Dabei sein ist alles?

gezeichnete Köpfe von Menschen in verschiedenen Farben
Antirassistisch zu sein, erfordert Selbstreflexion und Demut, gerade als Weiße*r. Foto von Gerd Altmann / Pixabay-LicenseFoto: / .

Über weiße Personen im Antirassismus.

Antirassismus und Allyship: Zwei Dinge, die in einer weiß dominierten Gesellschaft eng miteinander verwoben sind. Allyship meint hier den bedingungs- und selbstlosen aktiven Einsatz von weißen Personen im antirassistischen Kampf und die aufrichtige Solidarisierung mit Personen, die Rassismus erfahren. Doch wo hört ehrliche weiße Solidarisierung auf? Und wo fängt weiße Selbstinszenierung an? Diese Frage, die wichtiger und essenzieller für den antirassistischen Kampf nicht sein könnte, stellen wir uns hier. Und wo könnte mensch sie besser beantworten als mitten in der Realität?

Über das Einnehmen migrantischer Räume

Am 19. Februar 2021 jährte sich der rassistische Terroranschlag in Hanau zum ersten Mal. Auch in Köln wurden zwei Kundgebungen von überwiegend migrantischen und Schwarzen antifaschistischen Bündnissen organisiert. Hanau, als wahrgewordene Angst, Befürchtung, waberte seit einem Jahr über meinem Kopf. Über den Köpfen vieler von Rassismus betroffenen Menschen.

Kundgebungen sind für mich Räume, in denen Gedanken klar und messerscharf ausgesprochen werden. Räume, die dafür bestimmt sind, gemeinsam emotional zu werden. Mit diesem Mindset bin ich, begleitet von einer guten Freundin, zur Kundgebung gegangen. Wir stellten uns mittig in die Menge, um nah genug an den Lautsprecherboxen zu sein, damit wir gut zuhören konnten. Neben uns bildete sich eine kleine Traube von weißen Menschen mittleren Alters. Sie hatten ihre Fahrräder neben sich abgestellt, an welchen teilweise Plakate befestigt waren, die die Gesichter der in Hanau ermordeten Menschen zeigten. Sie unterhielten sich lautstark. Ich wollte nicht hinhören, weil sie dabei unbeschwert lachten.

Nach einer kurzen eröffnenden Ansprache der Organisator*innen, wurden Sprechgesänge und gängige Demoslogans angestimmt. Zwar standen wir genau neben den erwähnten weißen Menschen mittleren Alters, dennoch glaube ich, dass sie am lautesten mitgerufen haben. Es war mehr ein „Seele-aus-dem-Leib-Schreien“, als rufen. Ich schnappte auf, dass eine Person aus der besagten Gruppe, einer anderen zurief, dass dieser und jener Spruch „von ihnen“ sei und von den migrantisch-antifaschistischen Bündnissen übernommen wurde.

Ich denke, den meisten Lesenden wird der Demospruch „What do we want?“ bekannt sein, der die Demonstrierenden dazu auffordern soll, mit „Justice“ zu antworten. Jedenfalls im Kontext von Demonstrationen und Kundgebungen, die sich mit gesellschaftlicher Ungleichheit beziehungsweise Rassismus beschäftigen. Die Personen mit den Plakaten an den Fahrrädern antworteten jedoch auf „What do we want?“ mit „Climate Justice!“. Danach wurde beherzt gelacht. Ich möchte mir nicht anmaßen, darüber zu urteilen, ob es ihnen aus Versehen herausgerutscht ist, weil sie bei der Fridays For Future Bewegung so wahnsinnig engagiert sind oder ob das „lustig“ sein sollte.

