Schon zum zweiten Mal infolge findet der erste Mai im Schatten der pandemischen Krise statt, die vor gut einem Jahr ihren Anfang nahm und inzwischen unser aller Leben zu großen Teilen bestimmt. Im Gegensatz dazu stehen die Maikundgebungen in einer über 100 Jahre alten Tradition. Erstmals demonstrierte die arbeitenden Bevölkerung in Chicago im Jahr 1886 am jenen ersten Mai gegen die unmenschlichen Arbeitszuständen sowie für die Durchsetzung eines Acht-Stunden-Tages und damit einhergehend die Einforderung simpler Grundrechte. Diese standen in sozialistischer und anarchistischer Tradition und griffen das Erbe der kommunistischen Vordenker Marx und Engels auf, deren Ziel es kurz gesagt war, die Menschen von der Lohnarbeit und dem damit verbundenen Elend zu befreien und die Welt in den Sozialismus zu bewegen.
Im Deutschland des 20. Jahrhunderts waren die Gewerkschaften in erster Linie umkämpft – anfangs zwischen der SPD und KPD, welches 1929 im sogenannten Blutmai in einem traurigen Höhepunkt gipfelte. Später wurde die Gewerkschaftsarbeit durch die nationalsozialistische Diktatur zum Propagandamittel zweckentfremdet und jeglicher Widerstand musste aus dem Untergrund organisiert werden. Seit dem ersten Mai 1946 gibt es wieder Maikundgebungen zum Tag der Arbeiterbewegung und bringt seit jeher an vielen Orten der Welt Menschen auf die Straße. In erster Linie ist es ein Kampftag der Lohnabhängigen und seine kämpferische Tradition gilt es nicht zu verkennen. Ein Kampf zwischen steigenden Arbeitslosenquoten und Kurzarbeit, individuellen Hindernissen und gemeinsamen Erfahrungen, zwischen Existenznot und Forderungen nach mehr Rechten. Hierzu wurden Personen der Arbeitsgruppe Migration in der ver.di interviewt. Diese sind eine Gruppe gewerkschaftlich organisierter Lohnabhängige und sprechen über die Gewerkschaftsarbeit und ihre Herausforderungen in der aktuellen Zeit.
Wir finden es wichtig, dass wir uns als Arbeiter*innen organisieren. Wenn wir individuell gegen schlechte Arbeitsbedingungen, Diskriminierung oder Ähnliches vorgehen würden, wären wir machtlos. Unsere Chef*innen sind auch organisiert, meist viel besser als wir. Man kann sagen, damit Deutschland nicht nur das Land der Bosse ist, organisieren wir uns in den DGB (Anm. d. Red., Deutscher Gewerkschaftsbund) Gewerkschaften. Gemeinsam mit unseren Kolleg*innen können wir uns austauschen, bilden und für bessere Lebensbedingungen kämpfen.
Die ver.di führt Arbeitskämpfe primär in den Betrieben. Das fängt bei der Prüfung von Lohnabrechnungen an und zieht sich bis zum Streik. Zusätzlich führen wir als Migrant*innen in unserer Arbeitsgruppe einen wichtigen Kampf für gleiche Rechte für uns, unsere Familien und Kolleg*innen. Für gleiche Arbeitsstandards für alle. Auch das bedeutet für uns Arbeitskampf.
Alle möglichen Berufsgruppen, von Beamten- und Angestelltenberufe in öffentlichen Verwaltungen, über Arbeitende im sozialen Diensten bis zu Berater*innen und Studierenden.
Die Analyse, dass viele noch direkter von Existenzängsten betroffen sind, weil die Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit stark angestiegen sind, teilen wir auf jeden Fall. Allerdings glauben wir nicht an eine automatische Politisierung aufgrund von Elend. Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit können viele Folgen haben, wie zum Beispiel Vereinsamung, Individualisierung, Depressionen, Drogenkonsum und Armut. Für einen Politisierungsprozess bedarf es immer glaubwürdigen Alternativen und konkreten Handlungsmöglichkeiten. Der erste Schritt ist es oft erst einmal einzusehen, dass es Auswege aus dieser Situation gibt. Im zweiten Schritt gilt es zu verstehen, dass wir alleine, beispielsweise über Konsumverhalten oder Sprachgebrauch nicht viel erreichen könnten. Erst in der Gemeinschaft, mit Zusammenhalt und organisierter Arbeit lässt sich politisch für Beschäftigte in Deutschland etwas bewirken. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, glaubwürdige Alternativen sowie konkrete Handlungsmöglichkeiten zu bieten.
