Vor Kurzem hat ein Junge in Holland sein Studium im Alter von neun Jahren beendet. Neun. Richtig gelesen: die Zahl zwischen Acht und Zehn. Laurent ist ein Wunderkind, genau wie Alma Deutscher, die fünfzehnjährige Komponistin, oder Adhara Peréz, die Achtjährige mit einem IQ, der Einsteins übersteigt. Wie sollen wir als Normalos in dieser Welt der menschlichen Superlative mithalten?
Es ist scheinbar egal, worin du gut bist, es wird immer eine Person geben, die besser darin ist: Du bist super im Fahrradfahren? Da gibt’s die Cousine deiner besten Freundin, die Vizepräsidentin der deutschen Einradgesellschaft ist. Du gewinnst gegen alle deine FreundInnen im Limbo? Der kleine Bruder deines Kumpels ist 20 cm kleiner und würde dich schneller schlagen als du „Wieso spielen wir den Müll überhaupt?“ fragen kannst. Ja, es scheint sogar, wenn du ohne Bungeeseil von einer Klippe springen kannst: Da wird es irgendwen geben, der oder die noch ein kleines bisschen mehr tot ist.
Sobald du dir bewusst darüber bist, im direkten Vergleich mit allem und allen zwangsläufig zu verlieren, verstärkt sich der Eindruck, dass es unmöglich ist, diesem Anspruch gerecht zu werden. Dabei ist dieser letztendlich nur der Eigene. Also wirst du lieber so lethargisch wie nach der vierten Runde Raclette, stellst dir damit selbst ein Beinchen und fliegst so dermaßen mit dem Gesicht voran in die allseits bekannte Prokrastination, dass du nur hoffen kannst, vorher eine gute Zahnzusatzversicherung abgeschlossen zu haben.
Wenn deine Anforderungen an dich selbst wegen des ständigen Vergleichs mit anderen zu hoch sind, steigt die Angst vor dem Scheitern nämlich – und wer nicht anfängt, kann auch nicht scheitern, richtig? Naja, das wäre ungefähr genauso wahr wie Philipp Amthor als It-Girl zu bezeichnen. Denn wie Gertrud Stein einst sagte: “A deadline is a deadline is a deadline”. Daher geschehen Projekte ohne eine solche Frist zumeist erst, wenn Heidi Klum in den allseits ersehnten Stimmbruch kommt – nie.
Nun, aber wo ist der Ausweg aus dieser Bredouille zwischen der Angst vorm Scheitern und dem Drang nach Erfolg? Lass es mich an einem Beispiel erklären: Denkst du, die Band Banaroo hätte 2005 ihre absolute Hitsingle Dubi dam dam wirklich veröffentlicht, wenn sie den Anspruch gehabt hätte, musikalisch irgendetwas zwischen Mozart und Freddy Mercury zu schaffen? Ich bezweifle es sehr. Doch hätten sie nie angefangen, würde uns ein großartiges Stück Kultur sehr fehlen. Was soll denn auch der ganze Anspruch, am besten zu sein, wenn er letztendlich dazu führt, gar nichts zu schaffen? Es ist wie die alte Leier der abstrakten Kunst: Du bist in einem Museum, siehst ein vollgekleckertes Gemälde und denkst dir: „Das könnte ich auch“. Dabei ist der Unterschied aber, es gemacht zu haben. Da draußen ist irgendwo ein Künstler, der um Zigtausende reicher ist, weil er akzeptiert hat, keine neue Mona Lisa erschaffen zu müssen. Stattdessen hat er dreieinhalb Liter Blue Curacao mit Orangensaft inhaliert und dann auf eine Leinwand projektiert.
Also hier der Appell: Lass uns doch das ganze Theater ums Perfekt-Sein beim ersten Anlauf bleiben und lieber mal was machen, das bestenfalls erst einmal mittelmäßig ist. Denn es gilt: „Besser schlecht als gar nicht“. Mit „gar nicht“ kann nämlich gar nicht gearbeitet werden – mit „schlecht“ hingegen sehr gut. Deswegen hielt sich Wetten, dass…? zwanzig Jahre auf bester Sendezeit. Wir werden also wohl nicht sofort die Besten sein, aber immerhin haben wir etwas – und alles, was danach passiert, ist Bonus.
Von Eva Zirker
Beitrag erstellt am: 12.08.2020 um 08:14 Uhr
Letzte Änderung am: 12.08.2020 um 08:14 Uhr