die erfahren haben, dass meine Mutter schwanger war sind sie ausgerastet, weil sie schwanger von einem Schwarzen war. Sie wurde sogar von zu Hause rausgeschmissen. Meine Familie nennt mich Mi Negrita (übersetzt meine kleine Schwarze). Sogar meine Mutter nennt mich so. Mein Opa nennt mich „Mi electricito“ von Elektrizität. Wegen meiner Haare. Ich habe das früher als normal gesehen. Heute denke ich mir „Toll, Slurs (diskriminierende abwertende Beleidigungen) seitdem ich geboren bin“. Ich kann mich erinnern. Früher wurde ich, da ich beim weißen Teil meiner Familie großgeworden bin, immer zu einer afrikanischen Frau geschickt, die mir Braids gemacht hat. Es gab diese Werbung in Kuba von Garnier. Erst wurde ein Löwe mit seinen normalen Haaren gezeigt, danach ein Löwe mit glatten Haaren. Immer wenn ich beim Friseur wegen dem Relaxer auf meinen Haaren, der gebrannt hat, geweint habe, haben die mir gesagt „Willst du aussehen wie dieser eine hässliche Löwe oder wie der schöne mit glatten Haaren?“ Das habe ich nie vergessen, das habe ich wirklich nie vergessen.

Und was war die erste Erfahrung in Deutschland?

Oh Gott das waren so viele. Eine hat mich besonders geschockt. Von meiner Deutschlehrerin. Es ging um die Annahme an einer Schule. Alle meine Freunde hatten schon eine Antwort von ihrer Schule bekommen, nur ich hatte noch gar nichts gehört. Ich habe meine Deutschlehrerin gefragt und sie meinte „Ja Sam ich werde ganz ehrlich sein. Du bist eine Ausländerin. Ich glaube nicht, dass du in die Oberstufe gehen wirst. Und wenn, dann wirst du dein Abi auch nicht schaffen.“ Ich habe angefangen zu weinen. Ich war so abgefuckt. Meine Freunde waren auch schockiert. Ich bin aufgestanden und einfach rausgegangen, weil ich da nicht länger bleiben wollte. Meine Deutschlehrerin ist mir nachgekommen, um mich zu bitten, das niemandem zu sagen. Ich habe das trotzdem meiner Klassenlehrerin erzählt, die meinte „Hat sie das wirklich gesagt?“ und dann dem Schulleiter gemeldet. Das Krasseste ist, die Lehrerin, die mir das gesagt hat, ist jetzt die Lehrerin für die Ausländerklasse. Ich will echt nicht wissen, was diese armen Kinder ertragen müssen. 

Wie fühlst du dich hier im Allgemeinen? An öffentlichen Orten wie Bahn, Supermarkt, Geschäft?

In der Bahn fühle ich mich immer unwohl. Im Supermarkt ist es anders, da bin ich immer abgelenkt. In Geschäften fühle ich mich immer schuldig, wenn ich in irgendeinen Klamottenladen reingehe und nichts kaufe. Ich fühle alle Augen auf mir und habe das Gefühl die Leute gucken mich so nach dem Motto an „Oha die hat das nicht gekauft.“ oder „Guck mal wo geht die jetzt hin?“. Besonders in kleinen Läden wie zum Beispiel Unterwäscheläden ist das so. Ich werde immer angeguckt, als ob ich etwas klauen wollte oder als habe man Angst, dass ich etwas kaputt machen würde. Wenn ich vorher woanders einkaufen war, gebe ich meine Tasche immer an der Kasse ab. Ich habe sonst Angst, dass irgendetwas aus Versehen in meine Tasche fällt, dass die sagen „Du klaust“.

Gut, kommen wir nun zu einem anderen Thema. Glaubst du es gibt unbewussten Rassismus?

Es gibt viel unbewussten Rassismus, sehr viel. Wirklich jeder ist unbewusst rassistisch. Damit sich das ändert, muss sich das Bildungssystem verbessern. In der Schule wie auch Zuhause. Ich habe nicht in der Schule über Rassismus gelernt, sondern Zuhause. Meine Eltern haben mir erklärt „Du bist schwarz und das und das passiert wegen deiner Hautfarbe“. Auch sollte man uns zuhören. Leute unterbrechen mich die ganze Zeit und verneinen und verleugnen Dinge, wenn ich versuche über Rassismus zu reden. Es ist zum Beispiel nicht schlimm, wenn man Fehler macht. Zugeben zu können, dass man etwas Falsches zu jemandem gesagt hat und daraus zu lernen ist wichtig. Schlimm ist, wenn Leute sagen, es gibt keinen Rassismus oder „Nein ich bin nicht rassistisch, ich habe schwarze Freunde.“ Was ist denn daran so schlimm Fehler zu machen? Und man muss nachdenken und reflektieren. Ist es notwendig was ich jetzt sage? Ist es notwendig was ich frage? Ist es notwendig, dass ich weiß, woher die Person kommt? Muss ich die jetzt unbedingt angucken? Vielleicht fühlt sie sich unwohl. Ein Wort kann ein Trauma auslösen. Es gibt Sachen, die ich nie vergessen habe. Gesichter, die ich nie vergessen werde. Einfach nachdenken: Was könnte es verursachen was ich da gerade sage?

„Heute erwidere ich auf ein ‚Ja du bist hübsch, für eine Schwarze‘, ein ‚Ja du bist hübsch, für eine Weiße.'“

Sam

Okay, wie ist deine Wahrnehmung von der Polizei? Wie reagierst du, wenn du sie siehst?

