Weltweit auf den Straßen

Die Welt im Aufruhr. Die Weltkarte entspricht der Molweide-Projektion und ist eine flächentreue Kartenprojektion. Foto: mygeo.info / CC BY 3.0 – amsow66 / Pixabay.com / pixabay-License. Bearbeitung: Lucas Lorenz.

Was die Menschen weltweit dazu bewegt, mit gemeinsamer erhobener Stimme für ihre Rechte zu kämpfen? Gerechtigkeit. Dieser Artikel soll Proteste in vier Ländern näher beleuchten, welche selten im Fokus der europäischen Medien stehen. Ein Blick über die Grenzen hinaus (Stand Februar 2020). 

CHILE 

Die Hauptstadt Santiago de Chile ist Hotspot der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheit. Am 07. Oktober 2019 haben die Proteste angefangen, als die Fahrkartenpreise für eine U-Bahnfahrt mit der berühmten „Metro de Santiago“ stiegen. Dort fanden am 18. Oktober die ersten Brandsetzungen von Metro-Stationen und Bussen statt. Schnell wurden also aus den kleinen, scheinbar harmlosen Protesten gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Militär sowie ProtestteilnehmerInnen. 

Neben Tränengas, Wasserwerfern und Militäreinsätzen haben vor allem Ausgangssperren sowie der vom Präsidenten ausgerufene Ausnahmezustand die Proteste weiter angeheizt. Während die Demonstrierenden vermehrt auf die Straße gingen, rückte die chilenische Armee gleichzeitig immer näher, um sicherzugehen, dass die EinwohnerInnen sich an die verhängte Ausgangssperre hielten. 

Wie die Preiserhöhung einer Fahrkarte eine Welle des Protestes auslöste. Foto: wikimedia.org / CC0.

Insgesamt ist ein Sachschaden im Wert von umgerechnet mehreren 100 Millionen Euro entstanden. Auch Menschenleben blieben nicht verschont: Insgesamt gab es mehr als 2.000 Verletzte und 23 Tote. Sowohl die UN-Klimakonferenz als auch das geplante Gipfeltreffen der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (=APEC) mussten aufgrund der massiven Proteste verschoben beziehungsweise abgesagt werden. Weiterhin wurde der Tourismus als wichtige Einnahmequelle Opfer der Proteste, da viele geplante Reisen storniert wurden. 

Eine der ChilenInnen besonders am Herzen liegende Angelegenheit konnten sie durch ihre Demonstrationen klären: Präsident Sebastián Piñera versprach dem chilenischen Volk ein Maßnahmepaket im Wert von 5,5 Milliarden US-Dollar. Staatsausgaben sollen laut dem Finanzminister Ignacio Briones um drei Milliarden Dollar erhöht werden. Auch in kleine und mittlere Unternehmen soll mithilfe eines Startgeldes in Höhe von 1,9 Milliarden Dollar investiert werden. Zugleich sollen die Sanierung der U-Bahn und Arbeitsplatzschaffungen nicht zu kurz kommen. 

LIBANON 

„Kellon Ya´ni Kellon“ (deutsch: Alle bedeutet Alle) ist der Marschruf, der die libanesische Bevölkerung begleitet. Die am 17. Oktober entstandende Protestwelle ist bisher nicht abgerissen und die Demonstrierenden gehen weiterhin für eine Umgestaltung der politischen Ziele auf die Straße. Während die EinwohnerInnen mit täglichen Stromausfällen und verunreinigtem Wasser zu kämpfen hatten, wollte die als von der Bevölkerung korrupt empfundene Regierung eine WhatsApp Telefon-Steuer einführen. Obwohl die libanesischen Regierung die Idee schnell wieder verwarf, hatte sie das Vertrauen des Volkes schwer erschüttert und ließ damit die Bevölkerung zunehmend misstrauischer werden – vor allem aufgrund der dort schon seit Jahren herrschenden Finanzkrise. 

Die Sorgen vor einem Zahlungsausfall treiben die libanesischen BürgerInnen auf die Straßen. Foto: wikimedia.org / CC0.

Besondere Aufmerksamkeit bei den Medien erlangte der Wille des libanesischen Volkes: Obwohl die DemonstrantInnen sich aus den verschiedensten Gründen auf die Straßen begaben, schweißten genau diese die Menschen zusammen. Nicht umsonst wird der Protest als der größte Massenprotest seit der Zedernrevolution 2005 bezeichnet. Immer noch plagen die sich wiederholenden Probleme und Anliegen die LibanesInnen, sodass auch im Frühjahr 2020 Proteste gegen die Bankenpolitik in Sidon und anderen Städten stattfinden. Weiterhin wird ein Rücktritt des seit dem 19. Dezember 2019 amtierenden Premierministers, ehemals Uniprofessor und Bildungsminister, Hassan Diab verlangt. 

