Ein anzüglicher Kommentar da, ein starrender Blick dort. Beides kann eine Mischung aus Rassismus und Sexismus sein. Doch was passiert in dem Individuum selbst, dass tagtäglich solche Schikanen über sich ergehen lassen muss? Rassismus ist ein Thema, das tief in den Strukturen der Gesellschaft verankert ist. Erst im Mai dieses Jahres wurde durch den Tod von George Floyd die Bewegung „Black lives matter“ wieder lauter und hat den Kampf gegen Rassismus erneut mehr in den Fokus gerückt. Seitdem ist eine Welle an Protesten, Demonstrationen, Empörung und Fassungslosigkeit über die Kontinente geschwappt, die vor allem in den USA weiterhin andauern. Denise Bergold-Caldwell setzt genau da an und setzt sich mit ebendiesem Alltagsrassismus auf einer wissenschaftlich-analytischen Ebene auseinander. Dabei konzentriert sie sich in ihrem Buch ausschließlich auf die Perspektive der Women* of Color.
Das Buch Schwarze Weiblich*keiten – Intersektionale Perspektiven auf Bildungs- und Subjektivierungsprozesse, verfasst von Denise Bergold-Caldwell, veröffentlicht vom Transcript Verlag im Juli 2020, beschäftigt sich mit dem Alltagsrassismus und den Erfahrungen, denen sich Schwarze Frauen* sowie Women* of Color täglich ausgesetzt sehen. Mit ihrem Schwerpunkt auf Gender und Race, versucht sie mithilfe der einzelnen Betroffenen, ihren Erfahrungen und ihrer Entwicklung, zu analysieren und nachzuvollziehen, wie sich die Bildung des Subjekts und seines Selbstbildes entwickelt und inwiefern beides von Rassismus, und damit kombiniertem Sexismus, beeinflusst wird. Hierbei bezieht sie ebenfalls den Ursprung von Rassismus, seine Manifestation und seine noch heute präsenten Auswirkungen mit ein, um der Leser*in zu verdeutlichen, wie allgegenwärtig und strukturell Rassismus ist. Sie rollt den historischen Hintergrund von Rassismus auf und zeigt auf, wie dieser sich bis in die Strukturen unserer heutigen Welt verfolgen lässt. Dafür interviewt sie sieben Schwarze Frauen* und Women* of Color und stellt ihnen Fragen, die darauf abzielen, sich ein Bild zu dem Hintergrund, dem Aufwachsen und den rassistischen Erlebnissen der einzelnen Frauen* zu machen.
Zu Beginn reißt Denise Bergold-Caldwell kurz an, wo und wie sich Rassismus im Alltag von Schwarzen Frauen* und Women* of Color äußert. Basierend darauf, begründet sie ihre analytische Herangehensweise an Rassismus und beschränkt sich explizit auf Erlebnisse von Women* of Color und Schwarzen Frauen*. Im weiteren Verlauf geht sie stark auf Bildungs- und Subjektivierungsprozesse von zum Beispiel Michel Focault, Judith Butler oder Jenny Lüders ein und vergleicht hier jeweils mehrere für ihren Forschungsansatz relevante Theorien zu Bildungs- sowie Subjektivierungsprozessen. Die Darstellung der verschiedenen Theorien ist durchaus Erkenntnis bringend für die Leser*innen in der Hinsicht, dass ihnen erklärt wird, wie sie die jeweiligen Prozesse als wichtig für ihren Forschungsansatz sieht. So bezieht sich Bergold-Caldwell mit Bildung hier nicht auf Schulbildung, sondern vielmehr auf Transformation. Damit meint sie, inwiefern zum Beispiel Situationen, gesellschaftliche Strukturen, Normen oder andere Einflüsse das Subjekt bilden, formen oder auch transformieren, also Einfluss auf seine Entwicklung und seine Person, sowie sein Selbstbild, haben. Die Vorstellung der verschiedenen theoretischen Ansätze wird hier allerdings ein wenig lang und theorielastig, weswegen sich der Zusammenhang mit dem eigentlichen Thema erst später erschließt. Im Anschluss daran wird ein Exkurs in die Geschichte unternommen, in dem sie aufzeigt, dass die eigentliche Wurzel des Rassismus im Kolonialismus liegt. Sie beschreibt, inwiefern sich Rassismus wie ein Geschwür in unserer Gesellschaft verankert hat und unsere bis heute bestehenden Strukturen infiltriert. Dieser Teil ist intensiv, prägnant, augenöffnend und sehr faktisch dargelegt. Hier wäre es sehr interessant gewesen, ein wenig mehr zu den historischen Hintergründen von Rassismus und über dessen Entstehung und Verbreitung zu erfahren, da die strukturellen Zusammenhänge innerhalb der Gesellschaft nichts für Einsteiger sind. Die anschließende Analyse von Race, Gender, Bildungs- und Subjektivierungsprozessen und ihr Zusammenwirken, wird im direkten Zugriff auf ausgewählte Interviewpassagen vorgenommen. Es wird in jedem einzelnen Interview auf die Kategorien eingegangen, analysiert und diskutiert. Zum Ende hin analysiert Denise Bergold-Caldwell noch einmal jedes Interview auf das Zusammenspiel aller Faktoren. Sie diskutiert logisch, zusammenhängend und vor dem Hintergrund allem zuvor Diskutierten ihren Forschungsansatz und stellt die Zusammenhänge zwischen Race, Gender, Bildungs- und Subjektivierungsprozessen klar heraus. Zum Beispiel wie stark Blicke oder Kommentare das Selbstbild und somit Bildungs- und Subjektivierungsprozesse beeinflussen. Es kann durchaus zur Verweigerung der eigenen Kultur oder zum Unwohlsein mit dem eigenen Körper führen. Sie diskutiert hier auch, wie sich Betroffene gegen ebensolche Mechanismen wehren können, und lässt die Leser*innen keineswegs allein. Durch die Erlebnisse der Betroffenen und Bergold-Caldwells Rückbezug auf die vorher angesprochenen Theorien, kann zum Schluss der etwas ausführliche Anfang besser nachvollzogen und die Theorien auf etwas Konkretes – nämlich die Erlebnisse und daraus resultierenden Entwicklungen der einzelnen Interviewten – bezogen werden.
