„Liken statt Streiken, Posten statt Pöbeln, Tindern statt Turteln“

Frau kniet und wird umringt von anderen Frauen, die ihr ein Smartphone an die Schläfe drücken
Kritischer Umgang mit Facebookpost in der studiobühne Köln. Foto: Ingo Solms

„Wenn du das nicht bei Facebook postest, ist es so, als hätte es nie stattgefunden!“ – Eine der Aussagen, die den Zuschauer des Theaterstücks post:like:me zum Lachen brachte, aber auch nachdenklich stimmte.

Mit Jutebeutel auf dem Rücken, schwarzer Lederjacke und einem lockeren Dutt auf dem Kopf, bahnt sie sich ihren Weg durch die Warteschlange. Am Ohr: ihr Smartphone. „Du, ich finde dich nicht, hier sind so viele Leute“ hört man sie in ihr Handy reden. Quasselnd, gut gelaunt und der ein oder andere mit einem Kölsch in der Hand, stehen die Zuschauer vor der blauen Tür der Studiobühne, die mit einem Zettel des Theaterstücks post:like:me behangen ist. Man nimmt laute Musik wahr und die junge Frau mit dem Jutebeutel wird vom Kartenabreißer kommentarlos hinter die blaue Tür gelassen. Noch bevor der Zuschauer begreift, dass der Jutebeutel zu einer der fünf DarstellerInnen des Theaterstücks gehört, wird er unvermittelt in das Geschehen geworfen. Es handelt sich um die Hauptdarstellerin Melissa Moßmeier, die die Protagonistin Miri spielt und die uns Zuschauern den Weg in das Stück eröffnet. Die Zuschauer verteilen sich auf den Plätzen, die von drei Seiten den Schauplatz umgeben. Nicht jeder bemerkt auf Anhieb, dass das Stück bereits losgegangen ist. Ein anregender Abend findet so seinen Beginn.

Das junge Kollektiv mind.break.company (Kevin Kader, Sascha Klein, Fabian Regel) hat ein modernes, multimediales Stück auf die Beine gestellt, das vor allem eins ist: nah am Zuschauer und nah an unserem digitalen Alltag. Es dreht sich um „partizipative Selbstverwahrlosung“, um einen Ausflug ins “Reich der Hybride“, um einen „transmedialen Traumtanz“.

Wer einen klassischen Handlungsstrang sucht, ist hier fehl am Platz. Während des Stückes wechseln die DarstellerInnen zwischen ihrer Rolle als reale Personen, als bloße Performer und als Verkörperung sozialer Netzwerke. Als Freunde, die alle etwas Unterschiedliches von Miri fordern, reißen und zerren sie an ihr herum. Als Youtube, Xing, Facebook oder Tinder prasseln sie aus unterschiedlichen Richtungen auf sie ein und sind doch nur eins: eine Reizüberflutung, der wir nicht gerecht werden können.

In einer der beeindruckendsten Szenen führt die Protagonistin Miri einen Monolog mit ihrem „digitalen zweiten Ich“. Auch technisch ist dies gut umgesetzt. Als größere Projektion, als Schatten ihrer selbst, der nicht von ihrer Seite weicht, sprechen und bewegen sich die beiden mal im Gleichschritt, mal dreht das „digitale Ich“ den Kopf überlegen zur anderen Seite oder die Protagonistin boxt wütend auf dieses ein, als sie versucht ihm zu widersprechen. Im Gespräch zwischen den beiden werden Sinn und Abhängigkeit des zweiten „digitalen Ichs“ in den Raum geworfen und Miri stellt die Frage, mit wem ihre Freunde eigentlich noch befreundet seien: „Mit mir selber?“ Oder sind sie es doch eher mit unserem digitalen Abklatsch, der immer schöner, unternehmungsfreudiger, besser gelaunt ist?

