#innehalten

Farbklecks
Das Leben, ein bunt durchwühlter Fleck voller Stress, Druck, aber auch schönen Dingen, wenn man sie ergreift. Foto: Natalja Tschupin

Manchmal, meistens an Sonntagen, kommt mein Leben mir vor wie eine gemütliche Riesenradfahrt. Ich steige ein, lasse mich durch die Luft schaukeln, bewundere meine Umgebung, die Aussicht, die frische Luft, erfreue mich der angenehmen Fahrt und trudle nach einigen Genussmomenten wieder am Startpunkt ein. Diese Tage sind wie ein genüssliches Schaumbad für meine Seele. Leider sieht meine Realität ganz oft anders aus.

Denn an den meisten Tagen ist mein Leben eher eine wilde Achterbahnfahrt. Ein Fahrgeschäft, das ich nur besuchen kann, wenn ich drei Stunden vorher nichts gegessen habe, weil es mir sonst wieder hochkommen würde, und welches ich seit einem bestimmten Alter unweigerlich mit einem flauen Gefühl im Magen und einem schmerzenden Kopf verlasse.

An den meisten Tagen werden mein Körper und Geist vom Leben richtig herumgeschubst. Da geht es morgens nach dem Aufstehen schon los: Nachrichten checken, Mails lesen, hastig eine Runde laufen gehen, weil es abends ja knapp wird, dann das Frühstück vor dem aufgeklappten Laptop verspeisen, eben am Handy ein Arzttermin bestätigen und eine Verabredung verschieben. All das muss hastig geschehen, dann mache ich mich auf den Weg zur Arbeit, höre dabei noch flott einen Podcast, weil Neues lernen wichtig ist und essentiell.

Bei der Arbeit versuche ich tausend Dinge gleichzeitig zu erledigen, es allen recht zu machen, gut, schlau, schnell zu sein. Um 18 Uhr ist meine Arbeit geschafft und mein Gehirn Brei. Ich radle nach Hause, mit diesem leicht flatterigen Gefühl im Bauch, das nach zu viel Kaffee oder zu großer Aufregung oder zu wenig Schlaf entsteht. Ich schlinge eine Portion Müsli herunter und setze mich gleich wieder an den Laptop, mache, tue, schaffe. Uni-Aufgaben erledigen sich ja nicht von selbst.

So richtig produktiv bin ich trotzdem nicht. Liegt vielleicht daran, dass mein Kopf verzweifelt damit beschäftigt ist, den Haufen wild darin herumfliegender Informationen zu bändigen. Wenn ich dann endlich abends im Bett liege, kann ich nicht schlafen, weil die Achterbahnfahrt des Tages dieses eine verflixte Gefühl in mir hinterlässt: Unruhe.

Ich frage mich, warum ich so oft einfach von Aufgabe zu Aufgabe lebe. Ich akzeptiere mich, weil ich produktiv bin, weil ich schaffe und leiste und mache. Weil ich Erwartungen erfülle, Menschen gerecht werde. Vielleicht, weil ich bewundert werden möchte. Und weil es in unserer Gesellschaft von den meisten Menschen verlangt wird, schnell zu sein, viel zu machen, alles zu können.

Aber schaue ich dabei auch auf mich selbst? Oder fliegen so das eigentliche Leben, der Spaß und der Genuss und die ruhigen und nachdenklichen und zeitgefüllten und innigen Momente an mir vorbei, sodass ich irgendwann zurückschaue und einen einzigen, schnell vorbeigezogenen Moment sehe, der mich höchstens flüchtig berührt?


Vielleicht wäre es gut, meinen Alltag zu verändern. Nicht meine Freundschaften, meine Hobbies oder Vorlieben. Die kenne ich ja ganz gut. Sondern einfach meine Einstellung zum Leben und zum Erleben. Ich muss nicht perfekt sein. Ich muss nicht immer produktiv, nicht immer Leistungsträger sein. Ich muss nicht einmal immer funktionieren. Stattdessen wäre es vielleicht gut, einfach mehr zu leben. Mehr in mich hinein zu fühlen, mich mit meinem Inneren zu verbinden, meinem Körper und Geist zuzuhören.

Ich möchte öfter einfach mal tief durchatmen. Möchte öfter dankbar sein. Kleine Pausen in meinen Alltag einbauen, um Erlebtes verarbeiten und verinnerlichen zu können. Und vielleicht hin und wieder auch mal rasten, ohne zwangsläufig zu rosten.

Innehalten kann ganz schön schwer sein, gerade in unserer leistungs- und optimierungsbesessenen Gesellschaft. Und doch bin ich mir
sicher, dass es eine der wichtigsten Aufgaben für uns ist, genau das wieder zu lernen.

Denn vielleicht werden wir dann feststellen, dass wir die Erfüllung, der wir im Alltag mit Mordstempo hinterhersprinten, eigentlich erst dann finden, wenn wir langsamer werden und den Weg genießen. Und währenddessen vielleicht sogar noch Zeit haben, Weggefährten zu finden oder die wunderschöne Landschaft um uns herum zu bewundern.

Von Theresa Althaus

Beitrag erstellt am: 30.03.2019 um 09:45 Uhr
Letzte Änderung am: 09.11.2019 um 23:22 Uhr