Das Buch ist weiterzuempfehlen, da es ein nach wie vor leider viel zu aktuelles Thema analysiert und von einer mir bisher unbekannten Perspektive aufrollt. Besonders interessant sollte es für Wissenschaftler*innen, Studierende und diejenigen sein, die sich mit Rassismus als strukturellem Problem enger befassen möchten, denn es ist im wissenschaftlichen Stil geschrieben und somit für den Laien etwas schwieriger verständlich. Weiter ist Denise Bergold-Caldwell ebenfalls eine Woman* of Color und vertritt somit eine leider in den Medien viel zu wenig vertretene Form von Perspektive, nämlich statt einer ausschließlich Weißen, die einer Woman* of Color. Die Darstellung, wann und wie Rassismus den Einstieg in unsere Gesellschaft fand und sich manifestiert hat, ist interessant und gekonnt beschrieben und unterstreicht die Wichtigkeit des Themas. Weiter geben die Interviews und deren Analyse einen vielfältigen Einblick in die Erfahrungen Schwarzer Frauen* und Women* of Color – sowohl für Weiße, um ein besseres Verständnis dafür zu entwickeln, was People of Color tagtäglich ertragen müssen und erleben, als auch für People of Color, entweder, um zu wissen, dass sie nicht alleine sind, oder auch um sich in den Erlebnissen wiederzufinden. Mit dem Blick auf Bildungs- und Subjektivierungsprozesse-, vor allem der Subjektivierung, wird treffend und konkret herausgestellt, wie People of Color versuchen können, sich nicht vom „weißen Blick“ beeinflussen zu lassen. Genauso können sich Weiße eine Vorstellung davon machen, welche Verhaltensweisen, Worte, Kommentare oder sonstige verbale oder physische Aktionen bei Betroffenen rassistisch rüberkommen und es häufig – wenn auch eventuell unbewusst – de facto sind. Das Buch Schwarze Weiblich*keiten – Intersektionale Perspektiven auf Bildungs- und Subjektivierungsprozesse von Denise Bergold-Caldwell ist ein guter Ansatz in die richtige Richtung und zeigt schlicht auf, in welchen Dimensionen Rassismus in unserer Gesellschaft und unseren Strukturen eingeflochten ist und inwieweit er Schwarze Frauen* und Women* of Color von ihrer Geburt an beeinflusst und somit offensichtlich einen enorm großen Einfluss auf ihre Entwicklung sowie ihr Selbstbild hat.
Falls euer Interesse geweckt ist, kommt ihr hier https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-5196-6/schwarze-weiblich-keiten/ direkt zum Buch Schwarze Weiblich*keiten – Intersektionale Perspektiven auf Bildungs- und Subjektivierungsprozesse von Denise Bergold-Caldwell.
Von Katrin Steinhausen
Beitrag erstellt am: 02.12.2020 um 08:49 Uhr
Letzte Änderung am: 12.02.2021 um 13:22 Uhr
Über Katrin Steinhausen
… ist eine leicht verrückte Labertasche voller Energie. Wenn sie nicht gerade in ihrer geliebten Heimat Köln ist, reist sie als Weltentdeckerin umher und macht die Welt zu ihrem Zuhause. Sie tanzt leidenschaftlich gerne auf Latino-Rhythmen und fühlt sich in anderen Sprachen und Mentalitäten am wohlsten. Auch wird sie hinter der Kamera zum Paparazzo und denkt sich in ihrer Freizeit Geschichten aus, die sie auch gerne zu Papier bringt. Der Journalismus hat sie schon immer begeistert und bietet ihr die Möglichkeit zu hinterfragen, zu berichten und ihr wichtige Themen anzusprechen.