Ich weiß das klingt radikal, aber ich habe Angst vor der Polizei. Ich versuche Augenkontakt zu vermeiden und so schnell wie möglich wegzugehen. Ich kann das nicht erklären. Wenn mich die Polizei anhält oder mich bei irgendwas erwischt ist mein Leben weg. Ein ganz einfaches Beispiel: Meine Freunde schlagen vor, komm lass uns heute Abend an den Rhein kiffen gehen. An sich klar, aber ich kann nicht, ich kann einfach nicht. Wenn ich das mache, habe ich Angst verhaftet zu werden. Kurz nach dem Tod von George Floyd, saß ich mit einer Freundin im Auto. Wir haben alles richtig gemacht, hatten kein Alkohol getrunken, gar nichts. Aber dann haben wir einen Polizeiwagen gesehen, der uns anhalten wollte und wir hatten kurz Panik. Sie hat mich gefragt, ob ich irgendetwas dabei hätte, ob ich meinen Sicherheitsgurt anhätte. Sie sagte, ich solle meine Tasche nach hinten legen, weil kein Objekt auf mir liegen soll. Es soll nichts geben, was mit einer Waffe verwechselt werden könnte. Ich hab meine Tasche und alles nach hinten gelegt und nur mein Handy vorne behalten. Es ist pink und somit gut sichtbar. Und ich hatte die Kamera an, falls irgendwas passieren sollte.

Die Polizei ist also nicht dein bester Freund. Bist du dann auch aktiv bei der Black Lives Matter Bewegung dabei?

Ja ich bin aktiv bei der Black Lives Matter Bewegung seit Juni 2020 dabei und organisiere selbst Black Lives Matter Proteste. Ich bin dabei, weil genug einfach genug ist. So heißt auch meine Organisation: Enough is Enough. Der Tod von George Floyd hat mir die Augen geöffnet. Ich habe mich mehr informiert als früher und habe viele Sachen bemerkt die ich als normal wahrgenommen und akzeptiert hatte.

Wird die Black Lives Matte Bewegung in deinen Augen etwas verändern oder hat sie es vielleicht schon?

Es gibt Veränderung. Ich glaube mit Aktivismus können wir erreichen, dass zum Beispiel ein Mädchen das schwarz ist, in 70 Jahren keine Angst haben muss in einen H&M reinzugehen, ein T-Shirt anzuprobieren und es nicht zu kaufen, sondern einfach normal rauszugehen. Ohne Probleme. Frühere Aktivisten wie Martin Luther King oder Malcolm X haben mitgewirkt daran, dass ich heute zur Schule gehen darf, dass ich im Bus vorne hinsetzen darf. Das was sich jetzt verändert hat, sind die Leute, die nun mutig genug sind laut darüber zu reden. Wir haben keinen Bock mehr leiser zu sein. Jetzt ist es mir egal, dass ich nicht mehr dem Stereotyp der Strong Black Woman erfülle. Ich bin voll emotional und es ist nichts Schlimmes dabei. Dann bin ich halt die Angry Black Woman. Na und? Heute erwidere ich auf ein „Ja du bist hübsch, für eine Schwarze“, ein „Ja du bist hübsch, für eine Weiße.“ Ich glaube auch, ich bin jetzt mutig genug zu sagen „Ey das was du grade sagst, was du grade machst, ist rassistisch.“ Auch wenn es häufig nicht ernst genommen wird, weil viele Leute noch immer sehr ignorant gegenüber Rassismus sind, ist es wichtig den Mund aufzumachen. 

„Wir müssen uns zusammenschließen, um Rassismus zu beenden.“

Sam

Wie würdest du dir den Weg zu weiteren Veränderungen vorstellen?

Man sollte bereits in der Schule anfangen und Kolonialgeschichte lehren. Zum Beispiel der Satz „Christopher Columbus hat Amerika entdeckt.“ Er hat es nicht entdeckt. Das gab es schon. Nur eben bewohnt von indigenen Völkern, die ihre eigenen Kulturen hatten. Man sollte wirklich alles von klein auf besprechen. Kindern kann man es kinderfreundlich beibringen. Lehrer müssen davon sprechen und die Geschichte des Rassismus lehren. Keiner meiner Lehrer hat mit mir über Rassismus geredet. Meine Lehrer wissen auch nicht, dass ich Demos mache. Die Polizei und Berufe, die mit der Öffentlichkeit zu tun haben, sollten den Hintergrund von Rassismus kennen. Kinder sind nicht rassistisch geboren. Sie lernen das von ihren Eltern, der Gesellschaft und aus Filmen.

Gibt es irgendwas, dass du noch unbedingt loswerden möchtest? 

An alle Minderheiten: Hört auf gegeneinander rassistisch zu sein. Wir müssen uns zusammenschließen, um Rassismus zu beenden. Sexismus, Rassismus, all diese Probleme sind nicht einzeln, sondern gemischt, intersektional. 

In ihrem Kurzfilm Mückenstiche erzählt sie über ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit Alltagsrassismus.

Von Katrin Steinhausen

Beitrag erstellt am: 25.05.2021 um 08:28 Uhr
Letzte Änderung am: 25.05.2021 um 08:28 Uhr

Portraitfoto junge Frau

… ist eine leicht verrückte Labertasche voller Energie. Wenn sie nicht gerade in ihrer geliebten Heimat Köln ist, reist sie als Weltentdeckerin umher und macht die Welt zu ihrem Zuhause. Sie tanzt leidenschaftlich gerne auf Latino-Rhythmen und fühlt sich in anderen Sprachen und Mentalitäten am wohlsten. Auch wird sie hinter der Kamera zum Paparazzo und denkt sich in ihrer Freizeit Geschichten aus, die sie auch gerne zu Papier bringt. Der Journalismus hat sie schon immer begeistert und bietet ihr die Möglichkeit zu hinterfragen, zu berichten und ihr wichtige Themen anzusprechen.