„Eigentlich geht es uns gut, doch wir wollen mehr, mehr“

Protestierende Menschen. Schwarz-Weiß Foto.
Studierende genießen gern die ein oder andere Partynacht. Foto von Mircea / CC BY 2.0 Foto: / .

Studierende zwischen Laissez-faire und Prüfungsstress.

Die Band Ok Kid hat die Rastlosigkeit vieler junger Erwachsener heutzutage treffend eingefangen. Eigentlich geht es uns gut – doch wir wollen mehr. Durch Bafög, die Unterstützung unserer Eltern und Nebenjob ist unsere finanzielle Situation gesichert. Wir haben nach einiger Zeit in einer neuen Stadt neue Freundschaften gefunden. Unser Studium läuft nach Plan, wir kommen mit etwas Mühe doch noch in die Kurse, die wir brauchen. Prüfungsstress hält sich in den meisten Geisteswissenschaften ebenfalls in Grenzen, mit Hausarbeiten können wir uns dem Hochschulgesetz zufolge so viel Zeit lassen, wie wir wollen. Im Sommer fliegen wir nach Asien, im Winter machen wir möglichst interessante Praktika und haken so wichtige Stationen unseres Lebenslaufs ab. Und trotzdem wollen wir mehr.

Wir wollen das Studentenleben erleben. Auf WG-Partys, beim Mauerbier oder Freikölsch. Alkohol spielt dabei eine wichtige Rolle: Wer nicht regelmäßig trinkt, ist kein echter Student. Feiern ist fast genauso wichtig, aber bitteschön in den Clubs in Ehrenfeld und zu Elektro, wie es sich für echte Studenten gehört. Was wir suchen, ist eine innere Gelassenheit, die geisteswissenschaftliche Studenten in unserer Vorstellung auszeichnet. Denn trotz schlechterer Chancen am Arbeitsmarkt haben wir uns für unsere Leidenschaft entschieden. Mutig stellen wir uns den möglichen Problemen dieser Entscheidung und antworten auf die Frage nach Berufsvorstellungen gekonnt lässig: „Wer sich mit einer Sache leidenschaftlich und fleißig beschäftigt, kommt schon irgendwo unter.“ Und genau hier stellt sich heraus, warum wir so im Zwiespalt sind und wo zwischen überhaupt: Einerseits wollen wir lässige, entspannte Studenten sein, die feiern, trinken, ihr Studium aus Interesse entspannt bestreiten, die Welt bereisen und ihr Glück individuell finden. Andererseits wollen wir klassischen Werten von Fleiß, Vernunft und Effizienz entsprechen. Wie passt das zusammen?

„Wir sind überall gewesen, haben einiges zu erzählen“

Oftmals nicht besonders gut und das äußert sich in einer seltsamen Verhaltensmischung. Ja, wir trinken, feiern und reisen. Aber gleichzeitig suchen wir uns aussagekräftige Praktikumsplätze, sparen unser Geld für mögliche spätere Engpässe, belegen Kurse, die uns mit möglichst wenig Aufwand möglichst gute Noten und viele Creditpoints bringen, im besten Fall sogar noch ein Zertifikat oder einen Nachweis für die Bewerbungsmappe. Der Grat zwischen den zwei Welten ist ein schmaler: Wer freitags in der Uni ist, hat eindeutig etwas falsch gemacht und gibt sich nicht genug dem studentischen Hedonismus hin. Wer jedoch nur dienstags in der Uni ist, macht ebenfalls etwas falsch, weil er sein Studium nicht ernst nimmt und keiner effizienten Planung folgt. Ein bisschen länger zu studieren ist cool, zwei Jahre mehr sind unverantwortlich. Während einer wichtigen Prüfungsphase sollte man aber als moderner Student mindestens an einem Abend ordentlich einen drauf machen, damit nach der Prüfung auch die richtigen Geschichten dabei herauskommen.

Diese Mischung schleicht sich auch in unser Privatleben ein. Liebe? Das geht später immer noch, Studenten sollten erst einmal und hauptsächlich viel Spaß haben. Dass wir später alle Bräute und Bräutigams mit Tränen in den Augen vor dem Altar werden, steht trotzdem außer Frage. Familie? Wir lieben es, allein oder in WGs zu wohnen und fahren natürlich auch nicht so oft nach Hause, weil wir unsere Eltern vermissen, sondern weil das Essen da einfach besser schmeckt. Das erzählen wir zumindest. Als wäre es etwas Verbotenes, Heimweh zu haben oder in der Vergangenheit zu schwelgen.

„Verbringen Nächte auf den Straßen, und das meistens ohne Grund“

Weil wir mit Problemen, die Erwachsenwerden und Eigenverantwortlichkeit so mit sich bringen, überfordert sind, spielen wir uns als hedonistische, spontane und lässige Generation auf. Wir performen etwas, das wir gern wären: Ein Ideal von Hippie-Studenten, die sich um ihre Zukunft nicht kümmern und in der Gegenwart den Moment genießen. Dabei war auch die so gern romantisierte Zeit der „68er“ keineswegs nur von Kiffen, Trinken und „freier Liebe“ geprägt. Auch in dieser Zeit gab es Studenten, die nicht wussten, wonach sie streben, wie sie mit ihren Problemen umgehen sollen und was sie eigentlich aus dem eigenen Leben machen möchten.

Natürlich ist der Studienstart für viele der Eintritt in eine neue Lebensphase mit ungewohnten Freiheiten und Entscheidungsmöglichkeiten. Aber dass uns genau diese Freiheiten und Möglichkeiten auch stressen können, darf man sich ruhig eingestehen. Ja, das Bild vom Hippie-Studenten ist verlockend, denn es ist besonders eins: entspannt. Aber ein Studium ändert nicht die Persönlichkeit und wir können auch nicht von jetzt auf gleich perfekt mit Prüfungsstress, finanziellen Problemen und Liebeskummer umgehen. Anstatt das Ideal vom entspannten Studenten möglichst gut nachzuspielen, sollten wir lieber versuchen, uns wirklich zu entspannen und unsere Studienzeit zu genießen. Wir sollten uns Strategien überlegen, mit Stress und Sorgen umzugehen, anstatt sie zu ignorieren. Dann kommen wir vielleicht auch besser damit klar, wenn zurzeit nicht noch mehr geht, wir nicht noch ein tolles Praktikum und perfekte Noten bekommen. Denn eigentlich geht es uns gut, und das ist auch völlig in Ordnung so.

Von Alina Finke

Beitrag erstellt am: 16.06.2016 um 08:59 Uhr
Letzte Änderung am: 02.12.2019 um 18:58 Uhr