Unscheinbar steht das Haus der Regionalvertretung der Europäischen Kommission am Bertha-von-Suttner Platz in Bonn. Beige, kastenförmig und versehen mit zahlreichen aneinandergereihten Bürofenstern, ähnelt es so ziemlich jedem anderen klassischen Bürogebäude, das an einer belebten Bonner Hauptstraße steht. Leicht verwundert über die Gewöhnlichkeit des Hauses (wo es sich doch um den Sitz der Vertretung einer der wichtigsten Institutionen der Europäischen Union handelt), sind wir auch froh, nicht weit von der S-Bahnhaltestelle mit unserem Gepäck laufen zu müssen.
Neben den Koffern bringen wir aber vor allem jede Menge Fragen mit. Fragen rund um das politische Geschehen in der EU, die uns einen Einblick in die Arbeit der Kommission näher bringen sollen. Dabei interessiert uns vor allem: Welche Strategien zur Klimaneutralität gibt es? Wie sehen die Pläne rund um die Migrationspolitik aus? Und wie möchte die EU künftig gegen Desinformation vorgehen? Damit machen wir uns also auf den Weg direkt in das Zentrum des EU-Politik-Geschehens – denn wo finden wir konkretere Antworten als dort?
Die EU-Kommission ist, neben dem EU-Parlament und dem Rat der Europäischen Union, das zentrale Organ der Gesetzgebung innerhalb der Europäischen Union (EU). Aufgaben der Kommission sind die Überwachung der Europaverträge, Verwaltung des Haushalts sowie die Außenvertretung der Europäischen Union. Außerdem besitzt sie das Initiativrecht zur Gesetzgebung und ist für die Durchführung dieser verantwortlich. So werden hier Strategien und Gesetzesentwürfe zu aktuellen Problemen entworfen und dem Parlament vorgelegt. Umwelt, Migration, Wirtschaft, Technologie, Medien – all die Themen, mit denen sich die Kommission täglich befasst, werden auch auf unserer zweitägigen Bildungsreise während zahlreicher Vorträge behandelt. Und wir sind mitten drin: 30 junge JournalistInnen, die vom Bildungsprogramm der EU auserwählt wurden, um einen Einblick in die Institution und ihre Arbeit zu bekommen. Mit der erwähnten Neugierde im Gepäck, treten wir also zu unserer ersten Station an: dem Vortragstag im Bonner Regionalvertretungssitz.
Am Eingang zeigt uns freundlich eine Mitarbeiterin den Weg zu dem kleinen Empfangsraum im ersten Stock, wo die Vorträge, die Mittagspause und der Austausch stattfinden. „Die Koffer können Sie in den hinteren Raum stellen“, erklärt eine andere Mitarbeiterin, die im Anschluss auf den Tisch mit Goodies sowie einen anderen mit Getränken und Häppchen deutet, an denen wir uns bedienen dürfen. Beim Blick auf das bevorstehende volle Programm, sind wir für die Verpflegung und Schreibutensilien dankbar.
