Habt ihr euch schon einmal Gesundheits-Apps installiert, mit denen ihr so überhaupt nichts anfangen konntet? Die beim Einschlafen helfen oder euch im Alltag unterstützen sollen? Als ich mich an der Nutzung einer Schlaf-App versucht habe, wurde ich konsequent nach dem Upgrade auf eine Premium-Mitgliedschaft und zur Eingabe von persönlichen Daten gefragt, um deren Sicherheit ich mir ehrlich gesagt etwas unsicher war. Als ich dann mit Bekannten über Zweifel bei der Nutzung von Gesundheits-Apps gesprochen habe, fielen öfter die Namen von Zyklus-Apps. Bei diesem Thema treten häufig Widersprüche auf, die mit der Nutzung und mit der Eingabe sensibler Daten verbunden sind. Um diese Widersprüche zu verstehen, hilft es, sie in den Kontext unserer umfassend verwirtschaftlichten Lebensrealität einzuordnen.
Deswegen habe ich mit Martin vom „Chaos Computer Club“ und Frau Stöcker, Frauenärztin bei „Pro Familia Köln“ gesprochen, die mir freundlicherweise beide wertvolle Informationen zur Verfügung gestellt haben. Aber zuerst einmal naiv gefragt: Was sind Zyklus-Tracking-Apps überhaupt? Nach Frau Stöcker geht es im Grunde darum, dass anhand eingegebener Informationen ein Kalender errechnet wird, an dem der Zeitpunkt und die Dauer der Periode abgelesen werden können.
Diese Informationen werden allerdings auch zur Gewinnmaximierung benutzt, wie ich im nächsten Abschnitt erklären möchte.
Um diesem vielschichtigen Thema einen Einstieg zu verleihen, möchte ich zuerst auf das Muster Datenverarbeitung eingehen. Es spiegelt klassisch die Verwertungslogik des kapitalistischen Wirtschaftssystems wider, dessen Strukturen unsere Lebensweise zu großen Teilen determinieren. Spoiler: Es geht um Daten, Daten und noch mehr Daten – und damit letztendlich um Geld.“
Im Grunde, so Martin, wird der Großteil des Mehrwerts durch Ansammlung, Verarbeitung und durch den Weiterverkauf der eingegebenen Daten erzielt und nicht wie häufig angenommen durch die Premium Mitgliedschaft.
Das funktioniert wie folgt: Durch Formulierungen im „Kleingedruckten“ der Datenschutzbestimmungen werden die Nutzer*innen dazu aufgefordert, der Weitergabe bestimmter Daten zuzustimmen. Dann werden durch Programmbausteine, die in vielen Apps genutzt werden, die Daten von der einen in die andere App übertragen. Ein weniger abstraktes Beispiel: Ilja installiert sich eine Zyklus-Tracking-App und stimmt den Datenschutzbestimmungen ungelesen zu. Zugleich hat die Person noch die Facebook-App auf dem Handy installiert und ist in beiden Programmen mit derselben Mailadresse eingeloggt. Dann greift der oben genannte Baustein und schiebt die Daten über die zuvor in der Gesundheits-App eingegebenen „Schwangerschaftsabsichten“ zu Facebook herüber. So wird mit personalisierter Werbung durch Dritte ein Mehrwert für die Entwickler*innen der Zyklus-Tracking-App generiert.
Dies ist ein sehr vereinfachtes Beispiel, aber da tatsächlich inzwischen die meisten Gesundheits-Apps über die IP-Adresse hinaus auch eine Mailadresse abfragen, ist es relativ leicht, die in der einen App eingegebenen Informationen auf ein Profil in der anderen App zu beziehen und zum Beispiel personenbezogen Produkte zum Thema Schwangerschaftsvorhaben oder der Periode zu bewerben. Hierbei werden, kurz gesagt, die Nutzer*innen der App zur Ware gemacht und dazu aufgefordert, stetig Daten einzugeben.
