Raus aus dem Happyland

Buchcover - Mensch rennt aus einer Tür
Wie rassismuskritisch denken geht, muss manchmal eben auch gelernt sein. Foto: Unrast-Verlag

Tupoka Ogettes Mitmach-Buch „exit RACISM“ beantwortet bereits in fünfter Auflage, was Weiße über Rassismus wissen müssen.

Was heißt es, privilegiert zu sein? Warum darf ich das N-Wort nicht benutzen, wenn ich es doch nicht böse meine? Und darf ich denn nie jemanden fragen, woher er oder sie kommt, ohne dass es diskriminierend ist? Auf diese und weitere Fragen gibt die freiberufliche Anti-Rassismus-Trainerin und Autorin Tupoka Ogette in ihrem Buch exit RACISM einige hilfreiche Antworten. Bereits in fünfter Auflage 2019 im Unrast-Verlag erschienen, gilt es als der gegenwärtige Klassiker unter den Einsteiger-Büchern für Weiße*, die beginnen, sich an das Thema Rassismus heranzuwagen. Nicht zu Unrecht, denn Ogette sorgt mit ihrem knappen, aber vielfältigen und vor allem interaktiven „Mitmach-Buch“ für eine interessante und untypische Art, sich dem Alltagsrassismus anzunähern.

Auf knapp 115 Seiten reinen Textes (131 Seiten samt Vorwort, Danksagung und Literaturhinweisen) bietet die Autorin ihren weißen LeserInnen, an die sie das Buch konkret richtet, eine Art Crashkurs zum Thema Rassismus, indem sie klärt, was Weiße über Rassismus wissen sollten. Ogettes Ansatz ist dabei ganz klar: Eigentlich möchten die meisten Menschen nicht rassistisch sein und anderen Schaden zufügen. Leider tun es viele ganz oft, ohne es zu wissen, wie Ogette aufklärt. So konzentriert sie sich in „exit RACISM“ bewusst nicht auf feindseligen und offensichtlichen Rassismen mit böswilliger Absicht, sondern auf jene, welche oft im Alltag unbewusst reproduziert werden. Dies erfolge zum Beispiel durch einen unreflektierten Sprachgebrauch oder Abwehrmechanismen, wie Äußerungen: „Ich sehe keine Hautfarben“, „Ich bin tolerant“ oder „Das war doch nicht so gemeint“. Warum gerade diese – vermeintlich harmlosere – Einstellungen so gefährlich für Schwarze und People of Color (PoC) in einer von Weißen dominierten Gesellschaft seien, erklärt sie unter anderem in Kapiteln wie „Willkommen im Happyland“, „Die Geschichte des Rassismus“ oder „Deutschland und Rassismus als Unwort des Jahrzehnts“.

Neben den aufklärerischen Passagen präsentiert sie auch Lösungsvorschläge in Form von konkreten Alternativen zu rassistischen Ausdrücken und begleitet die LeserInnen so Schritt für Schritt auf ihrem Weg heraus aus dem „Happyland“. Die eingängige Metapher vom „Happyland“ nutzt Ogette, um den Zustand derer zu verbildlichen, die meinen, weder rassistisch zu sein noch dass Rassismus ein strukturelles Problem ist. Dabei ist das Taschenbuch gerade für die überzeugten Nicht-RassistInnen empfehlenswert, die sich an das Experiment wagen und so herausfinden möchten: Wie rassistisch bin ich eigentlich wirklich? Warum das Experiment gerade mit Ogettes Buch eingehen? Weil der interaktive Teil schlicht zum Experimentieren verführt. So richtet sich die Autorin ganz direkt an die LeserInnen mit anregenden Denkanstößen. An einer interaktiven Passage fragt sie beispielsweise: „Was hast Du in Deiner Schulzeit über die Maafa gelernt?“, während sie an einer anderen auffordert, über die Kategorie Weiß nachzudenken. Stets im Fokus: die eigenen Privilegien zu erkennen und zu überdenken.

Dabei ist es gerade die Mischung aus sachlichem und emotionalem Input, die vielfältigen Einschübe, welche die Möglichkeit bieten, sich auch außerhalb des Buches multimedial zum Thema zu bilden, und der direkte, einfache, aber ergreifende Sprachstil, die das Werk ausmachen. Bereits zu Beginn bietet die Rassismus-Expertin den LeserInnen das „Du“ an und bindet diese so als aktive TeilnehmerInnen in des Geschriebenen mit ein. Verschachtelte Sätze und komplizierte Phrasen finden dort keinen Platz. Stattdessen animieren kurze Kapitel, Logbuch-Einträge ihrer weißen SeminarteilnehmerInnen, QR-Codes zu Videos, aber auch Artikel und Zitate zum aktiven Auseinandersetzen. So gibt Ogette neben ihrer eigenen Ausarbeitung zudem wertvolle Hinweise zu Publikationen weiterer AutorInnen und AktivistInnen. Berichte von rassistischen Erfahrungen der Autorin und anderen Schwarzen und PoC ergänzen die sachlichen Passagen und sorgen für ein besseres Verständnis des strukturellen Problems. Eingehende, metaphorische Vergleiche regen ergänzend dabei zum Nachdenken an – wie beispielsweise: „Stell Dir vor, jemand würde Dir mehrmals am Tag mit einer Nadel ins Bein stechen. Nicht so tief, dass es blutet, aber immerhin so, dass es ziemlich zwickt. Du müsstest nicht ins Krankenhaus, aber es würde Dich in Deiner Lebensqualität einschränken.“

Aber auch Empathie und Verständnis für die weißen LeserInnen spielen stets eine große Rolle. Und am Ende des Buches wird insbesondere klar, dass Ogette mit „exit RACISM“ vor allem eins nicht möchte: Weiße bloßstellen. Viel eher geht es um eine grundlegende Sensibilisierung für das Thema, sodass Schwarze, PoC und Weiße gleichermaßen in einer von Feindseligkeiten befreiten Gesellschaft leben können. Das Buch ist demnach für alle empfehlenswert, die nicht so recht wissen, wie sie beginnen sollen, sich an das oft schwierige Thema Rassismus anzunähern. Aber auch für diejenigen, welche gerne spielerisch einiges über sich selbst erfahren möchten, sich fragen „Wie rassistisch bin ich eigentlich?“ oder schlicht nach einfachen Antworten suchen, wie sie als Weiße*r am besten nicht-beabsichtigte Alltagsrassismen vermeiden können.

*Anmerkung: Du wunderst Dich über die Großschreibung von Schwarz oder die Kursivschreibung von weiß? Dann wirst auch Du in „exit RACISM“ mit Sicherheit einige neue, spannende Infos zum Rassismus erfahren. Sowohl Schwarz als auch People of Color sind politische Selbstbezeichnungen und das soll durch die Großschreibung zum Ausdruck gebracht werden. Die Kursivschreibweise von weiß verdeutlicht, dass es sich auch hier nicht um die Hauptfarbe, sondern um die Vormachtstellung der Weißen als eine privilegierte Gruppe handelt. Andere spannende Infos zum Thema Sprache behandelt die Autorin im Kapitel „Die Macht der Sprache – Sprache der Macht“.

Tupoka Ogette: „exit RACISM“.
5. Auflage, Unrast-Verlag 2019, 131 Seiten, erhältlich in herkömmlichen Buchhandlungen für 12,80 Euro
ISBN: 978-3-89771-230-0

Von Klaudia Kasek

Beitrag erstellt am: 26.06.2020 um 09:28 Uhr
Letzte Änderung am: 26.06.2020 um 10:06 Uhr