„Wir können die EZB dazu verpflichten, mindestens 50 Prozent des Haushalts in Klimaprojekte zu investieren.“
Jochen Pöttgen, der Leiter der Regionalvertretung in Bonn
Drei Vorträge sind vorgesehen, um uns einen ersten Einblick in die Arbeit der EU-Kommissionsvertretung in Bonn zu geben. Den Anfang macht Jochen Pöttgen, der Leiter der Regionalvertretung: „Ich bin der EU-Erklärer“, beginnt er seine Rede und erläutert die Hauptaufgaben: Zum einen informiere die Regionalvertretung über die Arbeit der EU-Kommission, zum anderen werden dort Anregungen zu Strategien gesammelt und an die MitarbeiterInnen in Brüssel weitergeleitet. Sechs politische Prioritäten gebe es laut Pöttgen, welche die EU verfolge: Neben Wirtschaft, Digitalisierung, Migrationspolitik, Außenpolitik, Demokratie (und damit auch Schutz vor Desinformation), stehe auch das Thema Umwelt auf der Prioritäten-Liste – und mit ihr neuerdings auch der Green Deal. „Wir können die Europäische Zentralbank (EZB) dazu verpflichten, mindestens 50 Prozent des Haushalts in Klimaprojekte zu investieren“, so der Kommissionsleiter. Das Ziel des Plans: Bis 2030 sollen bis zu 55 Prozent Emissionen reduziert werden, 2050 will die EU klimaneutral sein. Klingt zunächst vielversprechend, allerdings ist zu hinterfragen, ob der Green Deal ausreicht, um dem Klimawandel genügend entgegenzuwirken. So kritisiert die Umweltaktivistin Greta Thunberg bei ihrer Rede im März 2020 vor der EU-Kommission, das neue Klimagesetz sei zu lasch und es gebe keine Zwischenziele, welche die Umsetzung des Plans realistischer gestalten würden. Doch konkret gehen wir auf das Thema nicht mehr ein und da der Zeitplan knapp ist, folgen auch schon die nächsten Vorträge. Diesmal geht es um die Informations- und Kommunikationsarbeit der Kommissionsvertretung in Bonn. Dazu erläutern die Pressereferentin Kerstin Streich und die Bildungsreiseleiterin Patrycja Sypel die unterschiedlichen Bildungs-und Kommunikationsprojekte. So geht es auf den Nachmittag zu und es wird Zeit für die Busreise nach Brüssel.
Die Stadt Brüssel zählt nur 180.000 EinwohnerInnen, ist allerdings ein Teil von 19 Bezirken, die der Region Brüssel-Hauptstadt angehören und von knapp 1,2 Millionen Menschen bewohnt wird. Nicht nur die Europäische Union mit ihren Hauptorganen dem Europäischen Parlament, der Europäischen Kommission und dem Rat der Europäischen Union hat hier ihren Hauptsitz, sondern auch die NATO. Dies hat starke Anziehungskraft: Allein aus Deutschland haben knapp 600 Institutionen aus Politik und Wirtschaft eine Interessensvertretung in Brüssel. Darunter sind sowohl Verbände (wie der Verband Deutscher Automobilindustrie) und Unternehmen aus zahlreichen Branchen (wie Bosch und Daimler) als auch eine Vielzahl von Beraterfirmen. Zu den Vertretungen gehören aber auch Büros der Parteien, der Bundesländer und anderer politischer Institutionen. Auf uns wirkte die Stadt vor allem ganz schön protzig. Vergoldetes Rathaus und das Maison du Roi auf dem Grand-Place sowie jede Menge Altbauten kommen zum Vorschein, wenn man durch die kleinen und größeren Straßen geht. Umso überraschter waren wir das Berlaymont-Gebäude, den Sitz der EU-Kommission, zu sehen.
In den 70er-Jahren gebaut, ähnelt es keineswegs dem Altbaustil des Brüsseler Rathauses. Das ehemalige Kloster besteht aus einem Haupthochhaus und zwei asymmetrischen Hauptflügeln, die mit unzähligen Fenstern und Metallvorrichtungen versehen sind. Auf der hinteren Seite schwenken eine Vielzahl an EU-Flaggen. So wirkt der moderne Baustil ziemlich praktisch. Und praktisch muss es auch sein, denn insgesamt 32.000 Beschäftigte arbeiten für die Europäische Kommission. Diese besteht aus je einem Vertretenden eines Landes der Europäischen Union, welche*r jeweils einem bestimmten Ressort zugeteilt wird – vergleichbar mit dem Ministerkabinett in Deutschland. An der Spitze der Kommission steht seit dem ersten Dezember 2019 die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Ob die Arbeit im Kommissionshaus genauso praktisch und modern aussieht wie das Gebäude, erfahren wir bald nach dem Eintreten.
