„Mir zu Ehren ist hin und wieder schon ein Schwein geschlachtet worden“

Gruppe mit einem Missionar
Der Missionar Siegfried Zöllner (links) mit einer Gruppe von Yalis. Foto: Siegfried Zöllner

Siegfried Zöllner hat als Missionar dreizehn Jahre in Indonesien gelebt und gearbeitet. Im Interview mit der Philtrat erzählt er von seinen Erfahrungen und Erlebnissen während dieser Zeit, die ihn für sein ganzes weiteres Leben geprägt hat.

philtrat: Sie haben von 1960-1973 mit Ihrer Familie als Missionar in Angguruk, einem kleinen Dorf im westlichen Teil der Insel Neuguinea, gelebt und gearbeitet. Mit welchen kulturellen Unterschieden wurden Sie konfrontiert?

Zöllner: Die Yalis lebten in selbstgebauten Rundhütten mit Blätter-oder Rindendach. Um Baumaterial oder Brennholz herzustellen, nutz­ten sie Steinbeile. Sie lebten lediglich von Süßkartoffeln, Bananen, Zuckerrohr und Blattgemüse und bestellten ihre Felder mit einem hölzernen Grabstock. Jeder Mann trug immer einen Bogen und ein Bündel Pfeile bei sich. Bei den zahlreichen Gefechten zwischen den Dörfern gab es oftmals Tote. Zu Beginn meiner Zeit in Angguruk konnte es sogar vorkommen, dass diese von den Dorfbewohnern verzehrt wurden. Viele Menschen halten Kannibalis­mus ja für einen Mythos, bei den Yalis gehörte er allerdings tatsächlich zum Alltag.

Wie kam es, dass Sie ausgerechnet dorthin zogen?

Das Hochland in West-Neuguinea war bis dahin noch teilweise unerforscht. Nur aus dem Flugzeug hatte man gesehen, dass sich dort Dörfer befanden. Die einheimische Kirche in West-Neuguinea, die schon seit der Jahrhundertwende bestand, hatte mit der deutschen Kirche vereinbart, eines dieser unbekannten Gebiete zu erschließen und eine Missionsarbeit aufzubauen. Ich war bereit diese Aufgabe zu übernehmen und lebte mit meiner Frau und meinen Kindern bis 1973 unter dem Yali-Volk in Angguruk im Hochland Neuguineas.

Was waren Ihre Hauptaufgaben in Angguruk?

Meine wichtigste Aufgabe war, die christliche Botschaft so in die Lebenswelt der Yali zu übersetzen, dass sie selbst ihre Kultur von Krieg und Blutrache hinterfragten und ihr Leben änderten. Es galt also, ein gutes Verhältnis zur Bevölkerung zu schaffen und Vertrauen aufzu­bauen. Dazu war es wichtig, die Yali-Sprache zu lernen, welche übrigens sehr kompliziert ist und sich stark vom herkömmlichen Indonesisch unterscheidet. Anfangs bin ich immer mit Stift und Block umhergelaufen und habe mir jedes unbekannte Wort sofort aufgeschrieben. Je besser ich mich in der Sprache bewegen konnte, desto besser wurde der Kontakt und somit auch die Beziehung zu den Dorfbewohnern. Im Laufe der Jahre habe ich ein Wörterbuch erarbeitet, das in diesen Tagen vom linguistischen Institut der Universität zu Köln herausgegeben wird.

In welchen Verhältnissen haben Sie und Ihre Familie im Dorf der Yalis gelebt?

Wie die Yali haben wir nicht gelebt – wir hatten nach wie vor Verbindungen zur Außenwelt und haben in einem Steinhaus gewohnt. Über eine kleine Landebahn, die wir dort anlegten, wurden wir regelmäßig mit Lebensmitteln und auch Medikamenten versorgt. Zu unserem Team gehörte auch ein Arzt, der eine kleine Krankenstation eröffnete und an Tropenkrankheiten erkrankten Yalis mit einfachen und effizienten Tricks schnell helfen konnte. Er galt anfangs als Zauberer und seine Arbeit hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Dorfbewohner Vertrauen zu uns schöpften.

Drei Menschen im Bild

Welche Auswirkungen hatte Ihre Arbeit auf die Dorfgemeinschaft? Hat sich innerhalb der dreizehn Jahre, in denen Sie dort waren, viel verändert?

