„Wir konnten das Haus tagelang nicht verlassen. Es waren fast 50 Grad Celsius und die ganze Asche hat das Meer schwarz gefärbt – und das, obwohl die Brände viele Kilometer entfernt waren.“ Joanne R. sitzt auf ihrem Balkon und schaut hinunter auf das Meer. Heute glitzert es wieder türkis, kaum vorstellbar, dass das vor einigen Wochen noch ganz anders ausgesehen hat. Joanne lebt mit ihrem Mann in einem nördlichen Vorort von Sydney. Vor 25 Jahren kam die Amerikanerin nach Australien. „In meiner ganzen Zeit hier habe ich noch nie so etwas erlebt. Wir hatten schon viele Brände, aber noch keine mit solchem Ausmaß. Ich konnte jeden Tag Fenster putzen, man hat ja vor lauter Asche nichts mehr gesehen.“ Ihren Humor hat die 63-Jährige in der schwierigen Zeit offenbar nicht verloren und heute ist sie erleichtert, dass die Feuer endlich gelöscht sind. In die Zukunft blickt sie dennoch skeptisch. Denn dass sich Brände solcher Größe in Zukunft häufen könnten, ist ihr durchaus bewusst.
Nach 240 Tagen konnte die Regierung die Buschbrände am 2. März 2020 für gelöscht erklärt werden. Dabei waren vor allem die Bundestaaten Queensland, New South Wales, Victoria und South Australia von den Feuern betroffen. Insgesamt verbrannten 12 Millionen Hektar Land, was der dreifachen Fläche der Schweiz entspricht. In den Flammen sollen nach Berechnungen des WWF ungefähr 1,25 Milliarden Tiere verendet sein. In Sydney selbst ist von den Bränden zwar nichts mehr zu sehen oder zu spüren, doch auf der Strecke hinunter nach Melbourne, in den Süden Australiens, offenbart sich ein anderes Bild. Die Straßen schlängeln sich durch zahlreiche kleine Dörfer und Wälder, oftmals ist über mehrere Stunden nur unbewohntes Waldgebiet zu sehen – ohne Gegenverkehr. Je tiefer die Straßen in den Süden führen, desto deutlicher wird das Ausmaß der Brände.
Denn was hier vor einigen Monaten noch dicht bewachsenes Waldgebiet war, gleicht heute fast einer Wüste. Die meisten Bäume sind schon umgefallen, die restlichen Bäume und Straßenschilder sind bis zur Unkenntlichkeit verkohlt, alles ist staubig. Über eine Stunde dauert die Fahrt durch das verbrannte Gebiet. Hier und da wurde schon mit der Abholzung und Stapelung der verkohlten Baumstämme begonnen; zurückbleiben kahle Landstriche. Diese geben nun die Sicht auf umliegende Täler und Berge frei. Der Blick schweift kilometerweit in die Ferne, doch es gibt nicht mehr viel zu sehen, denn die Feuer haben hektargroße Waldflächen verschluckt. 12 Millionen Hektar Land – auch wer es mit eigenen Augen sieht, will es nicht glauben.
Fünf Monate lang haben die Buschbrände das Land in Atem gehalten. Jetzt geht es vor allem um Eines: Schadensersatz. Denn die Flammen haben einen Schaden in Milliardenhöhe verursacht. Alleine die Tourismusbranche geht von Verlusten in Höhe von umgerechnet mindestens 2,6 Milliarden Euro aus. Außerdem wurden 3000 Häuser durch die Brände zerstört und in den betroffenen Bundesstaaten verzeichnen die Versicherungen mehr als 23000 Schadensmeldungen. Kleinere Städte und Dörfer im Süden des Landes sind nach wie vor fast menschenleer, Geschäfte und kleine Betriebe haben geschlossen und es ist noch längst nicht klar, welche von ihnen überhaupt wieder öffnen können. Deshalb lautet das Stichwort der letzten Wochen „Fire Relief“, also „Feuer-Hilfe“ oder „Feuer-Entlastung“. Gemeint sind damit vor allem Spendenaktionen, Benefizkonzerte, groß angelegte Aufräumarbeiten und finanzielle oder materielle Unterstützung für Betroffene.
Hinzu kommen zahlreiche Werbespots auf Social Media, die auf die Wiedereröffnung von touristischen Highlights in ganz Australien aufmerksam machen und auf Gebiete hinweisen, die weiterhin gut zu bereisen sind. Unter dem Hashtag #bookthemout (Deutsch: Bucht sie aus) werden potenzielle TouristInnen dazu aufgefordert, eben genau das zu tun, also ganze Regionen auszubuchen, um diese vor der Pleite zu bewahren. Es werden alle Hebel in Bewegung gesetzt, um zu retten, was noch zu retten ist. Schadensersatz ist momentan wichtiger denn je, doch einem entscheidenden Faktor wird in dieser Zeit erstaunlich wenig Beachtung geschenkt: Wie konnte es überhaupt zu den verheerenden Feuern kommen?