Nach der obligatorischen Einlasskontrolle werden wir zu unserem Vortragsraum geführt und nehmen an dem großen, ovalen Tisch Platz. An jedem der einzelnen Sitze befinden sich Mikrofone und im Zentrum sind vier Bildschirme in einem 90-Grad Winkel aufgestellt. Ein Gefühl von einer politischen Sitzung kommt auf, in der gleich über wichtige Themen debattiert und diskutiert werden wird.
„The mission of Frontex is to deal with smugglers.“
Catherine Delacour
Sieben Stunden (inklusive Pausen, Mittagsessen und einer Pressekonferenz) sind für die Vorträge geplant. Dabei sind die thematischen Schwerpunkte: Migration, Desinformation, die neue Plastikstrategie und die EU-Handelspolitik. Präsentiert werden sie von Catherine Delacour, Lutz Güllner, Silvia Forni und Florian Schubert. Sie alle beeindrucken während des Tages nicht nur mit Fachwissen, sondern auch mit Offenheit gegenüber kritischen Fragen. Wer kontrolliert Frontex? Werden Grenzzäune von der EU finanziert? Welche Rolle spielt die russische Regierung in der Desinformation und wie beurteilt die Europäische Union den Sender RussiaToday? Wie versucht die Europäische Union mit ihren Handelsabkommen Arbeitszustände und Menschenrechte in den Partnerländern zu verbessern? All das wollten die Studierenden wissen. Stets bemüht zufriedenstellend zu antworten, entwickeln sich Gespräche auf Augenhöhe. „The mission of Frontex is to deal with the smugglers, not to save lives. We can’t tell the countries how to deal with refugees“, stellt so Delacour unter anderem klar und deutet auf die Problematik der Migrationspolitik hin. Einzelne Aspekte in der Geflüchtetenpolitik sollen nicht singulär reflektiert, sondern als ein ganzes Paket betrachtet werden. Eine Forderung, die angesichts der Debatten zu einzelnen Programmen sicherlich gerechtfertigt ist, aber auch der Kritik an einzelnen Aspekten ausweicht.
Bei der Plastikstrategie konzentriere sich die EU vor allem auf die Minimierung von Mikroplastiken und den größeren Einsatz vom abbaubaren Bioplastik, erklärt Forini. Viele der Diskussionen stimmen uns nachdenklich und als die Rückreise anbricht, ist genügend Zeit zum Rekapitulieren.
Am Ende der Reise müssen wir vor allem an die Herausforderungen denken, vor denen die europäische Politik steht: die Geflüchtetenpolitik, Umweltverschmutzung, Desinformation und Fake News sind Probleme, die oft miteinander verstrickt sind. Zudem hat nicht jedes Land die gleichen politischen Interessen, sodass bei globalen Themen und Problemen Kompromisse nötig sind, um alle Länder zur Unterstützung zu bewegen. Und selbst in den einzelnen Ländern variieren die Meinungen über politische Fragen zusätzlich.
Es ist also leicht, einzelne Programmpunkte zu kritisieren, ohne im Blick zu haben, welche Komplexität und Politik hinter den Strategien stecken. So blicken wir zufrieden auf die Reise. Die persönliche Nähe der einzelnen Referierenden beim Besuch überraschte uns positiv. Alle betonten, für spätere Fragen per E-Mail bereitzustehen und uns zusätzliches Material zur Verfügung zu stellen. Eine Vermarktungsstrategie, um sich als Institution sympathisch zu verkaufen? Vielleicht. Vielleicht ist das Bildungsprojekt aber auch eines der EU-Projekte, das unter vielen (weitaus komplizierteren) einfach mal gut funktioniert.
Von Klaudia Kasek und Lucas Lorenz
Beitrag erstellt am: 29.07.2020 um 09:16 Uhr
Letzte Änderung am: 29.07.2020 um 09:16 Uhr
Über Lucas Lorenz
… fährt gerne mit dem Fahrrad durch das Bergische Land und probiert sich gerne an neuen Anstiegen aus. Regelmäßig fährt er auch zur Universität. Dort studiert er Geschichte und Medienkulturwissenschaften ohne sich viele Gedanken zu machen, wie seine Laufbahn danach aussieht.