Von Fantasie und Entwicklungspsychologie

Mangabild mit zwei Kindern
Foto: Studio Chizu

MIRAI – Das Mädchen aus der Zukunft ist der Titel des neuesten Animationsfilms des japanischen Regisseurs Mamoru Hosoda. Dieser gründete 2011 gemeinsam mit seinem Freund und Produzenten Yuichiro Saito das Animationsstudio Studio Chizu. Selbstredend sind die Animationen, die kleinen, gezeichneten Details, die typisch-japanischen Überspitzungen von Gesichtsausdrücken hervorragend anzusehen. Doch ist es vor allem der Tiefgang des Films, der überzeugt.

Der Film erzählt nämlich nicht nur die Geschichte eines vierjährigen, kleinen Jungen namens Kun, der mit der Tatsache, dass er nun nicht mehr das einzige Kind im Haus ist, leben muss, sondern ist gleichzeitig eine Abhandlung über das Geschichtenerzählen an sich und dessen Bedeutung nicht nur für das Kleinkind, sondern für jeden Menschen.

Mirai, also „Zukunft“ auf japanisch, lautet nicht nur der Titel des Films, sondern auch der Name des neuesten Familienmitglieds: Kuns neugeborene, kleine Schwester. Wie passend, denn Mirai wird den kleinen Kun immer wieder aus der Zukunft heraus besuchen, wenn dieser sich mal wieder von der neuen Situation vor den Kopf gestoßen fühlt. Auch andere Familienmitglieder wird Kun in verschiedenen Zeitabschnitten ihrer Leben treffen, fantastische Geschichten erleben und seine Lehren aus diesen Erlebnissen ziehen. Doch nicht nur er lernt etwas, auch wir Zuschauer lernen.

Wir lernen, dass der empfundene Schmerz eines Kleinkindes ebenso real ist, wie der Schmerz eines Erwachsenen. Und wir lernen, dass eine unglaubliche und fantastische Geschichte ebenso wahr sein kann, wie eine wirkliche.

Gefühlvoll führt der Film durch die schwierige Entwicklungsphase des Kleinkindes Kun. Wie ein jeder von uns, muss auch Kun die erschütternde Erfahrung machen, dass Mama und Papa nicht nur Mama und Papa sind, sondern Namen haben, Identitäten pflegen und er nicht einfach das Kind der Familie ist, sondern Kun, der große Bruder von Mirai. Die Geburt der kleinen Schwester entreißt ihn nämlich aus dem bekannten, vorgefundenen Idyll und zwingt ihn zur Auseinandersetzung mit sich und der Außenwelt und stiftet ihm letztlich Identität. Dieser lebenserschütternde Moment ist es, der Bewusstsein schafft. In der Inszenierung dieser entwicklungspsychologischen Selbstverständlichkeit zeigt sich der Tiefgang des Films, der nicht einfach unterhalten will und etwaige Werte zu vermitteln versucht, sondern künstlerisch wertvoll mit dem Medium Film wie auch pädagogisch verantwortungsbewusst mit seinen Zuschauer umgeht.

Mamoru Hosoda hat einen wunderschönen und klugen Film geschaffen, über den sich Kinder und Erwachsene freuen dürfen – abseits von Disney/ Pixar und Studio Ghibli.

Filmtitel: MIRAI – Das Mädchen aus der Zukunft
Regisseur: Mamoru Hosoda
Starttermin: 28.5.2019
Dauer: 98 Min
Genre: Animation, Fantasy, Drama

Von Özgün Kaya

Beitrag erstellt am: 02.05.2019 um 14:22 Uhr
Letzte Änderung am: 09.11.2019 um 13:16 Uhr

… studiert Philosophie und Geschichte. Am liebsten sieht er Filme.