Im letzten Teil der Interview-Reihe unterhalte ich mich mit Sevgi, die unter ihren KommilitonInnen für gewöhnlich zu den Ältesten gehört und an Lebenserfahrung einiges voraushat. So exotisch, wie das klingt, ist es zwar gar nicht, denn auf den ersten Eindruck ist auch sie auch eine ganz normale Studentin. Trotzdem frage ich mich, ob eine Studierende wie sie die gleichen Probleme und Phasen durchlebt wie ein/e frischgebackene/r SchulabgängerIn.
Sevgi Çiftçi (40)
…hat Musikwissenschaft und Kunstgeschichte studiert und möchte es im Master auch noch weiterhin tun. Nach Köln kam sie schon vor ihrem Studium, als sie noch voll im Berufsleben stand. Jetzt arbeitet sie im musikwissenschaftlichen Institut als studentische Studienberatung und beruhigt dort auch panische ErstsemesterInnen.
Das Studieren war für mich immer ein bisschen Lebenstraum, vor allem Musikwissenschaft. Schon in der Schulzeit habe ich davon geträumt, irgendwas mit Musik zu machen. Für ein Musikinstrument haben aber einfach meine Fähigkeiten nicht ausgereicht. Von Musikwissenschaft habe ich dann erst gehört, als ich schon in meiner Ausbildung war. Ab da geisterte das immer irgendwie in meinem Kopf rum. Und irgendwann hatte ich dann auch die finanzielle Möglichkeit, mich immatrikulieren zu können. Erst wusste ich nicht genau, welches Fach ich im 2-Fach-Bachelor dazunehmen sollte. Aber Kunstgeschichte wurde unerwartet ein totaler Volltreffer! Jetzt überlege ich sogar, den Master in Kunstgeschichte zu schreiben.
Mein Vorsatz war, nach zwei Wochen zu wissen, ob ich fertig studiere oder nicht. Das ist natürlich völlig utopisch. Ein Freund von mir hat das auf die Spitze getrieben, indem er mich nach drei Wochen gefragt hat, ob ich denn den Master machen würde. Das wusste ich nach zwei Wochen alles natürlich noch nicht.
Das kann ich gar nicht so genau sagen. Ich war einfach sehr gespannt, wie es wird. Ich war auf ein paar negative Dinge eingestellt, die aber nicht eingetreten sind. Das war dann im Nachhinein eine Freude. Ich hatte zum Beispiel Bedenken vor unangenehmen, völlig überfüllten Vorlesungssälen. Und die Angst, zu scheitern. Gerade weil das als Versuch gestartet ist und nicht als „Ich mach hier meinen Bachelor und auf jeden Fall meinen Master“. Ich dachte: Verstehe ich das überhaupt, was man hier von mir will, komme ich überhaupt mit? Oder wird das eine ganz anstrengende Ich-muss-mir-alles-erarbeiten-Kiste? Das waren Sachen, auf die ich eingestellt war, die sich in meinen Fächern aber nicht – oder nicht immer – bestätigt haben. Ich wurde von sehr vielen Dingen positiv überrascht.
Ganz ehrlich, ich bin von meinen KommilitonInnen einfach sehr überrascht. Klar, Idioten gibt es immer. Aber wenn ich bedenke, dass Studierende mit im schlimmsten Fall siebzehn an die Uni kommen oder mit Anfang zwanzig meine KommilitonInnen sind, ziehe ich wirklich den Hut. Ich war in dem Alter nicht so und hätte das auf keinen Fall geschafft. Vom Selbstbewusstsein her und auch von der Reife. Da hat ein Großteil meiner KommilitonInnen einfach meinen Respekt.
Es gab immer mal Zweifel. Die drehten sich meist um fachliche Kompetenz und die Unsicherheit, mich tatsächlich in einem akademischen Umfeld bewegen zu können. Hier wirklich mitmachen zu dürfen. Ich finde es immer noch erstaunlich, dass einige DozentInnen und ProfessorInnen tatsächlich an meiner Meinung interessiert sind. Das rechne ich denen hoch an. Was habe ich als noch nicht mal bachelor-fertige Studentin schon einem/r ProfessorIn großartig mitzuteilen? Aber es gibt doch DozentInnen und ProfessorInnen, die darauf Wert legen. Das hätte ich nicht gedacht.
