Performing femininity

Diverse Barbies. Fotobearbeitung und Collage: Klaudia Kasek / Lucas Lorenz.

Über die „richtige“ Art und Weise, eine Frau zu sein.

Ich weiß nicht genau, wann und wo ich zum ersten Mal von der Theorie gehört habe, dass Gender eine Art von Performance ist. Wahrscheinlich ist sie mir irgendwann in den letzten beiden Jahren auf Instagram oder Twitter untergekommen, wo ich, ganz meiner Generation entsprechend, einen großen Teil meiner politischen und sozialkritischen Bildung hernehme. Es könnte auch in der Uni gewesen sein, wo immer mal wieder Judith Butler aufkam, welche die Theorie zumindest in linguistisch-philosophischer Hinsicht geprägt hat. Wie dem auch sei – es war mir auch davor schon irgendwie klar, dass mein soziales Geschlecht in den Augen vieler Leute davon beeinflusst wird, was mein biologisches Geschlecht ist beziehungsweise welche Geschlechteridentität sie mir zuweisen, ob ich das nun will oder nicht.

„Mir als Frau wird eine Erwartungshaltung entgegengebracht.“

In der elften Klasse war ich von der Schule aus bei einer Gastfamilie in Frankreich. Als wir darüber sprachen, dass ich Vegetarierin bin, interessierte die Gasteltern vor allem, ob ich später trotzdem mal für meinen Mann Fleisch kochen würde. Mit 16 Jahren hatte ich daran noch keinen einzigen Gedanken verschwendet. Schließlich war ich nicht verheiratet, geschweige denn überhaupt in einer Beziehung. Also wieso kamen diese mir fremden Erwachsenen darauf, mich so etwas zu fragen? Wieso hatten sie diese Erwartung an mich? Wieso wollten sie mit mir über einen hypothetischen Ehemann sprechen, den ich in ferner Zukunft bekochen sollte? Einige Monate später wollte ich mir einen Kurzhaarschnitt zulegen. Während meine engsten Freund*innen und meine Familie damit kein Problem hatten, bekam ich schon vor meinem Friseurbesuch viele negative Reaktionen von anderen Leuten aus meinem sozialen Umfeld.

Meine Entscheidung wurde angezweifelt, weil Frauen keine kurzen Haare haben sollten. Schließlich wäre das nicht „typisch weiblich“. Ich war erstaunt davon, wie viel Meinung manche Menschen zu etwas so Banalem wie einem Haarschnitt haben konnten, und amüsiert, als dieselben Leute sich später sehr erstaunt zeigten, dass meine Frisur doch gut aussah.

Viel Arbeit für wenig Geld

Beide Situationen fand ich absolut absurd. So harmlos sie auch gewesen sein mögen, haben sie mir doch beigebracht, dass mir als Frau in dieser Gesellschaft eine gewisse Erwartungshaltung entgegengebracht wird. Diese umfasst sowohl Verhaltensweisen als auch äußerliche Merkmale. Es gibt gewisse Muster, denen eine Frau entsprechen sollte, die sie aufweisen, oder eben auch performen muss, um dem „typischen“ Bild der Frau zu entsprechen. Zum Beispiel wird von Frauen verstärkt erwartet, dass sie sich um andere kümmern (so wie ich mich um meinen nicht vorhandenen Ehemann). Frauen übernehmen immer noch mehr Aufgaben im Haushalt und in der Kindererziehung, auch wenn sie ebenso wie ihre männlichen Partner arbeiten gehen. Besonders prekär dabei ist, dass Frauen im weltweiten Durchschnitt an die zwei Stunden mehr als Männer arbeiten, allerdings nur für 41 Prozent ihrer Arbeitszeit entlohnt werden, weil diese oft unbezahlte Hausarbeit, Pflege und Fürsorge umfasst. Männer hingegen werden durchschnittlich für über 80 Prozent ihrer Arbeitszeit bezahlt. Drei Viertel der unbezahlten Tätigkeiten weltweit werden von Frauen ausgeführt, was bedeutet, dass 42 Prozent aller Frauen im erwerbsfähigen Alter keiner bezahlten Arbeit nachgehen können. Auf lange Sicht führt dies dazu, dass Frauen um einiges weniger an Rente ausgezahlt bekommen und im Alter nicht oder nur schlecht abgesichert sind.

Die Arbeitswelt ist also bis zu einem gewissen Grad von Männern domi-niert. Und das nicht nur in einem finanziellen Sinn: Studien haben er-geben, dass Männer vor allem im öffentlichen und beruflichen Bereich dazu tendieren, weit öfter als Frauen das Wort zu ergreifen. Die amerikanische Linguistikprofessorin Deborah Tannen begründet dies da-mit, dass Frauen befürchten, als aggressiv wahrgenommen zu werden, wenn sie viel reden. Diese Angst ist nicht unbegründet. 84 Prozent aller Frauen, die in der amerikanischen Technik-Branche tätig sind, wurden an einem oder mehreren Punkten in ihrer Karriere als zu aggressiv oder herrisch bezeichnet. Männer mit denselben Eigenschaften bezie-hungsweise Verhaltensmustern gelten hingegen als fähige Führungskräfte. Frauen lernen also, nicht den Platz einzunehmen, der ihnen zusteht, und sei es nur auf einer verbalen Ebene.

