Vegan ist Oberbegriff, Schlagwort und Kampfslogan zugleich, denn hinter diesem Wort steckt mehr als nur eine pflanzenbasierte Ernährung. Für die einen ist es nur ein Ernährungsstil, für die anderen ein Trend und für manche sogar die revolutionäre Kraft des 21. Jahrhunderts. Dass Revolutionen in andere Wege umschlagen und von ihrem eigentlichen Ziel abkommen können, hat die Geschichte schon mehrfach gezeigt. Verhält es sich ähnlich auch mit dem veganen Lebensstil?
Vegane Ernährung läuft größtenteils über den Verzehr sojahaltiger Lebensmittel, dazu gehören vor allem Tofu und Sojadrinks. Die Sojabohne, die ursprünglich aus dem asiatischen Raum kommt, ist in Ländern wie China oder Japan fester Bestandteil der Ernährung und zwar der Omnivoren. Das bedeutet, dass die Menschen dort Tofu nicht als Fleischersatz essen und deswegen auch Soja in einem gesunden Maße verzehren.
Für die militanten VeganerInnen hier zu Lande sieht das jedoch anders aus, denn sie essen Soja nicht nur in Form von Tofu, sondern auch Sojawurst, Sojamilch und Sojajoghurt. Die Sojabohnen, die zu diesen Nahrungsmittel verwertet werden, kommen wiederum nicht aus Fernost, sondern haben ihren Ursprung zu 80 Prozent in den USA, Brasilien oder Argentinien, wo riesige Monokulturen errichtet werden, um die weltweit steigende Sojanachfrage zu decken.
Nach Angaben des WWF gehören allein in Südamerika 24 Millionen Hektar Landfläche den Sojaproduzenten, weil die Nachfrage nach Soja in den letzten fünfzig Jahren um das Zehnfache gestiegen ist, wobei nicht vernachlässigt werden darf, dass der Großteil des Sojaertrags in die Futtermittelindustrie (also vor allem an Massentierhaltungsbetiebe) fließt. Die Zahlen sprechen für sich und zeigen deutlich, was für verheerende Folgen diese Entwicklung für unsere Erde hat: Verdrängung sämtlicher Tier- und Pflanzenarten, Verlust von fruchtbaren Böden und nicht zuletzt die Verseuchung von wertvollen Wasserquellen.
Viele VeganerInnen sind sich dieser Problematik bewusst und weichen deswegen auf alternative Pflanzenprodukte aus; da wäre zum Beispiel der heiß begehrte Mandeldrink und wem das noch nicht genug ist, der kann sich inzwischen auch über leckeren „Käse“ und „Joghurt“ auf Mandelbasis freuen, klingt gut oder nicht? Tatsächlich sieht die Realität anders aus, denn der derzeitige Mandeltrend boomt regelrecht und fordert dementsprechend auch Opfer: Laut Statista wird allein für dieses Jahr eine Mandelernte von 1,3 Millionen Tonnen erwartet, während die Erträge aus dem Erntejahr 2010/11 eine Summe von 900.000 Tonnen betrugen. Vor dem Hintergrund betrachtet, dass eine einzige Mandel schon vier Liter Wasser benötigt und diese zudem noch in äußerst trockenen Gebieten angebaut wird, sollte man sich ehrlich eingestehen, dass Mandelprodukte vielleicht doch keine so gute Alternative bieten – von dem Bienensterben mal ganz abgesehen.
Und wie es um den CO2-Fußabdruck der Superfoods Avocado, Chiasamen und Co. steht, die nicht nur Veganerherzen höherschlagen lassen? Alle diese Nahrungsmittel kommen von Übersee, da ihre Anbaugebiete in heißen Regionen wie Mexiko oder Südafrika liegen. Aber Import und Waldrodungen sind in diesen Ländern noch längst nicht die einzigen Probleme; viel besorgniserregender ist, dass die Plantagen dieser Vitaminbomben nicht nur die Erde ausbeuten, sondern auch die Menschen, die für unser tägliches Fitnessfutter auf ihre Grundrechte verzichten müssen. Hitze und Dürre, bedingt durch den Klimawandel, sorgen nämlich nicht nur für schlechte Ernten, im Gegenteil: Sie verlangen so viel Wasser, dass die Wasserquellen, die der lokalen Bevölkerung zustehen, für Avocadobäume und Chiapflanzen eingesetzt werden und das in Ländern, in denen Wasserknappheit ohnehin eines der größten Konflikte überhaupt darstellt. Wem also nicht nur Umwelt und Tiere, sondern auch Menschenrechte am Herzen liegen, dem sei dringend geraten, seinen Konsum einmal kritisch zu überdenken. Denn wie man sieht, sind von diesem Dilemma nicht nur Veganer betroffen, sondern auch alle anderen, die dem aktuellen Hype um sogenannte „Soulfoods“ folgen und sich damit an der Zerstörung der Erde gleichermaßen schuldig machen.
Bleibt dann aber noch was übrig, wenn man sich tier-, umwelt- und menschenfreundlich zugleich ernähren will? Die Antwort lautet „Ja“, allerdings weniger bunt und exotisch. Wenn man der Umwelt einen wirklich positiven Beitrag leisten möchte, dann sollte man sich grundsätzlich an dem Kreislauf der Natur orientieren, sprich nur das nehmen, was gerade da ist. Eine saisonale und regionale Ernährung fordert im Regelfall weniger Ressourcen und ist obendrein noch gesund. In jedem Fall sollten wir utilitaristisch denken und uns fragen, welche Handlung das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl bringt.
Doch wie könnte man solch einen Konsum umsetzten, wenn er zugleich bezahlbar sein soll? Ein erster Schritt wäre wahrscheinlich, dass wir unseren bisherigen Konsum grundsätzlich einmal kritisch überdenken und uns darüber vergewissern, was wir wirklich brauchen und was wir einfach nur wollen. Vielleicht könnten wir somit einmal mehr auf unseren Pizzakäse verzichten anstatt irgendeinen Käseersatz zu kaufen.
Außerdem könnten sich VerbraucherInnen im Vorfeld schon über das saisonale Angebot an Obst und Gemüse informieren und dementsprechend auf einem Ökomarkt einkaufen gehen, wo es generell weniger Importware gibt und exotische Früchte kaum zu finden sind. Damit würde man einen direkten Beitrag für die regionale Landwirtschaft leisten und zugleich die Bauern und Bäuerinnen unterstützen. Und was den Verzehr von sojahaltigen Lebensmitteln betrifft, so könnte man zumindest bei der Sojamilch auf Hafer- oder Dinkelmilch ausweichen, deren Saaten in der Regel aus Deutschland oder Europa stammen. Damit wäre doch schon mal ein Anfang gesetzt, ohne gleich die bestehenden Verhältnisse stürzen zu müssen, oder nicht?
Von Asya Alacaoğlu
Beitrag erstellt am: 17.09.2020 um 09:48 Uhr
Letzte Änderung am: 17.09.2020 um 09:48 Uhr