Beides. Am Anfang ging es wirklich primär um das Wissen. Ich habe es als Privileg empfunden, das alles mitnehmen zu können. Da musste ich irgendwann aber ein bisschen selektieren, weil einen die Menge ansonsten völlig überfordert. Jetzt aktuell – das ist aber auch der Endphase und der Bachelorarbeit geschuldet – ist natürlich der Abschluss sehr wichtig. Wenn du mich zum Masterbeginn noch mal fragst, werde ich wahrscheinlich wieder auf das Wissen setzen und dann noch mal drei Semester weiter werde ich sagen: Ich will den Abschluss!
Es hat sich einiges an meiner Einstellung getan. Das vorurteilsbehaftete Bild vom Studierenden, der morgens nicht aus dem Bett kommt und vor sich hindümpelt und nichts Vernünftiges macht, das hat sich ein bisschen revidiert. Vieles sieht tatsächlich von außen so aus. Und wenn ich das mit dem Berufsleben vergleiche – ich habe diese 40-Stunden-Wochen ja schon gehabt – haben Studierende tatsächlich mehr Freizeit, aber das ist nicht gleichbedeutend mit faul auf der Wiese rumliegen und sich sonnen. Das muss man unterscheiden. Gerade in geisteswissenschaftlichen Fächern – und das wird auch gesellschaftlich total unterschätzt – braucht man diese Phasen und die Zeit, um nachzudenken und bestimmte Dinge einfach mal wirken zu lassen. In der Beziehung hat sich die Einstellung Studierenden gegenüber bei mir definitiv verändert. Ich hatte nie ein Verständnis für die Arbeit, die die Studierenden leisten. Woher auch, wenn ich nicht selber studiert habe.
Ja. Das ist etwas, von dem ich nicht gedacht hätte, dass es passiert.
Es gab ein paar Referate, auf die ich – naja, nicht stolz bin, aber bei denen ich schon das Gefühl habe: Hab‘ ich gut gemacht. Genau so geht‘s mir mit meinem Latinum und mit zwei Hausarbeiten. Es gibt auch ein paar Veranstaltungen außerhalb des Lehrplans, die wirklich schön waren: Weihnachtsfeier, Sommerfest, Sachen von der Fachschaft oder auch Konzerte im Institut oder so.
Das sage ich hier nicht (lacht). Hm. Wenn Studierende versuchen, nur durch äußere Wirkung, Schmeicheln und fremde Hilfe durchs Studium zu kommen. Und schlecht vorbereitete Referate. Ich meine, es ist immer die Frage, woran es liegt. Aber ich finde es nicht richtig, wenn das dann nicht kommentiert wird. Wenn der Studierende sich setzt und dazu kein Feedback kriegt. Das hat mich immer gestört. Ich hätte mir an der Stelle konstruktive Kritik gewünscht. Aber es gibt da diese Einstellung von Dozierenden, dass man nicht an der Uni sei, um Referate halten zu lernen.
Ganz ehrlich, da gibt’s so und so. Wichtig ist einfach, dass man herausfindet, mit wem man gut zusammenarbeiten kann: Sagt einem die Arbeitsweise eines Dozierenden zu? Und ich persönlich finde auch die menschliche Art sehr wichtig. Es gibt KommilitonInnen, die können das sehr gut trennen. Ich kann das nicht.
Gar nicht so dramatisch. Das liegt aber auch daran, dass ich überwiegend Hausarbeiten geschrieben habe. Dadurch, dass man da nicht unbedingt unter zeitlichem Druck steht, war das immer ganz gut. Selbst wenn ich den Abgabetermin nicht geschafft habe, habe ich mich einfach abgemeldet und es aufs nächste Semester geschoben. Das ist aber Fluch und Segen zugleich: Eine Hausarbeit habe ich mehrere Semester mit mir rumgeschleift. Und eine mündliche Prüfung hat mich echt Nerven gekostet, aber das war eher die eigene Panik. Die Prüfung an sich war echt toll. Hinterher war ich ein bisschen traurig, dass sie vorbei war. Völlig fertig nächtelang lernen musste ich aber nie.
Ich kann sehr schlecht alleine arbeiten. Also meistens immer dann, wenn ich mich durch irgendwelche Hausarbeiten – im aktuellen Fall auch die Bachelorarbeit – alleine gequält habe. Auch eine Bibliothekssituation ist für mich Alleinsein. Das Latinum war auch noch mal eine Durststrecke. Dafür habe ich ein komplettes Semester frei gemacht. Aber das war nie so weit, dass ich sage, ich schmeiß hin. Sondern es war immer die Frage für mich, wie ich das jetzt hinkriege. Zähne zusammenbeißen und durch oder irgendwie die Rahmenbedingungen verbessern.
Das Realisieren braucht immer noch Zeit. Gleichzeitig muss ich mir aber auch sagen: Es ist ein Bachelor, nicht mehr und nicht weniger. Für mich persönlich ist es natürlich toll und ich könnte durch die Gegend hüpfen und „Hurra“ schreien, aber die Welt um mich herum ist immer noch die alte.
Ehrlich gesagt, ja. Ich hätte nicht gedacht, dass das Studium einen persönlich so sehr weiterbringt. Für mich hat sich auf jeden Fall der Horizont geöffnet. Die Dozierenden haben im Laufe des Studiums immer wieder betont, dass meine Fächer nichts mit Auswendiglernen zu tun haben. Man lernt vielmehr unglaublich viel über das Recherchieren: Wo finde ich welche Informationen, wie gehe ich damit um, was kann ich daraus interpretieren oder eben nicht interpretieren. Und Kontexte zu berücksichtigen, solche Sachen. Vor allem lernt man, über den Tellerrand zu schauen. Man darf hingegen nicht erwarten, am Ende über ein bestimmtes Themenfeld vollkommen Bescheid zu wissen. Das ist nicht der Fall und nicht das Ziel.
Um Gottes Willen, nein. Ich habe mich von Anfang an nicht mit dem Anspruch immatrikuliert, in sechs Semestern fertig zu sein. Ich wusste durch meinen Freundeskreis schon seit die Regelstudienzeit eingeführt wurde, dass das mehr eine Lachnummer als ein ernstzunehmendes Kriterium ist. Ich habe mir selbst acht bis neun Semester Zeit gegeben. Jetzt bin ich im zehnten, das ist auch okay für mich. In dieser Zeit habe ich einen Nebenjob gehabt, mich in der Fachschaft engagiert, das Latinum nachgeholt und ein riesengroßes Nähprojekt verwirklicht. In der Mehrzeit habe ich mich also auch weiterentwickelt, es ist somit gar keine verlorene Zeit.
Ich könnte da keine Gewichtung reinbringen. Beides hat seine Herausforderungen, weil sich beides ja auch bedingt. Wenn das Privatleben nicht in Ordnung ist, dann funktioniert das Studium auch nicht gut.
Ich glaube, viele Freundschaften sind temporär und lösen sich auf, wenn das verbindende Element des Studiums fehlt. Aber eine Handvoll von Leuten wird sicher bleiben.
Ich hab‘ ganz regulär meine Wohnung bewohnt, die ich schon vor dem Studium hatte. Damit zahle ich auch eine Miete, die heutzutage unterdurchschnittlich ist. Ich bedauere jede Kommilitonin und jeden Kommilitonen, der auf Wohnungssuche ist, und finde die Notschlafstelle des AStA eine tolle Aktion. Aber ich bin einfach erschüttert darüber, dass so etwas überhaupt notwendig ist.
Karneval!
Das klingt voll klischeehaft, aber es ist der Dom. Der ist irgendwie wichtig. Aber das macht sich gar nicht so sehr am Ort fest, Köln an sich ist einfach wichtig und die Nähe zu meinem Netzwerk.
Ich glaube, ich würde ihm gerne glaubhaft sagen können, dass das alles überhaupt nicht so schlimm ist. Und man alles gar nicht so panisch sehen muss, wie ich das getan habe. Das sehe ich in vielen Erstsemestern, die einfach eine Grundpanik mitbringen. Das ist überhaupt nicht notwendig.
Dieses Interview wurde geführt im Sommer 2018
Von Jana Niedert
Beitrag erstellt am: 18.04.2019 um 09:56 Uhr
Letzte Änderung am: 09.11.2019 um 23:19 Uhr