Die Mitgliederentwicklung in allen DGB Gewerkschaften –- bis auf der Polizeigewerkschaft GdP – sind fallend. Das hat viele Gründe: Tarifflucht der Arbeitgeber, Privatisierung, Misstrauen gegenüber der Gewerkschaft, Aufweichung von Arbeitsverhältnissen oder dem Abbau traditionsreicher Branchen im Zuge des Zuwachs der Arbeitsproduktivität. Insgesamt waren da einige Angriffe auf uns zugunsten eines maximalen Profits. Auch der zunehmende Individualismus geht nicht spurlos an uns vorbei. Wir alle sind Kinder unserer Zeit und müssen uns erstmals aus Isolation oder Misstrauen gegen unseren Nächsten befreien. Wir Migrant*innen haben bewusst diese Arbeitsgruppe innerhalb der ver.di gegründet, um Migrant*innen abzuholen und die Gewerkschaft ver.di zu stärken. Wir wünschen uns eine kämpferischere Durchsetzungskraft von ihr und sehen die Gewerkschaft als eine wichtige Institution, in der wir uns organisieren können, um mit anderen Arbeiter*innen und Studierenden für unsere Rechte zu kämpfen.
In Deutschland sind die Vermögen so hoch wie noch nie. Es gab 2020 fette Dividenden am DAX30 (Ein Aktienindex, in dem die Aktien der größten und liquidesten deutschen Großkonzerne wie Daimler oder Adidas angelegt sind, Anm. d. Red.), dieses Jahr soll ein weiterer Zahltag am deutschen Aktienmarkt folgen. Gleichzeitig sind die Armut und das Prekariat enorm gestiegen, denn irgendwer muss für die Profite bezahlen. Zu den Vermögenden gehören Migrant*innen in Deutschland nur als Vorzeige-Ausnahme; zu den Prekarisierten hingegen überdurchschnittlich viele. Darin zeichnet sich nicht nur der Zustand von Migrant*innen, sondern insgesamt eine Zuspitzung des Verteilungskampfes zwischen Arbeitgeber*innen einerseits und Lohnabhängigen sowie arbeitslosen Menschen andererseits: Kurzarbeit, Abweichungstarifverträge, Nullrunden bei Tarifkämpfen, Standortschließungen, Ausweitungen des Arbeitstages in Pflegeberufen und vieles mehr. Das betrifft Migrant*innen zwar härter, doch im Endeffekt sind alle Lohnabhängigen in Deutschland davon negativ betroffen. Dass Migrant*innen schlechter dastehen, weil ihnen ihre Geschichte per bürgerlichem Gesetz in Deutschland Nachteile bereitet, heißt für uns nicht, dass wir nun gegen unsere deutschen Kolleg*innen vorgehen müssten. Ganz im Gegenteil: Wir sind in der Gewerkschaft organisiert, um gemeinsam mit allen unseren Kolleg*innen aktiv zu sein.
Dividenden sind Gewinne, die an Aktionäre ausgezahlt werden, um Handel am Aktienmarkt zu treiben. Die Problematik ist, dass sie genauso als monetäre Absicherung für weitere kommende Krisenzeiten gelten könnten, jedoch von vielen Konzernchefs nicht als solche genutzt werden, sondern einfach an Aktionär*innen ausgezahlt werden. Hinzu kommt, dass die Dividenden im vergangenen Jahr nur möglich waren, nachdem viele Konzerne staatliche Hilfen teils in Milliardenhöhe angefragt haben.
Im Zuge einer Aktionswoche haben wir als Arbeitsgruppe Migration mehrere Transparente besprüht und an ausgewählten Orten Fotos gemacht. Wir haben uns dazu entschieden, Rassismus in der Arbeitswelt zu thematisieren, was für uns auch die Wohn-, Schul- und Rentensituation mit einschließt. Zu den verschiedenen Unterthemen diskutierten wir unsere Forderungen:
Wir fordern das Ende von Privatisierungen und Leiharbeit und faire Renten sowie das Anrechnen von Kindern und der vollen Arbeitszeit migrantischer Rentner*innen. Eine weitere Forderung ist das Schließen von Abschreckunterkünften, wie beispielsweise der Geflüchtetenunterkunft in der Herkulesstraße. Zuletzt fordern wir ein Ende der Diskriminierung in den Schulen, das fängt bei einer Sensibilisierung der Lehrkräfte an und geht bis zum Bekämpfen des gesellschaftlichen sowie institutionellen Rassismus insgesamt.
Vielen Dank an die Arbeitsgruppe Migration in ver.di für das Interview und ihre Perspektiven zum 1. Mai.
Von Dominik Ohletz
Beitrag erstellt am: 04.05.2021 um 09:06 Uhr
Letzte Änderung am: 04.05.2021 um 09:06 Uhr
Über Dominik Ohletz
… studiert Romanistik – Spanisch und Afrikanistik an der Universität zu Köln und hat ein reges Interesse an sozialwissenschaftlichen und kulturwissenschaftlichen Texten und Autor*innen. Er selbst beschäftigt sich gerne mit aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen.