Nebenwirkungen hin oder her – Verhüten ist nicht mehr schwer. Doch ist es das wert? Mit dieser Frage beschäftigt sich Isabel Morelli in ihrem Buch Kleine Pille, große Folgen: Was dir keiner über die Antibabypille erzählt und geht dabei den Themen rund um die Antibabypille auf die Spur.
Das Sachbuch ist 2020 im Komplett-Media-Verlag erschienen. Auch Isabel Morelli selbst wurde seit ihrer frühen Jugend die Pille verschrieben, die sie jahrelang einnahm. Wie viele andere hat sie die Nebenwirkungen, wie Kopfschmerzen und Depressionen, zwar am eigenen Körper erfahren, jedoch keinen Zusammenhang mit der Pilleneinnahme gesehen. Ein Plus für die Pharmaindustrie! Doch wieso ist die Pille der Hit, wenn es um Verhütung geht? Von der Geschichte der Pille bis hin zu Risiken und Nebenwirkungen, dem Absetzen dieser, Aufklärung durch Ärzt*innen und Sexualunterricht in der Schule sowie alternative hormonfreie Verhütungsmethoden – Isabel Morelli gibt einen Allround-Einblick.
Bereits zu Beginn des Buches erfahren Leser*innen, dass das Kontrazeptivum seit seiner Einführung 1951 als wahres Wundermittel gegen ungewollte Schwangerschaften gilt. Die Autorin beschreibt in einer chronologischen Abfolge, wie der Kampf für ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ein Tabuthema gewesen ist und wie Margaret Sanger mit dem Biologen Gregory Pincus mit der Entwicklung der Pille einen Meilenstein für die Selbstbestimmung der Frau gelegt hat. So werden die Leser*innen auf eine kleine Zeitreise mitgenommen und erfahren den eigentlich sinnvollen, wichtigen Ursprung in der Frauenbewegung. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Direkt an das Kapitel über die Geschichte der Antibabypille angeschlossen werden mehrere Probleme aufgeführt. Indem auf die eigene Vergangenheit der Leser*innen eingegangen wird, wird gleichzeitig sexualpädagogischer Unterricht kritisiert und stattdessen ein Gegenvorschlag gemacht: Zielgruppen sollten allen Geschlechtern angehörige Schüler*innen sein mit einem Lehrziel, das über die Vermeidung einer ungewollten Schwangerschaft hinausgeht. Inhaltlich vermittelt der Unterricht das Wissen über Fruchtbarkeit an alle Schüler*innen und die Erkenntnis darüber, wie dem eigenen Körper mehr Achtsamkeit und Bewusstsein geschenkt werden kann. Der Gegenvorschlag bringt die Leser*innen dazu, ihren damaligen Unterricht oder den der eigenen Kinder zu überdenken und offen für einen neuen Unterrichtsinhalt zu sein. Körperkompetenzprävention ist das A und O. Hier lernen Kinder den bewussten Umgang mit der eigenen Körpersprache, die die zwischenmenschliche Interaktion fördern kann. Isabel Morelli schafft durch die eingangs längere geschichtliche Erzählung eine solide Einführung, die in die nähere Vergangenheit des eigenen Sexualunterrichts übergeht, um anschließend die Pille in der Gegenwart in kurzen und knappen Worten unverschönt zu beschreiben. Regelmäßige Blutung, aknefreie Babyhaut oder einen „weiblicheren“ Körper zu erlangen – im Vergleich zu dem, was die Pille bietet, sind die Nebenwirkungen immens.