Das Publikum, das mal in Gelächter, mal in nachdenkliche Stille verfällt, ist während des gesamten Stücks merkbar gespannt und fast begierig darauf zu erfahren, womit die fünf DarstellerInnen als nächstes überraschen oder aber schockieren. Einige strecken ihre Köpfe oder stehen sogar kurz auf, um zu sehen, was vor sich geht, als die Protagonisten wie erschlagen und zuckend auf dem Boden liegen und von der leuchtenden Fläche unter ihnen sowie von oben angestrahlt werden. Wie in Trance gefallen, wird der Zuschauer von ihnen mit zahlreichen Schlagworten, wie „scheiß Trojaner“, „Kommentare hinterlassen“ oder „Livestrip-Wichsen“ konfrontiert. Nicht nur in dieser Szene wird die Überforderung in unserem digitalen Alltag dem Zuschauer auf eine raffiniert direkte Art zu spüren gegeben.

Dabei greifen die Regisseure viele Felder unseres digitalen Wahns auf. Provokativ oder zugespitzt verhandeln sie Themen, die von „romantischem“ Sex, der Dank Apps nur einen Wisch entfernt liegt, vom Druck zur Selbstpräsentation und Zwang, seine „Community“ nicht zu verlieren, von der eigenen Entfremdung zur Realität und der Überforderung als „Digital Native“ bis hin zur Manipulation und zur Virtualisierung des Zwischenmenschlichen reichen.

Die SchauspielerInnen zeigen sich authentisch in ihrer Rolle, spielen unbefangen, als hätten sie nie etwas anderes gemacht. Womöglich spielte dabei mitunter eine Rolle, dass das Thema eben sehr aktuell, greifbar und zeitnah an jedem von uns liegt. Umgesetzt werden die Szenen mit einem recht schlichten, aber gerade dadurch überzeugenden Bühnenbild: Eine rote Couch, die leuchtende Plattform, eine große Leinwand im Hintergrund. Außerdem arbeiten die Regisseure mit viel lauter Musik, Sound- und Lichtelementen und ausdrucksstarken Bewegungen. In dieser Kombination erlebt der Zuschauer die digitale Reizüberflutung mit und Szenen sowie Ausrufe prägen sich auf besondere Weise bei ihm ein. Dazu zählen zum Beispiel die warnenden Worte des männlichen Protagonisten: „Ein Account hier, ein Post da, dann noch WhatsApp und ein paar Mails und schon seid ihr vollkommen gläsern, nackt, ausgeleuchtet, abgehorcht.“

Überzeugen konnte das Stück außerdem durch die Integration des Zuschauers. Während die Protagonisten wild durch die Reihen laufen, entscheidet das Publikum mit „Like“-Stickern, die es auf eine favorisierte Verkörperung der Social-Media-Kanäle klebt, über die nachfolgende Sequenz. Auch gegen Ende des Stückes wird das Publikum plötzlich lautstark aufgefordert, sich in der Mitte zu versammeln. Niemand bleibt sitzen. So stehen alle mit ausgestrecktem Arm und ihrem eigenen Handy in der Hand auf der Bühne und sind plötzlich Teil des Stückes. Die Zuschauer stehen im Folgenden am Rand des leuchtenden Feldes, das einem großen strahlenden Display gleichkommt und lassen das Stück bis zum Ende nun aus dieser Position auf sich wirken.

Nachdem der letzte Satz der aufrüttelnden und gleichzeitig unterhaltenden Aufführung gesprochen war, dauerte es lange bis das Klatschen verstummte und sich die Letzten aus dem kleinen Saal begaben. Ausgetauscht, über den Tiefgang unseres digitalen Alltags, wurde sich draußen mindestens genauso rege.

1. Spielzeit: 25. bis 29.11.2015, studiobühne Köln
SchauspielerInnen: Felix Höfner, Helena Aljona Kühn, Melissa Moßmeier, Nina Rauterkuß, Karmela Shako

Von Laurence Boms

Beitrag erstellt am: 09.12.2015 um 22:29 Uhr
Letzte Änderung am: 02.12.2019 um 18:59 Uhr