Ein weiterer Punkt, der in beiden oben genannten Themenbereichen auftaucht, ist die TÜV-Prüfung. Denn die Beantragung eines TÜV-Siegels kann an diversen Niederlassungen geschehen und für die Kund*innen ist letzten Endes nicht wirklich einsehbar, was genau geprüft wurde. So kann zum Beispiel nur ein Teil des Programms geprüft werden, der ohnehin darauf ausgelegt ist, geprüft zu werden. Dies bedeutet, dass die Prüfung vielmehr ein Nachweis für einen Teil der App ist, aber keinen umfassenden Datenschutz garantieren kann. Auch hierbei ist die Begründung simpel: Es geht darum, Umsatz zu generieren, indem man auf der einen Seite Geld für die Prüfung kassiert und auf der anderen Seite die App als sicher – „sogar mit TÜV-Siegel“ – verkauft.
Was sich im gesundheitlichen Aspekt als Erstes herausstellt, ist ein widersprüchliches Verhältnis, welches die Verschiedenartigkeit der nutzbaren Zyklus-Tracking-Apps auf der einen Seite gegenüber den Informationslücken ihrer Nutzer*innen auf der Anderen zeigt. Dies hat häufig zur Folge, dass die Intentionen, mit denen die Apps genutzt werden, ganz unterschiedlich sind und gar nicht zu den Nutzungsmöglichkeiten der jeweiligen Apps passen.
Dies kann zum Beispiel zur Folge haben, dass jüngere Frauen diese Apps als Verhütungsmittel benutzen oder mit dem integrierten Menstruationskalender ihrem Kinderwunsch nachgehen – ganz zu schweigen vom steigenden Lifestyle der Selbstoptimierung, dem vor allem jüngere Menschen zu unterliegen drohen.“
Nun nochmal zum Kalender: Dieser basiert meistens auf einer Wahrscheinlichkeitsrechnung, die einem 28-Tage-Zyklus zugrunde liegt. Da 28 Tage aber nicht immer zutreffen und da sich die Periode – und damit auch der Eisprung – durch äußere Einflüsse wie zum Beispiel Stress und stark veränderte Ernährungsgewohnheiten nach hinten oder vorne verlagert, kann der Zyklus schnell von den standardisierten Berechnungen der App abweichen. Hierbei werden also natürliche Prozesse stark rationalisiert und sind im Ergebnis nicht sicher. Zwar gibt es bei vielen Apps Warnungen, die explizit darauf hinweisen, dass ihre Nutzung kein Garant für eine erfolgreiche Verhütung ist – dennoch wirkt es, als suggerierten sie durch ihre einfache Bedienung das Gegenteil. Hinzu kommt, dass den Nutzer*innen in den meisten Apps nicht veranschaulicht wird, mit welcher fachlichen Kompetenz die App programmiert wurde.
Zwar kann man manchen Apps anrechnen, dass sie ihren Kalender nicht nur auf Basis einer Wahrscheinlichkeitsrechnung erstellen, sondern auch Daten wie die Basaltemperatur, hormonelle Zusammenhänge, Schlafgewohnheiten und andere Faktoren einbeziehen. Dennoch kann die App selbst bei erhöhter Genauigkeit nicht garantieren, dass die abgebildeten körperlichen Prozesse auch der Realität entsprechen. Hierbei bleibt also die Kluft zwischen der Theorie und der erfolgreichen Umsetzung in die Praxis bestehen, die vor Allem bei Produkten für Frauen eine Problematik darstellt.
Zu guter Letzt bleibt die Frage offen, was wirklich und im individuellen Fall mit den in der Zyklus-App eingegebenen Daten geschieht. Ein benannter Lösungsansatz wäre hier beispielsweise eine unabhängige Prüfungsmöglichkeit einzurichten, die bei der Prüfung einem festgelegten Ablauf folgt, bei dem wirklich alle derzeit bekannten Zugriffsmöglichkeiten geprüft werden. Doch wer kann garantieren, dass auch diese Prüfstelle nicht wie die Apps und deren Nutzer*innen den Gesetzmäßigkeiten der Gewinnmaximierung und des Wettkampfes unterworfen wird?
Von Dominik Ohletz
Beitrag erstellt am: 03.05.2021 um 09:00 Uhr
Letzte Änderung am: 03.05.2021 um 09:00 Uhr
Über Dominik Ohletz
… studiert Romanistik – Spanisch und Afrikanistik an der Universität zu Köln und hat ein reges Interesse an sozialwissenschaftlichen und kulturwissenschaftlichen Texten und Autor*innen. Er selbst beschäftigt sich gerne mit aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen.