Wem gehört die Stadt?

Reiterstatue
Friedrich Drake: Kaiser Wilhelm I., 1859- 1867, Hohenzollernbrücke. Foto: Clara Bolin

Skulpturen und Urban Art zwischen ewigem Erinnerungsanspruch und dem Fluss der Zeit.

„Die Stadt, die es nicht gibt“ war der Titel des diesjährigen City Leaks Festivals. Das Kölner Urban Art Festival, das es seit 2011 gibt, startete Anfang September in die dritte Runde. In dessen Rahmen fanden Street Art Führungen durch Köln, Ausstellungen, Workshops und Diskussionsrunden statt. Dabei standen nicht nur Graffiti und Street Art als Kunstform im Zentrum, sondern auch der öffentliche Raum und dessen Gestaltung. Wem gehört die Stadt? Wer gestaltet diese? Und: Wie lange muss ein Kunstwerk bleiben?

Kunst im öffentlichen Raum

Zum öffentlichen Raum gehören auch Parks und Plätze, die wir begehen und in denen wir uns täglich bewegen. Dabei kommt jeder von uns mit ihrer Gestaltung in Berührung, beispielsweise durch Springbrunnen, Skulpturen, Blumen und Lichtführung. Neu sind allerdings Skulpturen in Parks und Plätzen nicht. Sie haben als Kunst im öffentlichen Raum ihre Ursprünge im 18. Jahrhundert. Aufgrund zunehmender Legitimationsproblematiken entdeckten die Herrscher in der Skulptur eine neue Propagandaform und rückten ihre Abbilder auf zentrale Plätze. Die Herrscherskulpturen in mächtiger Stand- oder Reiterpose sollten von möglichst vielen Passanten wahrgenommen werden und sich einen Platz im kollektiven Gedächtnis verschaffen.

Ein eindrucksvolles Beispiel dieser Art Propaganda bietet die Hohenzollernbrücke in Köln. Vier Reiterstandbilder preußischer Könige und deutscher Kaiser rahmen die Zu- und Abfahrt ins Zentrum. Rechtsrheinisch umsäumen Kaiser Wilhelm I. und König Friedrich Wilhelm IV. die Bahntrasse, linksrheinisch Kaiser Wilhelm II. und Kaiser Friedrich III. Die Denkmäler erinnern an die Regentschaft jener Familie. Symbolhaft stehen sie als Teil des politischen Programms der wilhelminischen Preußen an einem strategischen Knotenpunkt seit über 100 Jahren unverändert (beziehungsweise nach dem Krieg wieder aufgebaut) und begrüßen und verabschieden jeden Reisenden.

Ob als Preußen erkannt oder nicht, alle BewohnerInnen Kölns kennen einige Skulpturen der Stadt. Dabei ist auch das Verhältnis von Skulptur und Geschlecht interessant. Männliche Skulpturen haben oftmals die Form von Reiterstandbildern oder Statuen, beispielsweise Albertus Magnus von Gerhard Marcks auf dem Albertus-Magnus-Platz. Weibliche Skulpturen hingegen finden sich vermehrt in Parks und Grünanlagen, häufig in mythologischem oder allegorischem Zusammenhang wie Gaea, ebenfalls von Marcks, oder die Sinnende von Ludwig Kasper.

Nude vs. naked

nackte Statute mit Mantel
Gerhard Marcks: Eva II., 1947, Rheinpark. Foto: Clara Bolin

Gaea und Die Sinnende stehen im Rheinpark, der zahlreiche Skulpturen aus dem frühen 20. Jahrhundert besitzt, die diese geschlechtlichen Unterschiede verdeutlichen. Quantitativ sind nackte Frauenskulpturen überlegen, die sitzend oder stehend einen eher passiven Eindruck hinterlassen. Der britische Kunsthistoriker Kenneth Clark prägte 1956 den Begriff der Nude, mit dem seiner Meinung nach der nackte Aktkörper den Idealkörper in Malerei und Skulptur repräsentiere. Die Gaea als Nude erhält dadurch Aussagekraft über den Diskurs des frühen 20. Jahrhunderts zu Nacktheit und dem idealen Körper. Im Falle der Skulpturen im Rheinpark wird das sensualistische Ideal deutlich, in dem die Frauenkörper auf die auffallendsten weiblichen Körpermerkmale reduziert sind. Der Nude stellt Clark „naked“ gegenüber, den entkleideten Körper, der das peinliche Bewusstsein der Nacktheit hervorruft und einer Verletzung der Privatsphäre gleicht.