Als die Buschfeuer bereits im ganzen Land wüteten beteuerte Australiens Premierminister Scott Morrison noch, Brände in der Sommerzeit seien normal. Nach starker Kritik aus der Bevölkerung musste Morrison jedoch einräumen, dass es für die diesjährigen Feuer möglicherweise noch eine etwas andere Erklärung gibt, als „das hat es immer schon gegeben“. In diesem Zusammenhang fiel dann schließlich doch noch der Begriff des Klimawandels.
Wahrhaben wollte es die australische Regierung zunächst nicht, doch die Tatsachen sprachen für sich. Denn das Problem ist letztendlich genau so offensichtlich wie der Klimawandel selbst. In Australien befinden sich rund 10 Prozent der globalen Kohlevorkommen und 24 Kohlekraftwerke, die knapp 80 Prozent des inländischen Stromverbrauchs decken. Gerade wegen der sehr umweltbelastenden Kohleverbrennung in den Kraftwerken hat das Land, trotz seiner verhältnismäßig geringen Einwohnerzahl von 25 Millionen, einen unverhältnismäßig hohen CO2-Ausstoß. Im Durchschnitt ist ein Australier jährlich für 15,6 Tonnen CO2 verantwortlich, ein Deutscher hingegen für 8,7 Tonnen. Trotz dieser negativen Bilanz sind bereits neue Kohlebergwerke und Minen in Planung.
Die Adani Group, ein indischer Großkonzern, plant eines der weltweit größten Kohlebergwerke in Australien zu bauen. Dort sollen in Zukunft 60 Millionen Tonnen Kohle pro Jahr gefördert werden. Die Kohleindustrie in Australien wächst und wächst, obwohl die Regierung schließlich einräumte, dass es eine klare Verbindung zwischen den verheerenden Bränden und dem Klimawandel gibt, einem Problem, das besonders aufgrund des global steigenden CO2-Ausstoßes jährlich an Größe gewinnt. Obwohl sich der Klimawandel gerade jetzt besonders stark in Australien bemerkbar macht, entscheidet sich die dortige Regierung klar für die Kohle – im doppelten Sinne.
Edwina D. sitzt am Esstisch. Wieder einmal sind die Buschfeuer das Hauptgesprächsthema des Abends. Die Australierin ist sauer – auf die gesamte Situation und vor allem auf die Regierung. „Wenn unser Land so weiter macht, dann werden die Brände nur noch schlimmer. Wenn irgendwann das ganze Land verbrannt und unbewohnbar ist, dann bringt der Regierung der Kohleabbau auch nichts mehr. Es muss jetzt gehandelt und in erneuerbare Energien investiert werden. Aber es tut sich nichts. Morrison ist ein Feigling.“ Die Mutlosigkeit der Regierung habe das Land erst in die jetzige Situation gebracht, sagt die 72-Jährige. Sie hingegen ist alles andere als mutlos, wenn es um den Klimaschutz geht. Edwina lebt in einem Nationalpark im Norden Sydneys. Auto fahren kann sie hier nicht, denn es gibt keine Straßen. Gemüse und Obst kommen aus dem eigenen Garten, auf neue Kleidung verzichtet die Australierin und geflogen wird sowieso nicht. Auch ihre vier erwachsenen Kinder konnte sie, auf etwas ungewöhnliche Weise, für mehr Engagement in Sachen Klimaschutz begeistern. „Ich habe ihnen gesagt, entweder sie unterstützen ihre Kinder bei Fridays For Future, oder ich werde ihnen keinen einzigen Dollar vererben – ganz einfach. Ratet mal, wer jetzt jeden Freitag mit den Kindern zusammen demonstriert und Schilder bastelt.“
Doch auch wenn Edwina, ihre Kinder und ihre Enkel sich für mehr Klimaschutz engagieren, hat sie trotzdem das Gefühl, es reiche irgendwie nicht. Es würden noch viel zu wenige Leute etwas tun; die Regierung tue am wenigsten. Am Ende ginge es eben doch wieder nur um Profit und Klima schützen kostet eben – es kostet Zeit, Geld und Kraft. Deshalb zieht Edwina ein eher hoffnungsloses Fazit: „Wenn sich nicht bald etwas ändert, bleibt uns Älteren nichts mehr, als sich bei euch jungen Menschen zu entschuldigen. Ihr müsst es noch deutlich länger auf diesem Planeten aushalten als ich und als andere in meinem Alter. Ich erlebe das volle Ausmaß der Klimakatastrophe vielleicht nicht mehr, aber ihr schon. Das tut mir leid.“ Trotzdem ist Aufgeben für die 72-Jährige keine Option und sie kämpft weiterhin im Kleinen für das Klima. Am Ende mag es vielleicht nicht reichen, sagt sie, aber dann habe sie wenigstens ihr Bestes gegeben.
Von Indra Neumann
Beitrag erstellt am: 30.04.2020 um 08:59 Uhr
Letzte Änderung am: 30.04.2020 um 08:59 Uhr