Hauptsache hübsch – auch im Beruf

Die Metapher des nicht-zu-viel-Platz-einnehmen-wollens bringt mich zu den äußerlichen Erwartungen, die an Frauen gestellt werden. Der Druck, sich Schönheitsidealen zu beugen, lastet auf beiden Geschlechtern. Trotzdem wird Frauen schon früh das Gefühl gegeben, schlank sein zu müssen. Bereits Zeitschriften, die sich an Mädchen kurz vor und in der Pubertät richten, geben Diät-Tipps und vermitteln ihren Leserinnen, wie Helen Hahne von Edition F schreibt, vor allem, dass Mädchen (und später im Leben Frauen) anderen gefallen sollen. Aus eigener Erfahrung kann ich berichten, dass die ersten Mädchen in meinem Umfeld mit Diäten anfingen, als wir gerade einmal zwölf oder 13 Jahre alt waren.

„Frau ist nicht weniger ‚stark‘, wenn sie sich nicht schminkt.“

Der Wunsch abzunehmen, kann insofern mit der Performance von Weiblichkeit korrelieren, als Frauen sich damit kleiner, dünner machen und wortwörtlich weniger Platz einnehmen. Die Erwartung, zu gefallen, geht über Diäten hinaus. So wird es zum Beispiel als normal angesehen, dass Frauen stets ihre Beine und Achseln rasieren. Die Journalistin Suzannah Weiss veröffentlichte vor einigen Jahren einen Artikel darüber, dass sie ihre Beine nicht rasiert. Danach wurde sie von Unbekannten im Internet, Moderatoren von drei Radio-Shows sowie einigen Freund*innen dazu aufgefordert, ihr Verhalten doch noch einmal zu überdenken. Auch Make-Up wird nach wie vor als etwas „typisch weibliches“ angesehen und zum Teil sogar am Arbeitsplatz erwartet. Studien aus Großbritannien haben ergeben, dass immerhin fast zehn Prozent der befragten Frauen von ihren Chefs und Chefinnen dazu aufgefordert wurden, im Büro mehr Make-Up zu tragen. Ironischerweise gaben 19 Prozent der befragten Personaler*innen einer anderen Studie an, eher abgeneigt zu sein, wenn Frauen beim Bewerbungsgespräch zu viel Make-Up tragen würden.

Es gibt kein „richtig“ oder „falsch“

An dieser Stelle sollte ich anmerken, dass ich mich selbst auch gern schminke, ständig meine Haare färbe, mir viele Gedanken über meine Kleidung und generell über mein Aussehen mache. Das meiste davon macht mir auch Spaß – aber trotzdem frage ich mich, inwieweit ich dieses Verhalten erlernt habe und ich mich damit gewissen Idealen beuge oder wie viel es wirklich mit mir als Person zu tun hat. Ich befinde mich in einem Zwiespalt, denn ich bin der Meinung, dass es natürlich keine „richtige“ Art und Weise gibt, eine Frau zu sein. Außerdem sollten alle Menschen, unabhängig von ihrem Geschlecht, sich so verhalten und äußerlich geben, wie sie möchten und sich wohl fühlen. Man ist als Frau auch nicht weniger „stark“, wenn man sich viel schminkt und sich um die Kinder kümmert, um es sehr vereinfacht auszudrücken. Wichtig ist, sich frei dafür entscheiden zu können, was einem selbst zusagt. Mir bereitet nur der Gedanke Unbehagen, dass Frauen vermittelt wird, in allen Aspekten gefallen zu müssen. Schließlich sollte sich eine Person nicht in erster Linie darüber definieren, wie sehr andere ihr Verhalten oder Aussehen gutheißen.

Anmerkung: Natürlich werden sowohl Weiblichkeit als auch Männlichkeit als gesellschaftlich gebildete Konstrukte mit gewissen Erwartungen verbunden. Beiden kann man – ohne Frage – gleichermaßen kritisch gegenüberstehen. Viele Genderforscher*innen fordern sogar eine komplette Demarkierung des Geschlechts, was ebenso seine Berechtigung hat. Dieser Text thematisiert jedoch rein die Rolle der Frau, die im binären Geschlechtersystem konstruiert wird.Wenn ich von „Frauen“ schreibe, schließt das grundsätzlich Trans-Frauen mit ein. Ich denke allerdings, dass Gender-Performance für sie noch einige Aspekte mehr beinhaltet als die, die in diesem Text angesprochen werden, möchte dabei als Cis-Frau nicht an ihrer Stelle sprechen. Außerdem denke ich, dass viele als weiblich gelesene non-binäre Personen ähnliche Erfahrungen machen, wie sie im Text beschrieben werden, da sie eben leider als weiblich wahrgenommen werden, auch wenn sie sich nicht mit dieser Geschlechteridentität identifizieren.

Von Carolin Obermüller

Beitrag erstellt am: 07.10.2020 um 16:00 Uhr
Letzte Änderung am: 07.10.2020 um 19:33 Uhr