Von lauter Performanz zu leiser Schuld

Der Redebeitrag einer Rom*nja-Aktivistin auf der Kundgebung ist mir besonders im Gedächtnis geblieben. Bevor sie anfing zu sprechen, richtete sie ihr Wort klar und ausdrücklich an ihre, wie sie sagte, „migrantischen Geschwister, nicht an Personen mit Nazi-Hintergrund“. In ihrer gesamten Rede fiel mehrfach der Begriff „Nazi-Hintergrund“, genau wie „Dominanzgesellschaft“. Sie versuchte nicht, weißen Menschen mit ihren Worten das Gefühl zu geben, ein Teil ihres verbal erschaffenen Raums werden zu können, geschweige denn zu dürfen. Es wurde leise neben mir. Das Klatschen meiner weißen Nachbar*innen mit Fahrrädern war nun mehr eine Geste der Höflichkeit. Ihre anfängliche Euphorie war einer unbehaglichen Ruhe gewichen. Ich glaube, es klopfte die weiße Schuld an. Diese geht bekanntlich Hand in Hand mit weißer Zerbrechlichkeit.

Weiße Allys sind unabdingbar für den antirassistischen Kampf in einer weiß dominierten Gesellschaft. Wenn aber Personen mit Rassismuserfahrung die Tränen in den Augen stehen und weiße Leute, die sich neben ihnen befinden, witzige Anekdoten erzählen und ihre mit Hanau-Plakaten beklebten Fahrräder präsentieren, dann ist das kein Allyship. Performatives Verhalten, wie mensch jenes betiteln könnte, ist nicht nur leer und unehrlich, sondern verletzend. Es ist so, als würden weiße Menschen sich selbst wieder den Ball zuspielen, um sich gegenseitig in ihrer Unschuld und ach so großen Anteilnahme zu versichern. Von Antirassismus bleibt nur eine leere Hülle, aus welcher der Schmerz und das Leid von BIPoC (Black, Indigenous, People of Color) schamlos herausgeschabt wurden.

Wie funktioniert nun aufrichtige weiße Solidarität im antirassistischen Kampf? Es gibt weder eine klare Antwort darauf noch die eine richtige Anleitung zum*zur guten Ally.  Eines ist jedoch sicher: Der Weg dahin ist für weiße Menschen unangenehm. Das Bewusstwerden und Hinterfragen der eigenen Position und Privilegien, die Fähigkeit der Kritikannahme und die damit einhergehende Verbesserungsbereitschaft, sowie die eigenständige Beschäftigung mit den Realitäten von Rassismus betroffener Menschen sind großer Teil dessen. Eines darf dabei jedoch nicht vergessen werden: Rassismus ist Alltag für BIPoC. Von Rassismus betroffene Menschen sind genauso wenig als Bildungsbeauftragte zu verstehen, wie ihre Rassismuserfahrungen als Ware im Handlungsraum weißer Wokeness.

weiß beschreibt eine sozio-politisch privilegierte Position in unserer Gesellschaftsordnung.
migrantisch ist ausschließlich als Selbstbezeichnung von Menschen zu verstehen, die Rassismus erfahren und aus der weißen Dominanzgesellschaft exkludiert sind.
Schwarz ist als sozio-politische und selbstermächtigende Bezeichnung von Schwarzen Menschen zu verstehen.
Rom*nja ist eine kollektive Selbstbezeichnung, hinter welcher sich eine Vielzahl an kulturell sowie sprachlich verschiedenen Romani-Gruppen verbirgt, weswegen die Nennung des jeweiligen Gruppennamens von betroffener Seite, häufig erwünscht ist. Sie bilden die größte Minderheit Europas.
weiße Schuld bezeichnet Schuldgefühle von Menschen, die nicht von Rassismus betroffen sind/weiß sind und die unter anderem allein durch diese Gegebenheit, ein Gefühl des schlechten Gewissens erleben.
weiße Zerbrechlichkeit meint die Überempfindlichkeit, das Gekränktsein oder auch die prinzipielle Abwehrhaltung von weißen Personen im Zusammenhang mit zum Beispiel ihnen entgegengebrachten Rassismusvorwürfen oder der Bezeichnung ihrer als „weiß“/ „weiße Person“.
Wokeness beschreibt das Bewusstsein für soziale Ungleichheit, wird aber in der Netzkultur häufig im ironischen Sinne eines bloß performativ ausgestalteten Lebensstils weißer Menschen verwendet.

Von Daria Zomorodkia

Beitrag erstellt am: 19.03.2021 um 19:31 Uhr
Letzte Änderung am: 06.04.2021 um 21:29 Uhr