In der heutigen Zeit sind wir eigentlich alle immer und überall zu erreichen, ziemlich praktisch. Daher sind wir zwar meistens auf dem neusten Stand, fühlen uns aber teilweise auch überhäuft von Nachrichten, E-Mails oder Anrufen. Und dann passiert es, man liest eine Nachricht und denkt sich: „Ach, die beantworte ich später“. Manchmal dauert das ein paar Stunden, manchmal ein paar Tage oder Wochen. Doch was passiert, wenn man überhaupt nicht antwortet? Auf keine einzige der unzähligen Nachrichten von der eigentlich besten Freundin?
Der Begriff Ghosting kommt aus dem Englischen und bezeichnet den Zustand des Verschwindens. Des Beendens von Beziehungen auf eine ziemlich drastische Art und Weise. Das kann jede Art von Beziehung sein, eine Liebesbeziehung, enge oder auch nicht so enge Freundschaften, aber auch familiäre Beziehungen.
Wirklich neu ist das Phänomen natürlich nicht. Mit Sicherheit haben auch schon unsere Großeltern Freundschaften oder engere Beziehungen verloren, doch wie so einiges geht das im 21. Jahrhundert viel schneller als vor 60 Jahren. Nicht nur schneller, sondern auch offensiver ist das „Entfreunden“ geworden. Nicht auf WhatsApp-Nachrichten, Emails oder Anrufe zu reagieren, passiert heute nicht mehr aufgrund technischer Störungen oder Funklöchern, sondern mit voller Absicht. War es früher der „worst case“ per SMS Schluss zu machen, so hat man heute wohl eher Glück, wenn überhaupt noch eine Nachricht geschrieben wird, bevor alles zu Ende ist.
Gründe für das Ghosting können in erster Linie Überforderung, Unzufriedenheit oder Ängste sein. Die Unsicherheit, ob der Partner wirklich der Richtige ist oder die Frage, ob man wirklich die Ansichten seiner besten Freundin teilt. Das ungute Gefühl, das man auf einmal hat, wenn man Zeit mit der Person verbringt oder Kontakt mit ihr hält. Es wird mit der Zeit immer größer und gipfelt schließlich darin, dass man es nicht mehr schafft, sich bei der Person zu melden. Vor allem für denjenigen, der sich in der Beziehung noch wohl fühlt, kann das Ghosting ziemlich schmerzhaft sein. Mit einem Mal verschwindet ein vertrauter Mensch freiwillig aus dem eigenen Leben, meldet sich nicht mehr, ist nicht mehr zu erreichen und hat keinerlei Interesse mehr an einer Freundschaft. Aus täglichem Kontakt wird Funkstille. Selbstzweifel tauchen auf und die Frage, ob und was man falsch gemacht hat.
Noch häufiger als in freundschaftlichen Beziehungen taucht das Phänomen Ghosting wohl in Liebesbeziehungen auf und vor allem dann, wenn diese noch nicht eindeutig betitelt sind. Ein, zwei oder fünf interessante Dates, das reicht. Einfach nicht mehr antworten und so tun, als wäre nichts passiert. Für diese Reaktion können neben Unsicherheit natürlich auch Egoismus und Arroganz Auslöser sein. Immer mehr, vor allem junge Leute, machen es sich auf diese Art und Weise leicht. Das Interesse am Gegenüber ist verschwunden und ohne Rücksicht auf Verluste wird ein Schlussstrich gezogen. Laut einer US-Umfrage aus dem Jahr 2014 tritt Ghosting vor allem im Alter von 18-29 Jahren auf. Das ist wohl hauptsächlich durch die hohe Nutzung von sozialen Netzwerken und verschiedensten Messenger Diensten zu erklären. Auf diesem Weg können die Betroffenen einer verbalen Auseinandersetzung aus dem Weg gehen und müssen sich für ihr Handeln und ihre Gefühle nicht mehr rechtfertigen. So ist der Kontakt schnell abgebrochen und das unangenehme Gespräch, in dem man erklären muss, warum es nicht passt wird umgangen. Vor allem entfällt die Auseinandersetzung mit der Antwort des Partners, die meistens ebenso Kritik enthält. Das eigene Ego wird nicht angegriffen und man kann sofort zum nächsten Date übergehen.
Natürlich kommt es heutzutage auf Grund der Mobilität auch häufiger zu Fernbeziehungen oder Freundschaften, die durch viele Kilometer getrennt werden. Das macht das Ghosting leicht.
Ghosting, ein Phänomen unserer heutigen modernen Welt. Einfach ohne ein Wort verschwinden, Kontakt abbrechen und von vorne anfangen, wohl nicht der fairste und mutigste Weg sich seinen Problemen zu stellen. Eine Lösung für die Probleme zu finden, die das Ghosting hinterlässt, ist schwer. Schließlich geht es doch in erster Linie um Menschlichkeit und den Willen, dem Anderen mit Respekt gegenüber zu treten.
Von Nina Blumenrath
Beitrag erstellt am: 08.12.2017 um 13:00 Uhr
Letzte Änderung am: 10.11.2019 um 21:54 Uhr