In den letzten Jahren scheinen eben diese Nudes des frühen 20. Jahrhunderts verstärkt als entkleidete Körper wahrgenommen zu werden. Farbe oder Kleidung verdecken den weiblichen Körper, wodurch die Nacktheit der Frauen erst hervorgehoben wird. Immer häufiger sind diese anonymen Eingriffe, sei es aus peinlicher Berührung oder emanzipatorischem Aufbegehren heraus, in Form von Bemalung, Bekleidung oder Beklebung an Skulpturen zu beobachten. Die Veränderung der Skulpturen zeigt, dass die einstige Wertschätzung der Figuren vergangen ist: sie werden nicht länger als aktuell und passend empfunden. Dadurch kommt die Frage nach dem permanenten Status der Skulpturen auf: Wie lange muss eine Skulptur unverändert an einem Ort stehen? Wie lange muss sie an historische Personen erinnern? Und wie lange muss das Körperideal einer vergangenen Zeit in eine andere hineinragen?

(Mit-)Gestaltung des öffentlichen Raums

Schrift
Unbekannter Künstler, gesehen im Vorgebirgspark, Sommer 2015. Foto: Clara Bolin

Der öffentliche Raum und seine künstlerische Gestaltung sind nicht länger von städtischen oder kommunalen Institutionen bestimmt, die über die Aufstellung von Skulpturen und deren permanenten Anspruch entscheiden. Blick und Gebrauch auf eben diesen öffentlichen Raum haben sich verändert, sicherlich auch durch den Beitrag von Graffiti und Street Art seit den 1970er Jahren. Diese verfolgen seit jeher einen anderen Ansatz. Permanenz oder Autorschaft spielen eine untergeordnete Rolle. Dass manche Kunstwerke nur kurz zu sehen sind, steigert sogar ihre Exklusivität. Erhalten bleiben sie nur in Foto- oder Filmdokumentationen. Urban Art nimmt stark am öffentlichen Raum teil, interagiert mit ihm, sodass aus „Drop your pants and dance dance dance“ am Volksgarten durch den Regen „op your ants and dance da c an e“ wurde, bis es vollkommen abblätterte.

2013 schuf Hendrik ECB Beikirch an der Dasselstraße 31 das realistische Portrait eines alten Mannes mit Wollmütze in Graustufen. Dieses Jahr ist mit der Bebauung der zuvor brachliegenden Fläche vor dem Haus begonnen worden. Das Kunstwerk ist jetzt schon nicht mehr zu sehen. Gut, dass City Leaks auch dieses Jahr stattfand und für die Gestaltung der Hauswände, Mauern und Flächen sensibilisiert. Der öffentliche Raum ist Gesprächs- und Handlungspunkt, in dem City Leaks einen legalen Rahmen für neue, an unsere Zeit angepasste Kunstwerke bietet.

Am Brüsseler Platz hatte sich im Sommer 2015 ein künstlicher Greifvogel auf der Telefonzelle niedergelassen. Jemand befestigte den Greifvogel deutlich sichtbar mit Gaffatape, seine Klauen wurden unschädlich gemacht. Mittlerweile ist er vom Tape befreit worden, hat seine Schwingen ausgebreitet und ist verschwunden. Das ist dann in Ordnung. Denn möglicherweise teilen die Besucher des Brüsseler Platzes im Jahr 2115 unsere Natursehnsucht nicht mehr – genauso, wie wir Mühe damit haben, die vielen Reiterstandbilder den richtigen Herrschern zuzuordnen.

Von Clara Bolin

Beitrag erstellt am: 11.07.2016 um 12:25 Uhr
Letzte Änderung am: 17.11.2019 um 02:32 Uhr