Die knappe Formulierung zum Thema Nebenwirkungen konstruiert einen noch stärkeren Kontrast zwischen den Vor- und Nachteilen der Antibabypille. Haben die Leser*innen nicht jetzt schon das Gefühl, keine Ahnung zu haben, wird der Zyklus noch einmal beschrieben. Diese Information wird von Isabel Morelli genutzt, um sofort den größten aller Mythen aufzudecken: Das Kontrazeptivum ist lediglich ein Hormonpräparat, kann also niemals körpereigenes Progesteron oder Östrogen ersetzen. Dieser Fakt wird durch weiterführende Informationen, wie etwa der, dass die Pille nur aus synthetischen Hormonersatzpräparaten besteht, ummantelt. Die Leser*innen fühlen sich somit an keiner Stelle des Buches in ihrem Unwissen allein gelassen, im Gegenteil: Isabel Morelli betont nicht nur zu Beginn bezügliches des Themas der Aufklärung an Schulen, dass auch die Gynäkolog*innen eine große Rolle spielen. Jedoch kann die mangelnde Aufklärung nicht der ganzen Ärzt*innennation vorgeworfen werden. Dieses Argument findet Unterstützung durch eine Art Interview mit einem Arzt, der im Buch allerdings anonym bleiben möchte: Im Medizinstudium werden bloß zwei Semester Gynäkologie gelehrt, wobei ernsthafte Erkrankungen und Schwangerschaft Kernthemen sind. Das Grundlegende, der weibliche Zyklus, oder typische Krankheiten wie PCO, mit denen Patient*innen in die Praxis kommen, werden nur kurz abgehandelt. Bei der PCO-Krankheit handelt es sich um eine Überproduktion männlicher Hormone im weiblichen* Zyklus. Den Ärzt*innen wird empfohlen, Kassenpatient*innen so schnell wie möglich abzuarbeiten, um Zeit und Geld zu sparen. Selten würde sich jemand trauen, seine Ärzt*innen mit der Frage zu konfrontieren, ob sie denn in diesem Sinne ausreichend geschult seien. Hierbei stellt sich trotzdem die unvermeidbare Frage, ob sich bei den Mediziner*innen etwas bis heute geändert hat, welcher Isabel Morelli leider nicht nachgeht. Die Gewagtheit von Morelli steigert die Spannung trotzdem immens, den Leser*innen wird ein Einblick in die Medizinwelt eröffnet, den Normalverbraucher*innen in der Regel nicht erhalten. In dem Kapitel „Story Time – Was Frauen berichten“ äußerst sich eine Leidtragende mit folgendem Wortlaut:
„Dann bekam ich noch eine Überweisung zum Gynäkologen, der mir die Pille verschreiben sollte. Super Idee! Das Letzte, was ich wollte, war die Pille. Frustriert ging ich nach Hause.“
Dem Schock der Realität wird noch eins draufgesetzt: Um einen authentischen Einblick in die Vielfältigkeit der Auswirkungen zu schaffen, finden sich im Buch einige Erfahrungsberichte anderer Patient*innen, angefangen mit Morellis eigener Leidensgeschichte. Diese lässt das Buch nicht wie ein reines unpersönliches Sachbuch, sondern wie einen eigenen Erfahrungsbericht wirken. Durch das Einbringen anderer Erfahrungen mit der Pille merken die Leser*innen schnell: Mit Haarausfall, Dauerblutungen, Ohnmacht und Schlafstörungen bis hin zum Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik oder hormonellem Totalschaden ist sie* nicht allein. Auch für dieses grausame Szenario führt Morelli auf, auf welche Begriffe Patient*innen achten können, wenn eine hormonfreie Verhütung die erste Wahl ist: Naturheilverfahren, Orthomolekulare Medizin, Vitalstofftherapie oder naturidentische Hormone sind einige von vielen Alternativen. Zum Ende hin wird die hormonfreie Verhütung ausführlicher erklärt, wobei auch Tabellen und Bilder ergänzend herangezogen werden, was die Vorstellungskraft der Leser*innen unterstützt.
Der Verlauf des Buches ist ein erkennbarer Klimax, findet seinen Höhepunkt in den Kapiteln „Gynäkologen und ihre Liebe zur Antibabypille“ und „Story Time – Was Frauen berichten“, um anschließend in den rein informativen Kapiteln abzuebben. Isabel Morelli gründete auch ihren eigenen Blog, Generation-Pille.com genannt.
Wer den Komplett-Media-Verlag bereits kennt weiß, dass dieser auf Literatur zu dem Thema „Wissen“ spezialisiert ist. Das bereichernde an dem Buch ist definitiv, dass es sich nicht nur an Frauen*, die die Pille genommen haben, gerade nehmen, oder die Einnahme in Erwägung ziehen richtet. Auch diejenigen, die an einem generellen Input zum Thema hormonelle oder hormonfreie Verhütung interessiert sind, finden in dem Buch passende Informationen. So wird mit dem Buch bewusst gemacht, dass Verhütung mehr ist als eine kleine Pille in einem Blister.
Isabel Morelli: Kleine Pille, große Folgen. Was dir keiner über die Antibabypille erzählt.
Komplett-Media-Verlag, 2020, 156 Seiten, 18€.
ISBN: 978-3-8312-0570-7
Von Sarah Mrad
Beitrag erstellt am: 21.11.2020 um 09:01 Uhr
Letzte Änderung am: 21.11.2020 um 09:01 Uhr