Schlussendlich steht „Kellon Ya´ni Kellon“ nicht nur auf zerstörbaren Demonstrationsplakaten, sondern bleibt dem Volk vor allem im Hinterkopf und bei den noch laufenden Protesten ein stetiger Begleiter. 

HAITI 

Präsident Jovenel Moïs ist ein Name, der der haitianischen Bevölkerung seit längerem empört. Machtmissbrauch und Nichteinstehen für die EinwohnerInnen werden dem seit Februar 2017 amtierten Präsidenten vorgeworfen. In Verbindung mit etlichen Naturkatastrophen wie Dürren, Überschwemmungen und Erdbeben ergibt die Lage eine tödliche Mischung. Nicht grundlos begeben sich die HaitianerInnen auf die Straßen und besetzen die Hauptstadt sowie gleichzeitig die größte Stadt des Landes Port-au- Prince. Gemeinsam wollen sie der ständigen Zerstörung der Insel und den damit einhergehenden Zukunftsängsten entgegensteuern. 

Die Karibik – für andere ein himmlischer Ort – stellt sich in Wahrheit für viele EinwohnerInnen als ein Leben am Rande der Existenz heraus. Foto: wikimedia.org / CC0.

Sinnbildlich soll die Blockierung von wichtigen Hauptstraßen die Situation der Gefangenschaft im eigenen Land unterstreichen. Der Rücktritt von Moïs soll hierbei eine essentielle Grundlage sein, da ihm und anderen PolitikerInnen vorgeworfen wird, Geld unrechtmäßig für sich beansprucht zu haben, anstatt dieses in die eigene Bevölkerung zu investieren. Das Gefühl, von der eigenen Regierung im Stich gelassen zu werden, sitzt tief und führt bis heute zu Protesten. 

Die Gewalt zeigt sich nicht nur durch Steinwurf und Tränengaseinsatz, sondern mündet auch in konkreten Todesfällen. Probleme wie Benzin- und Treibstoffmangel schneiden den Menschen Möglichkeiten der Wirtschaft und Mobilität ab, sodass eine Abhängigkeit vom Staat unvermeidbar ist. 

HONGKONG 

„Ein Land, zwei Systeme“ ist das Prinzip, an dem sich die Volksrepublik China und Hongkong orientieren. Doch der Konflikt über die Reichweite und Grenzen der gegenseitigen politischen Interventionen sowie Beeinflussungen ist bis heute stark umstritten. Denn auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen fällt beiden Beteiligten bis heute in einigen Punkten schwer. 

Seitdem das „Gesetz über flüchtige Straftäter und Rechtshilfe in Strafsachen“ im Sommer 2019 von der Hongkonger Regierung vorgeschlagen wurde, wuchs die Diskrepanz zwischen dem Pro-Demokratie-Lager und dem Pro-Peking-Lager. Beide Lager umfassen alle politischen Kräfte in der Sonderverwaltungszone Hongkongs. Das Auslieferungsgesetz erlaubt es, allen, die eines Verbrechens bezichtigt werden, an China auszuliefern. Aufgrund dessen und angeheizt durch den Tod eines Demonstranten am 15. Juni 2019, begaben sich am darauffolgenden Sonntag 10.000 Menschen schwarzgekleidet auf die Straßen. 

Die Forderung nach Autonomie ist kein neues Phänomen in Hongkong: Foto: wikimedia.org / CC0.

Der Sieg des überwiegend liberal eingestellten Pro-Demokratie-Lagers bei den letzten Kommunalwahlen im November 2019 führte zu einer großen Solidarität. Also gingen rund um die Welt Staatsangehörige Hongkongs auf die Straße. Die grundlegenden Forderungen sind allgemeine, freie und gleiche Wahlen des Regierenden sowie die unabhängige Untersuchungskommission zu Polizeigewalt. Letztere war ein stets vorhandener Angstfaktor, der die Proteste leitete und begleitete. 

Bis heute fürchtet die Bevölkerung Hongkongs ein Hinabfallen in den Strudel des chinesischen Staats- und Rechtssystems. In der „Sino-British Joint Declaration“ erklärte die britische Regierung der Volksrepublik China die Übergabe von Hongkong mit Wirkung vom ersten Juli 1997. Hongkong ist es seitdem bis 2047 gestattet, Sonderverwaltungszonen zu bilden. Noch heute stehen Menschen auf der Straße, weswegen auch Universitätsschließungen nicht ausgeschlossen sind. 

Von Sarah Mrad

Beitrag erstellt am: 17.06.2020 um 17:07 Uhr
Letzte Änderung am: 17.06.2020 um 17:07 Uhr