Am meisten gefreut hat mich, dass die verfeindeten Dörfer nach 10 Jahren ein offizielles Friedensfest gefeiert haben. Die intensive Arbeit unseres Teams hat viel dazu beigetragen. Vor allem das Verin­nerlichen der christlichen Leitmotive sowie das Befolgen der zehn Gebote haben die Dorfbewohner dazu gebracht, insgesamt friedlicher miteinander umzugehen. Ein anderer langfristiger Erfolg unserer Tätigkeit war die Verbesserung der Ernährung der Dorfbewohner: Unser Team hat Hühner eingeführt, die dort vorher unbekannt waren, und die Leute wurden mit Erdnüs­sen, Mais und nahrhafteren Süßkartoffelsorten bekannt gemacht. Schweine, die früher nur zu religiösen oder sozialen Zeremonien ge­schlachtet wurden, gehören heute zur gewöhnlichen Nahrung. Durch die Ernährungsumstellung werden die Yalis nun insgesamt seltener krank. Unser Bildungsprogramm und das Errichten von Schulen ha­ben dazu geführt, dass viele Yalis heute als Lehrer und Regierungsbeamte arbeiten.

Was vermissen Sie besonders aus Ihrer Zeit in Indonesien?

Mich hat insbesondere das intensive Kennenlernen einer fremden Sprache und Kultur bereichert, die vielen Mythen und Märchen, die mir erzählt wurden und die ich ge­sammelt habe. Ich vermisse den zwanglosen Umgang mit allen Mitarbeitenden und den freundlichen Menschen. Wenn wir unterwegs wa­ren, haben wir zum Beispiel nie das Haus abgeschlossen. Wir brauchten keinen Termin abzusprechen, wenn wir uns mit Mitarbeitenden austauschen wollten, sondern schauten einfach bei ihnen vorbei. Das war irgendwie angenehmer als hier in Deutschland.

Sind Sie nach dreizehn Jahren Missionsdienst freiwillig nach Deutschland zurückgekehrt?

Ich habe Angguruk mit einem lachenden und einem weinenden Auge verlassen. Aber für unsere drei Kinder, die in Westneuguinea geboren worden waren, wurde es Zeit, das deutsche Schulsystem kennen zu lernen. Auch ich musste beruflich wieder Fuß fassen. Die Kirche hat es mir erleichtert, ich konnte mich sofort auf offene Pfarrstellen bewerben und habe schließlich schnell eine Stelle finden können.

Sie haben das Glück, in regelmäßigen Abständen nach Angguruk zurückkehren zu können. Haben sich die Zustände in Angguruk seit Ihrer Abreise erneut verändert?

Mein Eindruck ist, dass viele junge Leute aus dem ländlichen Indonesien heute in die größeren Städte ziehen. Dort haben sie mehr Möglichkeiten, können sich weiterbilden und einen profitableren Beruf erlernen. In Angguruk fehlen, wie in vielen ländlichen Gebieten Indonesiens, Schulen, Lehrer und Krankenstationen. Die Regierung hat leider wenig Interesse an der Entwicklung dieser Gebiete.

Gibt es denn auch Dinge, die Sie positiv überraschen, wenn Sie nach Angguruk zurückkehren?

Eins der schönsten Dinge ist wohl der warme Empfang, wenn ich nach einiger Zeit zurückkehre. Mir zu Ehren ist hin und wieder schon ein Schwein geschlachtet worden. Auch die akademisch gebildeten Yalis, von denen es heute einige gibt und die sich oftmals aktiv für ihr Heimatdorf einsetzen, sind eine Bereicherung. In Eigeninitiative der Yali entstand ein Alphabetisierungsprogramm und es wurden Hilfslehrer ausgebildet, die in ihrem Heimatdorf tätig wurden. Natürlich ist die Förderung des Yali-Volkes ein langfristiges Projekt.

Ein Missionar, oder „Gesandter“, ist ein Mensch mit starkem Gottesglauben, welcher in fremde Länder reist, um deren Bewohner von seiner Religion zu überzeugen. Aufgrund neuer technischer Möglichkeiten war es in den 1960er-Jahren erstmalig möglich, bisher unerforschte Gebiete in Indonesien zu ergründen. In diesem Zuge entstand eine Missionsbewegung. Den Menschen in Indonesien sollte geholfen und die Möglichkeit zur Zivilisation und Bildung gegeben werden.
Mehr zum Thema: Zöllner, Siegfried: Vergessene Welt: Erste Begegnung mit den Yali im Bergland von West-Papua, Wahine Verlag Susanne Reuter, 2013.

Von Theresa Althaus

Beitrag erstellt am: 21.06.2018 um 12:12 Uhr
Letzte Änderung am: 10.11.2019 um 20:50 Uhr