Ich hätte wissen müssen, dass die fremdenfeindlichen Aussagen meiner FirmenkollegInnen nicht oberflächlich sind, als ich diese Ringe sah. Drei Ringe, sorgsam um die Finger der rechten Hand angelegt. Alle drei schimmerten im polierten Eisen. Jeder trug ein anderes Symbol, doch sagten alle dasselbe aus. Auf dem einen Ring erblickte ich das Eiserne Kreuz, auf dem zweiten versteckte sich, etwas kleiner als die anderen beiden Symbole, das Hakenkreuz. Weitaus bedrohlicher wirkte das Symbol der Waffen-SS auf dem dritten Ring. Etwas geschockt setzte ich mich neben meinen Sitznachbarn.
Ich hätte nie geglaubt, dass Personen hier den Mut besitzen, solche Symbole öffentlich in einem Restaurant zu tragen. Auf die Frage, ob er die Ringe öfter anziehe, erklärte er mir nicht ganz ohne Stolz, dass er sie nur auf der Arbeit nicht trage, aufgrund der erhöhten Verletzungsgefahr. Und mein Unbehagen verflüchtigte sich nicht. Eigentlich müsste ich protestieren, aufstehen und die liberale und bunte Gesellschaft verteidigen. Der Firma den Rücken zukehren, um zu zeigen, dass ich mit solchen Menschen nichts zu tun haben möchte. Doch ich habe von alldem nichts getan, sondern schlicht dagesessen und mitgehört. Die Gesinnung der meisten meiner MitarbeiterInnen war mir bekannt, die fremdenfeindliche Rhetorik geläufig. Es war für mich eigentlich nichts Neues, bis auf die Symbolik, die sich in mein Gehirn brannte. Mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und einer trügerischen Faszination konnte ich meine Augen nicht von den Ringen lassen.
Und so blieb ich still. Obwohl ich mich als eine Person einschätzen würde, die offen und klar seine Meinung sagt und der es egal ist, welche Meinung die anderen über sie haben. Und vor allem sehe ich mich als eine Person, die sich lautstark über die Passivität anderer beschwert, wenn über rassistische und/oder rechtsextremistische Aussagen hinweggesehen wird. Ich fordere von unserer Gesellschaft aufzustehen und solchen Äußerungen Paroli zu bieten. Und was machte ich in diesem Moment?
Ein einziges Mal stand ich auf – um auf die Toilette zu gehen. Warum? War es die Folge mit meinem Handeln den Arbeitsplatz zu verlieren? Oder das Gefühl, aufgrund meiner schlichten Unterlegenheit kein Gehör zu finden? Oder die Tatsache, dass sie mich als einer von der jüngeren Generation nicht ernst nehmen? Oder die schlichte Angst vor der Reaktion der Leute auf mein Handeln?
Die Antwort bin ich mir bis heute schuldig geblieben. Besonders schwierig erweist sich die Erkenntnis, dass ich sonst offen und klar meine Meinung präsentiere. Aber in dieser Situation bin ich meiner Demut und Angst gefolgt. Vielleicht spielt die Autorität eine große Rolle in dieser Situation. Unter meinen Arbeitskollegen genieße ich wenig Autorität, in den meisten Fällen sehen sie sich über mich stehend und bringen das auch zum Ausdruck. Teils begründet durch ihre langjährige Berufserfahrung, teils durch meine Passivität, da ich mich nie so richtig wohl gefühlt habe. Auch bedingt durch ihre politischen Einstellungen. Doch ist diese fehlende Autorität der einzige – und vor allem ein gerechtfertigter – Grund? Später am Abend auf der Rückreise fühlte ich mich schuldig. „Ich habe es nicht gewusst“, konnte ich nicht sagen.
Von Lucas Lorenz
Beitrag erstellt am: 23.03.2020 um 13:24 Uhr
Letzte Änderung am: 10.04.2020 um 13:04 Uhr
Über Lucas Lorenz
… fährt gerne mit dem Fahrrad durch das Bergische Land und probiert sich gerne an neuen Anstiegen aus. Regelmäßig fährt er auch zur Universität. Dort studiert er Geschichte und Medienkulturwissenschaften ohne sich viele Gedanken zu machen, wie seine Laufbahn danach aussieht.